Quelle: Karl Ammon (1932) Philipp Reis und die Vollender des Fernsprechers

Fernhören in Friedrichshain

Die ersten Jahre der Telefone; Quelle: Oskar Grosse (1917) 40 Jahre Fernsprecher
Die ersten Jahre der Telefone waren von Experimenten gezeichnet    / Quelle: Oskar Grosse (1917) 40 Jahre Fernsprecher /

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Einst konnte man auf Türmen mehrarmige Gestelle sehen. Per Flügelstellung stellten sie Nachrichtenzeichen dar. Wenig später eilten elektrische Impulse zwischen Telegrafenstationen hin und her. Aber um Worte ins Telealphabet zu übertragen, war fachkundiges Personal nötig. Ein Kostenfaktor. Im Gegensatz zu den Preisen für Telegramme stiegen die Investitionen für das Telegrafennetz. Allerdings erlebte Generalpostmeister Heinrich von Stephan am 24. Oktober 1877 eine Initialzündung. Vom Leiter des Telegrafenamtes London erhielt er zwei Telefone der amerikanischen Firma „Bell“. Er erkannte, dass ungeschulte Beamte  von Postämtern ohne Telegrafenanschluss per Wort Telegrammtexte zum Telegrafenamt durchgeben konnten. Von Stephan ließ ein Telefonkabel vom Postamt Friedrichsberg in der heutigen Jungstraße in die Reichstelegrafenanstalt Rummelsburg legen. Am 12. November 1877 ertönte dort der Pfiff einer Signalpfeife. Mit ihr wurde der Gesprächswunsch angekündigt. Um Fremdwörter zu vermeiden, kreierte von Stephan den Postamtssprachbegriff „Fernsprecher“. Die Firma Bell war beim Patentschutz nachlässig. So übernahm Siemens & Halske mit 200 Geräten täglich den Bau weiterer Apparate. Die jährliche Miete für einen Apparat betrug 200 Mark, etwa das halbe Jahreseinkommen einer Näherin. Dennoch wurden die Berliner „Upper Ten“ neugierig und so war die „Julius Pintsch – Fabrik für Gasapparate“ in der Andreasstraße 1881 eine der ersten am Telefon in Friedrichshain.

Tischtelefone waren Anfang der 1890er Jahre Kult; Quelle: aus Werbeanzeige Mix und Genest 1891
Tischtelefone waren Anfang der 1890er Jahre Kult in den feinen Kreisen der Stadt
/ Quelle: aus Werbeanzeige Mix und Genest 1891 /

Expansion

Wer im Business mitspielen will, braucht ein Telefon. Ende März 1885 lag die Teilnehmerzahl bei 2715. Noch erfolgte die Vermittlung der Teilnehmer von Hand. „Hier Amt, was beliebt?“ war zu hören. Da es auf die Leitungsnummer ankam, sagte man: „Wünsche mit Nummer 63 zu sprechen!“. War die Leitung frei, hörte man: „Bitte rufen!“, falls nicht: „Schon besetzt, warten Sie gefälligst, werde melden, wann frei!“. 1890 ersetzten Frauen die Männer in den Vermittlungsstellen. Die höheren Frequenzen der Frauen­stimmen waren wegen der schlechten Leitungsqualitäten besser zu verstehen. Man attestierte zudem den Frauen mehr Geschicklichkeit am Draht im Umgang mit nervösen Kunden. Die frühen Geräte waren Wandapparate. 1887 stellte Mix & Genest das Tischgerät „Doppeltelefon“ vor. Ein Messingbügel verband bei diesem Hörer und Mikrofon. Davon bestellte die Firma Kärger in der Blumenstraße 67a sechs „Stationen“ im Wert vom Jahresverdienst eines Handwerksmeisters.
Gleich ums Eck eröffneten 1902 die Mechaniker Paul Borck und Adolar Goldschmidt ihre „Mechanischen Werkstätten für Telegraphie und Telephonie“. Unter Richard Gondolatsch, der die Firma 1912 übernahm, war sie ein wichtiger Zulieferer für die Post mit hunderten Arbeitsplätzen in der Fruchtstraße 2. Produktprobleme gab es laut Bezirksamt Tiergarten vom 28. Januar 1931: „Seit Auswechselung der Fernsprechapparate haben sich vielfach Induktionsstörungen in der Art gezeigt, daß bereits beim Abheben des Hörers andere Gespräche zu hören sind und daß dadurch die Verständigung zum Teil stark beeinträchtigt wird.“ Nebenher produziert man in beiden Weltkriegen Patronen und ab 1945 nur noch Zahnarztstühle.

Wandapparat 1930er; Quelle: Katalog Bork und Goldschmidt
Mit der Einführung des Selbstwählverkehrs konnte man Wählscheiben benutzen. / Quelle: Katalog Bork und Goldschmidt /

Geteilte Gemeinsamkeiten

Im April 1949 entstand aus vier Teilbetrieben der VEB RFT Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin. 1953 belieferte der „FFAB“ China mit Anlagen,  1954 die Türkei, 1957 Ägypten und Griechenland und ab 1964 Westberlin. Teuer erkaufte Erfolge. Der „FFAB“ war in dieser Zeit einer der größten Untermieter in Friedrichshain. Entwicklung und Fertigung mussten in acht Betriebsteilen durchgeführt werden, etwa in Räumen des Glühlampenwerks am Warschauer Platz oder unter dem U-Bahnhof Warschauer Straße und den dortigen Räumen der BVG. Sechs Quadratmeter Büro stand hier jedem Entwicklungsingenieur zur Verfügung. „Wenn’s hier mal brennt, dann nur die Hacken in die Hand genommen und weg“, sagte einer von ihnen. Nach dem Volkswirtschaftsplan von 1964 sollten 4.400 Hauptanschlüsse für Großberlin, wie Ostberlin offiziell noch genannt wurde, eingerichtet werden. Um eine bessere Versorgung der „Vielsprecher“ zu erreichen, wurden diese in Zweieranschlusstechnik ausgeführt oder Einzelanschlüssen in Zweier­anschlüsse umgebaut. Für zwei oder sogar vier Teilnehmer stand der „W 61“, oder der „W 58“ zur Verfügung. Von einem Gleichrichter vor Spannungsspitzen geschützt, bildeten beim „W 61“ blanke Drähte die innere Schaltordnung. Dagegen knüpfte die Linienführung des aus den Kunststoffen Phenol oder Kresol gefertigten Gehäuses vom „W 58“ ans Bauhauskonzept an. Ein Einspulenwecker mit Laustärkeregelung gehörte zu seinem technischen Herz. Wer vor dem Mauerbau ungestört telefonieren wollte, wechselte auf die andere Seite der Oberbaumbrücke und ging zum Postamt in der Skalitzer Straße. Das hatte drei „Ost-Sprechstellen“. Täglich wurden von hier über 100 Gespräche für 20 Pfennige „Ost“ geführt. Weil die „häufig zu starken Ostmünzen gegen passende umzutauschen“ waren, setzte das Amt Kräfte ein, die den Ausweis kontrollierten.

Quelle: Karl Ammon (1932) Philipp Reis und die Vollender des Fernsprechers
Über Jahrzehnte hielten sich Bauformen der Telefone / Quelle: Karl Ammon (1932) Philipp Reis und die Vollender des Fernsprechers /

Verzögerte Entwicklung

Unter einem schlechten Stern standen im August 1967 vierzig Fernmeldeprojekte für das „neue Stadtzentrum Berlin“. Mit Blick auf diese Vorgabe hieß es in der „Vertraulichen Dienstsache L 29“, des „FFAB“, die offen alle Schwierigkeiten benannte: „Das zeitliche Zurückbleiben der DDR im Fernmeldebereich ist darauf zurückzuführen, daß der Aufbau einer eigenen Industrie der Vermittlungstechnik zur Erweiterung, Instandhaltung und dem Ausbau der vorhanden Anlagen und Ämter rekonstruiert werden mußte. Die Koordinatenschaltertechnik lief verspätet in der Entwicklung und Produktion an und die benötigten Bauelemente stehen aus dem Eigenaufkommen nicht zur Verfügung.“ Daran änderte sich bis 1989 wenig. Für die meisten Bürger in und außerhalb Friedrichshains blieb von daher die analoge Telefontechnik der 1930er Jahre mit all ihren Fehlern, Überraschungen und Wunderlichkeiten bis zur Wendezeit erhalten.

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