Von der Schrippenkirche zur Holzkirche.
Von Bernd Braun und Petra Lange.
Dort, wo in der Richard-Sorge-Straße 14-15 eine Holzkirche inmitten eines Gartengrundstückes steht, fanden sich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein repräsentatives Wohnhaus an der Straßenfront und eine Hinterhofkirche. Zu dieser Zeit hieß die Richard-Sorge-Straße noch Tilsiter Straße und die Hinterhofkirche war die methodistische Elim-Kirche. Das 1895 errichtete Gebäude war als prächtigster und größter methodistischer Kirchenneubau Berlins bekannt. Dass die Kirche in einem Arbeiterviertel erbaut worden war, beeinflusste die Wirkungsweise der Gemeinde. Wohnungsknappheit und Armut prägten das städtische Alltagsleben. Arbeits- und Obdachlose wurden zu besonderen Veranstaltungen eingeladen. Nach Gebet und Gesang gab es ein warmes Abendbrot. Das brachte der Elim-Kirche den Ruf als Schrippenkirche ein, den sie über Jahrzehnte behielt.
Eine Reformation im 18. Jahrhundert
Der Methodismus war anfangs eine Bewegung, die im 18. Jahrhundert in England von den Brüdern John und Charles Wesley angestoßen worden war. Ähnlich wie Luther forderten sie eine Reformation, allerdings der anglikanischen Kirche. Dabei war die Zuschreibung “Methodisten” zunächst ein Spottname. Denn die Wesley-Brüder und ihre Anhänger verfolgten eine methodisch-strenge soziale, religiöse und politische Lebensführung. Aus der einstigen Bewegung entwickelte sich seit Ende des 18. Jahrhunderts eine weltweite Freikirche, die in Deutschland heute eng mit der evangelischen Landeskirche verbunden ist.
Zerstörung und Wiederauferstehung
Im Februar des Jahres 1945 durchschlug eine Fliegerbombe die Außenwand des Wohnhauses und explodierte im Keller. Das Haus und die Kirche wurden durch Feuer zerstört. Die Pastorenfamilie und die Gemeindeschwester kamen ums Leben. Wie viele Menschen insgesamt den Tod fanden, konnte nie festgestellt werden, da der Luftschutzkeller als öffentlicher Schutzraum nicht nur von Hausbewohnern, sondern auch von Flüchtlingen dicht besetzt gewesen war.
Nach Kriegsende fand die Elim-Gemeinde in der Pfingst- und auch in der Galiläa-Kirche Unterkunft. Langsam kam die Gemeindearbeit wieder in Schwung. Bis zu 400 Kinder kamen sonntags zusammen und trafen sich in der Schulaula in der Straßmannstraße. 1948 verblüffte der Pastor der Elim-Gemeinde die gesamte deutsche Methodistenwelt, indem er eine komplette Holzkirche aus Schweden herbeischaffte und am Platz der zerbombten Kirche aufstellen ließ. Bestritten wurden die Kosten durch Spendenmittel amerikanischer Methodisten. In den Folgejahren gab es immer wieder Pläne, anstelle der Notkirche mithilfe von weiteren Spendengeldern ein solides Kirchengebäude zu errichten. Doch nach fast 50 Jahren seines Bestehens avancierte das Provisorium 1997 zum Baudenkmal.
Ein Spiegel der Gesellschaft
In einer Phase der Verschärfung des Kalten Krieges beteiligte sich die Gemeinde aktiv an den Friedensdekaden (anfangs „Friedenswoche“ genannt), die seit 1979 vom drittletzten Sonntag des Kirchenjahres bis zum Buß- und Bettag stattfanden. Damit trug sie dazu bei, den Gedanken des Friedens in der Stadt zu fördern.
Ebenfalls Ende der 1970er Jahre begann eine groß angelegte ökumenische Arbeit in Berlin-Marzahn. Hier engagierte sich die Friedrichshainer Gemeinde. 1984, in Berlin-Marzahn ist ein selbstständiger Gemeindebezirk der methodistischen Kirche entstanden, endete dieses ökumenische Engagement für die Friedrichshainer. Sie suchten vor Ort nach Partnern und fanden sie ein Jahr später in der evangelischen Galiläa-Gemeinde und in der katholischen St. Nikolaus-Gemeinde.
Immer wieder beeinflussten politische Ereignisse das Gemeindeleben, etwa, dass Jugendliche aus der Gemeinde den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ trugen oder dass Gemeindeglieder ausreisten. Im Herbst 1989 gehörten einige Gemeindeglieder zu den Teilnehmern an Demonstrationen und Fürbittandachten. Wie bei den meisten Menschen in der DDR war innerhalb der Gemeinde die Verunsicherung durch die Veränderungen nach 1990 groß. Das Themenspektrum in den Gesprächen reichte von der Frage über der Rolle der Kirche als Ort des Widerstands bis zu den unterschiedlichen Lebenserfahrungen und -standards in Ost und West.
1988 feierte die Gemeinde ihr 100jähriges Bestehen in Friedrichshain. Zu den Feierlichkeiten kamen zahlreiche Besucher und auch ehemalige Gemeindeglieder, die längst fortgezogen waren.
Mehr als ein Gotteshaus
Schlicht und gemütlich ist die Kirche von innen. Die natürliche Farbe des schwedischen Holzes korrespondiert auf angenehme Weise mit dem Weiß der Bänke, Fenster und Wände. Im Garten hinter der Holzkirche sind noch drei Grundmauern des alten, zerstörten Steingebäudes zu sehen. Sie verleihen dem Garten ein pittoresk-südliches Flair und sind dennoch Mahnmal gegen Krieg und Gewalt.
Das Gemeindeleben in der Holzkirche, die nun offiziell evangelisch-methodistische Christuskirche heißt, ist bunt und vielfältig. Neue Mitglieder kommen hinzu, andere ziehen weiter. Zur Gemeinde gehören etwa 120 Personen, von denen 75 aktive Mitglieder sind. Die Finanzierung erfolgt unabhängig vom Staat durch freiwillige Beiträge und Spenden. Kirchensteuer gibt es nicht. Besonderes Kennzeichen der Gemeinde ist die Musikalität ihrer Mitglieder.
Viele Bewohner und Berlin-Besucher reagieren mit wohlwollendem Erstaunen auf die kleine Holzkirche. „Hat was von New York“, sagen manche, die die Lücke im Straßenzug entdecken. Häufig gehen Anfragen ein, ob die Räume für Kunstausstellungen, Chorkonzerte oder Theateraufführungen zur Verfügung stehen. Dementsprechend „ausgebucht“ ist die Kirche manchmal. Auch Yoga-Kurse und Kanon-Kiez-Singen haben hier schon stattgefunden. Und wenn die Methodisten am Sonntagvormittag ihren Gottesdienst gefeiert haben, dann steht die Holzkirche einer vietnamesischen Gemeinde zur Verfügung.
Während des Kirchentages, der Ende Mai in Berlin stattgefunden hat, gehörte die Christuskirche zu den offiziellen Veranstaltungsorten und viele Besucher zeigten sich beeindruckt von der Ausstrahlungskraft der Holzkirche und ihrer Geschichte.
Danke für diesen wunderschönen und interessanten Bericht.
Bis zu meinem 25 Lebensjahr ging ich regelmäßig dort zur Kirche und fühlte mich in der Gemeinde sehr wohl.
So einiges in dem Bericht war mir neu.