Hannes Gebien in der Taschenwerkstatt „packattack“.
Von
Als ich das Geschäft betrete, sitzt dessen Inhaber an einer Nähmaschine, seine Kollegin schneidet dunkelbraunes Leder in Quaderformen zurecht. An der Wand sind einfache Regalbretter angebracht, auf denen sich Taschen in unterschiedlichen Formen, Farben und Größen reihen, alle in Handarbeit produziert. Hannes, ein mittelgroßer Mann in den Dreißigern, begrüßt mich mit lebhaftem Blick und bittet mich zu einem Sofa, von dem er zuerst noch ein paar Taschen wegräumen muss.
Wie soll ich anfangen? Meine Mutter liebte schon immer Taschenläden. Ich fand es extrem langweilig, wenn wir beim Einkaufsbummel (glückliche Zeiten, die das grässliche Wort „shoppen“ noch nicht kannten) jeden Taschenladen auf der Route betreten mussten. Fast ein halbes Jahrhundert später sitze ich nun Hannes Gebien in seinem Taschen-Ladengeschäft mit Werkstatt „packattack“ gegenüber und bringe es nicht fertig, über mein Vorurteil zu sprechen. Statt: „Wie wird ein Mann …“ frage ich: „Wie wird man zu einem Taschenproduzenten?“
Nähen von der Pike auf gelernt
„Ganz einfach“, erklärt mein Gegenüber, mit einem offenen Lächeln. „Ich habe den Beruf des Segelmachers gelernt.“ Wer mit Segelsport nichts im Sinn hat, fragt erst einmal nach. „Wie der Name sagt, das sind Leute, die Segel herstellen.“ Ein seltener Beruf? „Jedes Jahr werden dreißig Segelmacher ausgebildet. Es gibt nur eine Berufsschule in Deutschland. Man kennt sich.“ Allerdings stuft die Handwerkskammer diesen Beruf als Sattler oder Bootssattler ein. Versicherungen haben keine Schlüsselnummer für ihn. „Ich bin da schon mal als Tischler eingestuft worden“, sagt er belustigt.
Aus der Not eine Tugend gemacht
Das Taschennähen war die Konsequenz aus einer frühen Einsicht: „Das waren zwei Sachen: man bekam wenig Lehrgeld und am Ende jedes Werktags wurden viele Reste aus gutem Material weggeworfen.“ Was lag näher, als diese Reste zu Taschen zu verarbeiten und zu verkaufen? „Alle Azubis machen das, um sich das Lehrgeld aufzubessern. Aber niemand klebt ein Label drauf.“ Herkunftsbedingt lag seine Berufswahl auf der Hand: Aufgewachsen ist er an der Ostseeküste in Oldenburg in Holstein zwischen Fehmarn und Lübeck. „Seit ich vier Jahre alt bin, bin ich auf Schiffen unterwegs.“ Allerdings gab es Versuche in andere Richtungen: Studium der neueren Geschichte und ein Intermezzo im Veranstaltungsbereich. Eine Freundin gab ihm den Tipp, dass in einer Segelmacherei in Heiligenhafen ein Ausbildungsplatz frei sei. Bevor es daran geht, richtig große Segel zu nähen, bekommen Auszubildende kleinere Aufgaben: „Eine Hülle für den Kompass oder ein Überzug für das Steuerrad. Im Grunde sind das ja schon Taschen.“
Der Beruf des Segelmachers wird schlecht bezahlt. Ein Hohn, wenn man daran denkt, dass die meisten Kunden sehr wohlhabend sind. Dazu kommt, dass sich die Typisierung der Boote immer mehr durchsetzt, weshalb man immer mehr Segel für die Stange macht. „Manche sind dazu übergegangen, die Produktion nach Sri Lanka auszulagern.“
Mit dem Wäscheständer auf dem Boxi
Als Hannes’ Freundin Arbeit in Berlin bekam, zog er hinterher und erkundigte sich zunächst bei Segelmachern nach Arbeit – ohne Erfolg. Dann entschied er, sein Studium fortzusetzen. Um seine finanzielle Lage aufzubessern, stellte er sich mit einem Wäscheständer und ein paar Taschen auf den Boxi-Flohmarkt. Der Erfolg war überwältigend. „Ich bekam in vier Stunden mehr Lob und Anerkennung als in einem halben Jahr in der Segelmacherwerkstatt. Und auf dem Markt im Mauerpark war es noch verrückter.“
Die Entscheidung fällten die Kunden
Eine Tasche wird sehr viel schneller fertig als ein Segel, an dem man normalerweise eine ganze Woche arbeitet. Da stellt sich das Erfolgserlebnis öfter ein. „Und das Gestalterische hat mir immer schon Spaß gemacht.“ Die Verkaufstage wurden zu etwas Besonderem. „Bald war es so, dass ich die ganze Woche darauf wartete, bis der Sonntag kam.“ Obwohl ihm das Studium Spaß machte, die alten Bücher und der Lesesaal in der Humboldt-Universität, beschloss er, es aufzugeben. Als Historiker wäre er noch schlechter vermittelbar gewesen als ein Segelmacher.
Doch musste er die ganze Sache professioneller angehen. „Der Markt ist eine radikale Ausbildung in Kurzform. Was man hier an Feilschen und Produktforschung lernt, ist phänomenal. Meine Eltern bemerkten an mir, dass ich binnen kurzer Zeit ganz anders auftrat und mehr auf die Leute zuging.“ Die Kunden auf dem Markt fragten ihn nach Flyern und ob sie ihn in der Werkstatt besuchen könnten. Diese befand sich jedoch noch auf dem Dachboden im Hause seiner Eltern. Das bedeutete Arbeit an zwei Orten mit einem großen Zeitaufwand des Fahrens dazwischen.
Glück gehört dazu
„Irgendwann stand dann im Flur meiner WG ein Verkaufsregal mit Taschen. Und ich brauchte eine Werkstatt.“ Als ihm jemand 2008 sagte, dass der Laden mit Schaufenster zum Platz in der Gärtnerstraße frei ist, wollte er zuerst ablehnen. „Ich dachte eher an eine kleine Werkstatt auf dem Hof mit Verkauf auf dem Boxi.“
Überzeugt hat ihn am Ende, dass er gleich um die Ecke wohnte, und – der Vermieter. „Der sagte: ‚Wo du herkommst, da bin ich früher immer in den Urlaub gefahren. Mir gefällt, was du machst und wie du redest‘“ und unterbreitete ihm ein sehr gutes Angebot. Üble Vermieter und immer höhere Mietpreise sind ein Dauerthema in Friedrichshain. „Man muss es aber auch mal sagen, wenn es anders ist. Ich zumindest hatte großes Glück“, betont der Handwerker.
Schwierig war es zunächst, dass Leute ins Geschäft kommen und man jedes Mal die Arbeit unterbrechen muss. Auch Freunde waren darunter, die ihn einfach nur besuchen wollten. „Gewöhnlich stelle ich einen Plan auf, wie viele Taschen ich in der Woche herstellen will. Wenn jeden Tag zwei Leute kommen, die eine halbe Stunde quatschen, dann gehen in der Woche über vier Stunden drauf.“ Einige Bekannte wollten das nicht einsehen, so dass Hannes Gebien deutlich werden musste. „Irgendwie hat sich da in meinem Bekanntenkreis die Spreu vom Weizen getrennt.“
Gibt es bestimmte Taschentypen? Eigentlich nicht. „Männer kaufen eher dunkel, groß und eckig, Frauen farbiger und verspielter. Das Fernsehturmmotiv geht im Sommer besser als im Winter und in letzter Zeit immer weniger gut.“
Die Gegend verändert sich und die Taschen
Seit er das Geschäft 2008 übernahm, hat sich einiges geändert. Mit dem Anstieg der Preise für Ferienwohnungen kommt eine andere Klientel hier her. „Früher waren meine Produkte sehr viel bunter. Die hätte ich selbst nicht so gern getragen.“ Ihn ärgert, wenn Kunden achtlos kaufen ohne genau hinzusehen und zu bemerkten, dass hier gute Qualität in den Regalen liegt.
Und wie geht’s weiter?
„Seit 2004 lebe ich vom Taschenmachen. Wenn man nicht dreimal im Jahr in den Urlaub fliegen muss, kommt man gut über die Runden. Was an Geld übrig bleibt, geht in neues Werkszeug.“ Sollte es hier nicht mehr laufen, könnte er auch woanders neu anfangen, sagt er: „Vielleicht etwas mit Holz und daheim. Ich liebe das Meer.“
Obwohl man Hannes Gebien gern wünscht, dort zu sein, wo es ihm am meisten gefällt, wäre es auch sehr schön, wenn er Friedrichshain mit seiner Originalität und seinem Handwerk erhalten bliebe.