Kati Nicke und Tim Schleinitz vom Freien Radio StudioAnsage | Foto: Giovanni Lo Curto

„Wir greifen Kiezinitiativen auf.“

Kati Nicke und Tim Schleinitz vom Freien Radio StudioAnsage | Foto: Giovanni Lo Curto
/ Foto: Giovanni Lo Curto /

Kati Nicke und Tim Schleinitz vom Freien Radio StudioAnsage.

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Es gibt Leute, die informieren sich durch das Fernsehen, andere aus der Zeitung, noch andere aus dem Radio. Welcher Typ sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser? Sind Sie eher ein Radiomensch oder eher ein Zeitungs- oder Fernsehmensch? Berühmte Radioadressen in Berlin sind in der Masurenallee und in der Kufsteiner Straße, im Osten Berlins war es die Nalepastraße. Kaum aber ist bekannt, dass es auch in Friedrichshain eine Radioadresse gibt: In der Kreutziger Straße 23 befindet sich das StudioAnsage, das jeden Mittwoch von 6 – 1 Uhr auf der UKW-Frequenz 88,4 MHz in Berlin und auf 90,7 MHz südlich der Stadt und in Potsdam Programm anbietet.

Besonderes Interesse für Medien

Wer sich in ein Radio-Studio begibt, geht durch dicke Türen in einen schallschluckenden Raum, in dem sich Stimmen und alle Geräusche etwas komisch anhören. Die Mikrofone sind angehängt und meist bekommt man Ohrhörer aufgesetzt. Es gibt Leute, bei denen angesichts dieser etwas befremdlich wirkenden Welt die Herzen sofort höher schlagen. Zwei von ihnen habe ich getroffen, Kati Nicke und Tim Schleinitz.
Für Medien hatte Kati schon immer ein besonderes Interesse. Die Druckerin und Politologin schrieb und fotografierte als Schülerin für die Lokalzeitung. 2004 kam sie in Potsdam mit der freien Radio-Szene in Kontakt, als sie an einem Kunstprojekt anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus teilnahm, für das eine vierwöchige UKW-Veranstaltungsfrequenz beantragt worden war. Sie unterstützte das Künstlerkollektiv bei der Einrichtung eines Studios. Der Radiosender durfte auf einem Kirchturm angebracht werden. Im November 2014 holte sie die viertägige Zukunftswerkstatt Community Media des Bundesverbandes Freier Radios nach Berlin und Potsdam, auf der sich über 120 Medienbegeisterte aus über 20 Ländern über Freie und Bürgerradios austauschten.
Tim studierte in Jena Politik und Sprachwissenschaft und machte ein Praktikum beim Freien Radio LOTTE in Weimar, wo er in der Nachrichten-Redaktion arbeitete und Beiträge vorbereitete. Als Student hat er bei der Hauspost im RBB gearbeitet. Er ist als wissenschaftliche Hilfskraft im Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam tätig und übernimmt gelegentlich Technik-Jobs für Wochenendveranstaltungen. „Radio machen ist eine sinnvolle Tätigkeit, die mir Spaß macht. Ich sehe das Radio als politisches Projekt: wie wollen wir als unterschiedliche Menschen selbstbestimmt zusammenkommen? Es kann aber auch als Austauschplattform für Hörerinnen und Hörer dienen.“

Mischpult der Radiomacher im StudioAnsage | Foto: Giovanni Lo Curto

Wohl das bekannteste Werkzeug von Radiomachern, das Mischpult, steht natürlich auch im StudioAnsage. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Radiomachen als Demokratiemodell

„Die Leute, die so ein Radio wir wir machen, wollen selbst mit anderen Radiomachenden über die Themen mitbestimmen. Das bedeutet auch, dass wir flache Hierarchien haben“, sagt Kati und betont: „es gibt Zulauf zu den kleinen Community-Radios und eine erstaunliche Nachfrage. Für mich sind es Bürgerradios, weil Bürgerinnen und Bürger und alle, die Bürgerrechte in Anspruch nehmen möchten, sich selbst ermächtigen, Informationen auszutauschen. Sie greifen Themen auf, die ihnen selbst wichtig sind, egal ob vor der Haustür oder am anderen Ende der Welt. Manche dieser Unterstützer haben keinen Bürgerstatus.“
Schon beim ersten Reinhören auf der Frequenz fällt angenehm auf, dass nicht die übliche Hit-Musik anderer Radiostationen läuft, sondern dass aktuelle, interessante und übrigens auch durchaus angenehme Klänge zu vernehmen sind – eine Plattform für Musik, die nicht in die Charts drängt, sondern einfach nur gut sein will. Und die Moderationen sind auch nicht so aufgedreht oder „cool“ aufgesetzt, sondern in einem ganz normalen ruhigen Umgangston, so wie Menschen eben miteinander sprechen.
Feste Programmplätze bei StudioAnsage sind LauschGift, bei dem Live-Musik aus dem Studio gesendet wird, und Radio F’HAIN, das Themen und Neuigkeiten aus dem Kiez aufgreift. Wohnen und hohe Mieten ist dabei genauso so ein Thema, wie interessante Kulturveranstaltungen. Weitere Formate sind Sillestha von den Moderatorinnen Sille und Esther, das sich feministischen Themen widmen oder RadioAktiv, das politische Veranstaltungen und Demonstrationen dokumentiert.

Kati Nicke und Tim Schleinitz vom Freien Radio StudioAnsage | Foto: Giovanni Lo Curto
„Anmut sparet nicht noch Mühe“, mahnte Bertold Brecht – doch soll der Spaß nicht zu kurz kommen. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Radio vernetzt

Die Freien Radios in Berlin und Potsdam senden seit Oktober 2011 gemeinsam im PI-RADIOVerbund, mittlerweile von Montag bis Freitag zwischen 6:00 Uhr bis 1:00 Uhr. Tim ergänzt: „Außerdem gibt es mit der Berliner Runde ein von allen gemeinsam erstelltes Live-Format, zu dem Politikerinnen und Politiker, aber vor allem Kunst- und Kultur-Initiativen aus Berlin und Umgebung zu Interviews eingeladen werden. Es geht bei StudioAnsage darum, ein Abbild der Stadt von unten zu erstellen.“
Kati erläutert: „Wir greifen neue Kiezinitiativen auf. Wer mit einer Gitarre vorbei kommt und sein Lied vorstellen will, ist willkommen. Jeder hat die Möglichkeit ,Hier!‘ zu sagen.“ Dann fügt sie hinzu: „Wir sind gut vernetzt, nicht nur allein in der Bundesrepublik, sondern auch in Europa und in der Welt.“ Kaum zu glauben, es gibt sogar einen Weltverband der freien Radios. „Und der Austausch ist sehr lebhaft!“ In anderen Städten und Ländern sind die Freien Radios neben den öffentlich-rechtlichen und privaten längst als dritte Säule der Medienlandschaft neben öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern anerkannt und genießen öffentliche Förderung. So gibt es in Hamburg den Sender Freies Kombinat (FSK), der seit zwanzig Jahren über eine eigene Vollfrequenz verfügt. In Halle sendet Radio Corax seit dem Jahr 2000 auf einer UKW-Frequenz und Radio LOTTE in Weimar sendet seit 1999 auf UKW, seit 2015 rund um die Uhr. Radio LOTTE hat in der Weimarer Bürgerschaft einen festen Platz. Mehr noch: mit Überheblichkeit gifteten gut dotierte öffentlich-rechtliche Medien gegen Radio LOTTE, weil es 2013 für einen Beobachterplatz beim Münchner NSU-Prozess ausgelost wurde. Inzwischen ist allen klar, dass die Kontinuität, mit der Lotte den Prozess dokumentiert, von den Elefanten der Branche gar nicht erbracht werden kann. Radio Lotte hat damit deutsche Radio-Geschichte geschrieben.

Kati Nicke bei Aufnahmen zur Sendereihe „Es ist Zeit“ – Audio-Seminar zur Politischen Lyrik nach 1945 mit der Germanistin Sabine Volk, 2011 im Studio des Freien Radio Potsdam. | Foto: Antje Paufler
Kati Nicke bei Aufnahmen zur Sendereihe „Es ist Zeit“ – Audio-Seminar zur Politischen Lyrik nach 1945 mit der Germanistin Sabine Volk, 2011 im Studio des Freien Radio Potsdam. / Foto: Antje Paufler /

Andere Länder sind weiter

„Deutschland hinkt anderen Ländern hinterher, was die Freien anbelangt“, erläutert Tim. In Ghana, wo das Radio aufgrund der hohen Analphabetenquote enorm wichtig für Information, Kommunikation und Bildung ist, wird die Hälfte der Radiolandschaft durch freie Radios bestritten. Und in Indien treten freie, von Frauen gemachte Radios für Gleichberechtigung ein. „Frauen an die Technik! heißt es hier“, kommentiert Tim.
In der wohlgeordneten Medienwelt Berlin-Brandenburgs wird den Freien Radios offenbar nicht so viel zugetraut. Ob dies trotz des PI-RADIO-Werbespruchs: „Die unberechenbare Konstante“ geschieht oder genau wegen dieses Spruchs, sei dahingestellt. Doch dies könnte sich demnächst ändern. Im März entscheidet der Berlin-Brandenburger Rundfunkrat über eine Neuvergabe der 88,4 MHz-Sendefrequenz. Studio Ansage hat gemeinsam mit anderen Freien Radios Berlins und Potsdam einen Verein gegründet, der sich um die Vergabe bewirbt. Kati zählt fünf freie Radiostationen auf, die sich momentan die Sendefester auf 88,4 und 90,7 MHz teilen. „Die gemeinsame Planung eines 24-Stunden Sendebetriebs ist vom Aufwand her weniger problematisch, als die Aufteilung der Frequenz in einzelne Sendefenster und ihre Bespielung. Wir brauchen eine mittelfristige Perspektive“, betont sie. „Eine Evaluation zeigte, dass wir, die Freien, in Spitzenzeiten bis zu 70.000 Hörer hatten. Wir verstehen uns nicht als konkurrierendes, sondern als ergänzendes Format zu den anderen Radios, transparent arbeitend und zugangsoffen.“ Damit kommt sie auf das Selbstverständnis des Radios zu sprechen: „Ein Freies Radio muss auch mal mit Hörgewohnheiten brechen, muss auch mal anstrengend sein.“

Radiokonzert | Foto: Studio Ansage
Live in und aus der Kreutziger Straße, ein Radiokonzert: die Lange Nacht der Liedermacher und Literaten am 30. März 2016, Icke mit Gitarrist Sunny im StudioAnsage auf 88vier. / Foto: Studio Ansage /

Eine Alternative, die die Stadt bereichert

Etwa 350 Enthusiasten arbeiten bei den Berliner Freien Radios mit. Mitmachen bedeutet auch, die Kulturen der Menschen vor Ort mit einzubeziehen. Freie Radios senden zum Teil auch auf Türkisch, Englisch und Spanisch.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass Radio ist den letzten Jahren mit Ausnahmen zu einem seichten Unterhaltungsmedium geworden ist, das die Hörer mit oft unnötigen Tagesinformationen versieht und mit Werbung bedudelt. Dass man mit dem Medium Radio weitaus mehr machen kann, zeigen die Freien Radios, wie StudioAnsage in der Kreutziger Straße. Wer ein buntes Friedrichshain will, muss auch ein buntes Radio wollen. Hören Sie einfach mal rein: Montag bis Freitag zwischen 6 bis 1 Uhr.

www.studioansage.de

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