Import und Grossindustrielle Verarbeitung von Kaffee, Quelle: Brockhaus Lexicon 1908

Kaffeelust

 

Illustration einer Tischkaffeemühle, Quelle: Brockhaus Lexicon 1908
Die Tischmühle, schön gezeichnet. / Quelle: Brockhaus Lexicon 1908 /

Rund um die Bohne in Friedrichshain.

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Wer sich mit seinen Freunden treffen möchte, hat am Boxhagener Platz oder anderswo viel Auswahl an schicken Kaffeehäusern. Vor diesem Hintergrund erscheint die Kaffeekanne als ein Symbol biederer Gemütlichkeit. Und pittoresk wirken Werbeanzeigen für „Patentkaffeesorten“, wie sie im frühen zwanzigsten Jahrhundert angeboten wurden. 420 Marken standen dem Kunden zur Verfügung. Alle waren über Beimengungen „erweitert“.
Schon im frühen achtzehnten Jahrhundert wurden dem Kaffee geröstete Erbsen oder Brotkrumen beigemischt. Grund war der hohe Preis der importierten Bohnen. Siebzehn Gramm – oder ein Lot – entsprach dem Tageslohn einer Spinnerin. Um 1900 lag die Kaffeeweltproduktion bei über einer Million Tonnen (2016 waren es mehr also 8,6 Milliarden Tonnen). Davon kam die Hälfte als Sorte „Santos“ aus Brasilien. Aber der Bedarf in Arbeiterbezirken wie Friedrichshain war riesig und das Geld knapp. Wegen hoher Zölle und Steuern blieb das Importprodukt Kaffee teuer. Dank der „Zichorie“, der gerösteten Wurzel der Wegwarte – sie kam dem Geschmack echten Kaffees nahe und diente neben Mais oder Ziegelstaub als Zusatz für die echten Bohnen – wurde der Kaffee erschwinglich und fand reißenden Absatz beim einfachen Volk. Bürgerliche Kreise betrachteten diesen Konsum als „verschwenderisch.“

Der Kaffee war 1954 sehr teuer, Quelle: FHXB-Museum
1954 war der Kaffee viel zu teuer: 125 g kosteten in diesem Laden 10 Mark. / Quelle: FHXB-Museum /

Warme Mahlzeit

Diese feine Gesellschaft traf sich bereits 1769 im Kaffeegarten Schaub vor dem Stralauer Tor oder dem Kaffeehaus Bernau in der Krauts-Gasse. Hier konnte man Zeitungen lesen, politische Meinungen austauschen und Billardtische luden zum Spiel ein. Kult waren 1885 elegante Wiener Cafés mit elektrischer Beleuchtung. Für ein weniger feines Publikum wurde 1913 im Residenzcafé in der Blumenstraße eine „Filmbörse“ abgehalten. Junge Darsteller warteten hier auf ihre Chance, eine Komparsenrolle beim Film zu bekommen. Für sie und die meisten  Friedrichshainer war Kaffee ein Grundnahrungsmittel. Im Allgemeinen bestand die „Trilogie der Arbeiternahrung“ aus Kaffee, Kartoffeln und Branntwein. Wenn das Geld für die Kartoffeln nicht reichte, half der Kaffee, den Hunger zu betäuben. In den Kaffee eingeweichtes Brot war dann die Suppe des Tages.

Schmuggel mit Kaffee in schnellen Autos, Quelle: FHXB-Museum
Schnelle Autos brachten das wertvolle Gut von hier nach dort  / Quelle: FHXB-Museum /

Schmuggelgut für die Kaffeekanne

Berlin war einst von einer Zollmauer umgeben. Einlass gab es nur an den Stadttoren. Da über den Import viel Geld verloren ging, führte Friedrich der II. die Kaffeesteuer ein, die 1769 bei 150% des Produktpreises lag. Nun kamen die Kaffeebohnen versteckt in Sanduhren oder Kohlensäcken durch das Stralauer Tor in die Stadt, weshalb sogenannte Kaffeeriecher, meist Invaliden, als Steuereintreiber eingesetzt wurden.
Wegen Mangels war der Kaffeeschmuggel in Friedrichshain auch 1946 aktuell. Die Sowjetunion hatte wenige Devisen, aber viel Kaffee. Die vom sowjetischen Außenhandelsministerium gegründete Exportgesellschaft Rasno eröffnete Filialen in Ost-Berlin. Ein Teil ihrer Angestellten waren polnische Staatsbürger jüdischer Herkunft. Unmittelbar nach dem Krieg wurden diese wegen ihrer Herkunft in ihrer Heimat bedroht und verfolgt. Mit Hilfe jüdischer wie von den Sowjets verdeckt unterstützter Fluchtorganisationen kamen die Betroffenen nach Berlin, wo viele im amerikanischen Sektor Aufnahme fanden. Einige waren für Rasno tätig und trafen sich in der Kneipe Zastrow in der Barnimstraße 2. Ihre Aufträge erhielten sie in einer kleinen Rasnofiliale in der Mirbachstraße 2. Sie sollten Kaffee auf dem Schwarzmarkt gegen Wertgegenstände oder Devisen tauschen.

Kaffee war immer schon sehr beliebt. Bild: Kaffeeschmuggler, Quelle: FHXB-Museum
Versteckter Kaffeetransport / Quelle: FHXB-Museum /

Wurden die Händler zu kess, ordnete die sowjetische Zentral­kommandantur Maßnahmen an. Dann wurden Beamte des Friedrichshainer Gewerbe­außendienstes aktiv. Sie durchsuchten auf Grund einer vertraulichen Mitteilung am 19. Juni 1949 eine Wohnung in der Simon-Dach-Straße 36 und entdeckten drei Kilo Röstkaffee und sieben Kilo Kaffee zum Selberrösten. Mehr wurde in der Koppenstraße 58 gefunden. Im Hinterzimmer eines Ladens standen vier Säcke roher Kaffee und ein Zentner Röstkaffee. Erst nach gründlicher Durchsuchung einer Wohnung der Gabriel-Max-Straße 11 kam mehr als ein Kilo Rohkaffee an Tageslicht. Aber auch im Reformhaus Krossener Straße 23 wurde man fündig. Für 10 Gramm Bohnenkaffee zahlten Kunden drei Mark. Im Spezialangebot vom Friseursalon der Gubener Straße 43 standen 5-Gramm-Tütchen mit gemahlenem Bohnenkaffee zu zwei Mark zwanzig im Angebot. Preise in Höhe damaliger Stundenlöhne.
Rasno zog sich 1950 aus ihren dunklen Geschäften zurück. Zwecks Devisengewinnung förderte jetzt die Staatssicherheit den stillen Kaffeeexport über die Oberbaumbrücke nach Westberlin. Der blieb erfolgreich, bis die dortigen Kaffeepreise fielen. Bald stapelten sich Kaffeesäcke in den illegalen Großlagern in der Friedenstraße 26 und der Palisadenstraße 14, die bei allen Razzien ausgeklammert blieben. Die Händler wechselten kurzerhand ihr Hauptabsatzgebiet. Hunderte Kaffeesäcke gingen mit Fahrzeugen der Volkspolizei nach Leipzig, wo sie „unter der Hand“ für 10 Mark pro Viertelpfund weg gingen. Damit sah die Staatssicherheit den Bogen überspannt. Republikweit und mit großem Propagandaaufwand wurde im April 1955 die „Aktion Grün“ gegen „Schieber und Spekulanten“ in Gang gesetzt. Sie mündete Ende 1955 in einem Schauprozess gegen Haupt- und Nebenbeteiligte. Indes, die graue Eminenz der Schmuggler saß in einem  MfS-Stützpunkt in Westberlin, einer kleinen Pension am Kurfürstendamm.

Gute Pakete

700 Millionen Mark zahlte die DDR 1976 für Kaffeeimporte. Die Bürger gaben für diese aromaarmen und koffeinreichen Sorten durchschnittlich fast soviel wie für Möbel aus. Offiziell waren Rondo und Mona im Angebot und als Spezialmischung der wie in alten Zeiten erweiterte Kaffeemix. Der „gute“ Kaffee kam jedoch aus Westpäckchen auf den Tisch. Die Pakete unterlagen der Kontrolle des MfS im Postbahnhof. Wenn Knappheit drohte, verschwanden die Jakobs-Packungen aus den Paketen, um anderswo im Handel wieder aufzutauchen. Tausende Pakete wurden nicht nur ausgepackt, sondern ihre Inhalte auch fotografiert. Dekorativ ausgebreitet zeigt sich auf unzähligen Fotos die Genusswelt der Liebespakete, deren Inhalt, wenn er denn durchgelassen wurde, entweder einen hohen Tauschwert hatte oder gutes Geld wert war.

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