Seit mehr als 26 Jahren für Politik, Kultur und Kunst aktiv im Bezirk: Artur Schneider.
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Eine original eingerichtete Museumswohnung in der Karl-Marx-Allee, das wäre eine Attraktion des Bezirks, nicht nur für den Tourismus schlechthin, sondern gerade auch für die internationale Fachwelt: Designer, Architekten, Ingenieure und Historiker würden vor einem so einmaligen Objekt Schlange stehen. Zweifellos ließen sich mit einem soliden Konzept Einnahmen verzeichnen.
Dieses Projekt stand kurz vor Vollendung – und es steht möglicherweise immer noch. Doch Artur Schneider, der dieses und manch andere Projekte in Friedrichshain ins Leben gerufen hat, glaubt nicht mehr recht an die Realisierung.
Die behutsame Sanierung des ersten denkmalgeschützten Blocks wurde von der Investitionsbank Berlin gefördert. „Die Bank ist bereit, die Zweckbindung einer dieser Wohnungen für den Museumszweck aufzuheben, wenn die Fördersumme zurückgezahlt wird. Auch der Hauseigentümer hat nichts gegen eine solche Nutzung“, erklärt Artur Schneider. Aber dafür eine einmalige Summe über 19.000 Euro auszugeben, war niemand bereit. Inzwischen dürfte diese Summe höher sein. Einar Skjerven, der Investor, der am Strausberger Platz billig sanierte Wohnungen für viel Geld verkauft, wollte lieber in ein Café auf dem Dach investieren, als in grundsolide historische und politische Bildung.
Bedauern über mangelndes Interesse an historischer Bausubstanz
Ich sitze dem agilen, sportlichen und sehr viel jünger wirkenden Endsechziger mit kurzem grauen Haar und sympathischen, aufmerksam blickenden braunen Augen im Hinterhaus der Rigaer Straße 73 gegenüber, wo der eingetragene Verein „BUF“ (Bildungseinrichtung für berufliche Umschulung und Fortbildung) sein Domizil hat. Ein historischer Ort. Im Vorderhaus stehen die zum Abriss freigegebenen Eckhardtschen Häuser aus den Jahren 1875/76 – die ersten festen Wohnhäuser nördlich der Frankfurter Allee, gegossen aus Schlackebeton. Auch für deren Erhalt fand sich im Bezirk niemand bereit, weder der Investor, noch die Politik, und dies, obwohl sie auf der Berliner Denkmalliste stehen.
Neugierig blicke ich mich um. Etwa ein Dutzend Computerarbeitsplätze füllen den Raum, auf einigen lagern Bücherstapel. Das Muster einer Ausstellungstafel hängt vor einem Aktenschrank. Es sieht nach Arbeit aus. „Bis vor kurzem war das hier noch bewohnt“, bemerkt mein Gastgeber.
Soziales Engagement und politische Bildung
Artur Schneider leitet hier die 2005 gegründete Geschichtswerkstatt, die als Einrichtung des „BUF“ e.V. für eine Handvoll Langzeitarbeitslose eine „Arbeitsgelegenheit mit Mehrfachaufwandentschädigung“, kurz gesprochen MAE-Stellen eingerichtet hat. Zu den Aufgaben der Mitarbeiter zählen Kontrolle, Reinigung und mitunter auch Reparatur der insgesamt 40 Informationstafeln, die entlang der Karl-Marx- und Frankfurter Allee vom Strausberger Platz bis zur Proskauer Straße an markanten und historisch bedeutsamen Orten aufgestellt sind. Diese Kleinodien der politischen Bildung entstanden wie die Ausstellung im Café Sibylle unter der Leitung Artur Schneiders 2010. Immer wieder werden sie Ziel der Zerstörungswut achtloser Zeitgenossen.
Auch Menschen mit Problemen können Hochwertiges schaffen
Momentan wird ein Ausstellungsprojekt über Friedrichshain in der Zeit der NS-Diktatur realisiert. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass sie in Schulen gezeigt werden soll, ähnlich der Ausstellung über 28 Jahre Berliner Mauer, die seit 2010 ununterbrochen auf Reisen ist. „Da kann man jetzt mal was Neues anbieten“, bemerkt Artur Schneider lapidar. Wer seine Mitarbeiter sind? „Da sind Leute dabei, die kaum noch eine Chance auf einen qualifizierten Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Manche können nicht mehr, andere wollen auch nicht mehr, nach zahlreichen entmutigenden Erfahrungen.“ Artur Schneider gelingt es tatsächlich, sie mit seiner mitreißenden Art zur engagierten Mitarbeit an qualitativ hochwertigen Produkten zu motivieren. Dazu gehört schon etwas.
Café Sibylle – mehr als ein Veranstaltungslokal
Wohl am meisten bekannt unter seinen zahlreichen Projekten ist das Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee 72. Mehr noch, der Findigkeit Artur Schneiders ist es zu verdanken, dass der Glanz des Legendären nicht nur erhalten blieb, sondern auch stetig zunahm. Das Café mit seinem prägnanten, ja schon klassisch zu nennenden Schriftzug wurde 1953 als „Milchtrinkhalle“ eingerichtet und gehörte zu den Geschäften, die glücklicherweise die Schließungswellen nach 1990 überstanden und ab Ende der 1990er Jahre liebevoll saniert werden konnten. Mit einer anspruchsvollen historischen Ausstellung über die Geschichte der Karl-Marx-Allee seit den 1940er Jahren versehen, öffnete es 2001 erneut dem Publikumsverkehr. Artur Schneider gelang es, zusammen mit der Union Sozialer Einrichtungen, die Menschen mit psychischen Problemen Gelegenheiten zum Arbeiten verschafft, einen regelmäßigen Schank- und Kulturbetrieb zu organisieren. Binnen kurzem etablierte sich das Café zu einem beliebten Veranstaltungsort für Lesungen, Vorträge und Diskussionen, wobei oft Historisches im Vordergrund steht. Mit von der Partie war auch der damalige Leiter der benachbarten Karl-Marx-Buchhandlung, die nach mehreren Etappen des Verkleinerns ihr Geschäft leider aufgeben musste. Nur der Schriftzug und die holzgetäfelte Inneneinrichtung zeugen von der einstmaligen Buchhandelsinstanz in Friedrichshain.
Der Sohn eines Antifaschisten aus dem Rheinland
Gibt es eine Berufsbezeichnung für das, was Artur Schneider arbeitet – und eine Berufsausbildung? Als der gelernte Elektroschweißer 1972 aus Hoyerswerda nach Berlin kam, lagen prägende Erfahrungen durch die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte hinter ihm und seiner Familie. Manche Einwohner der „Frontstadt“ Berlin haben weniger erlebt.
„Ich wurde zweimal eingeschult!“, erklärt Artur Schneider. „Einmal im Westen zu Ostern und dann ein halbes Jahr später am 1. September in der DDR. Aber eine Schultüte bekam ich nur bei beim ersten Mal!“ Er lacht über diese Erinnerung.
Die Erklärung dieser rätselhaft erscheinenden Worte hängt mit den Umständen der deutschen Nachkriegsjahre zusammen. Sein Vater, ein aus dem faschistischen Zuchthaus entlassener Antifaschist, lebte in Essen als linker Sozialdemokrat, dem die friedliche Vereinigung der Arbeiterparteien als plausibel erschien. Aus Unverständnis gegenüber der ablehnenden Haltung seiner Partei gegen die Vereinigung war er 1946 der KPD beigetreten. Diese schickte ihn, nachdem er wegen des Übertritts berufliche Schwierigkeiten bekam, 1954 samt Familie in die DDR, und zwar nach Zittau. „Mit den Kindern aus den ersten Ehen meiner Eltern waren wir zeitweilig sieben Kinder!“
Seine rheinländischen Eltern fiel es nicht leicht, sich an Sprache und Mentalität der Zittauer zu gewöhnen. Doch der Vater war ein aktiver Mensch, engagierte sich im Stadtrat und wurde BGL-Vorsitzender einer Weberei, konnte aber erst nach zehn Jahren der SED beitreten. Noch länger – bis Ende der 1970er Jahre – verwehrte man ihm die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes. „Für mich hingegen war es relativ einfach. Ich konnte immer schnell die Mitschüler für mich einnehmen.“
Nicht ohne Probleme
Als seine Eltern nach Hoyerswerda umzogen, musste er mit seinen 16 Jahren mitziehen. Ihm wäre es lieber gewesen, zu bleiben – er hatte sich sogar selbstständig eine Lehrstelle besorgt. Doch der Vater war dagegen und kündigte sie. Dennoch sattelte Artur Schneider später beruflich um. Er setzte ein staatswissenschaftliches Studium in Babelsberg und Karlshorst drauf und wurde Abteilungsleiter im Forschungszentrum Biotechnologie und Bereichsleiter für Forschungsökonomie. „Was wir damals im Betrieb machten, war gar nicht schlecht“, erinnert er sich. „Es haperte, wie so oft, an der industriellen Umsetzung.“ 1993–1995 schloss er ein weiteres Studium der Betriebswirtschaft ab.
Mit Begeisterung Friedrichshainer
1978 zog Artur Schneider nach Friedrichshain in die Neue Bahnhofstraße. Warum dieser Bezirk? Der Grund war rein praktischer Natur: Das Forschungszentrum Biotechnologie, in dem Artur Schneider arbeitete, befand sich in Stralau. „Ich war begeistert von der Infrastruktur. Es gab in der Straße, in die ich gezogen war, einen Fleischer, einen Bäcker, einen Gemüseladen und Kneipen!“
Erst, als er 1997/98 eine schöne Wohnung für seine fünfköpfige Familie suchte, und sie in Friedrichshain nicht fand, baute er ein Haus in Kaulsdorf.
Politische Aktivitäten
Artur Schneider glaubte 1989 an den Reformwillen der SED-PDS und versuchte sogar zwei Jahre lang, in der großen Politik mitzumachen. „Aber das klappte nicht“, erklärt er und kommentiert lachend: „Ich bin eben nicht so der Funktionärstyp.“ Dennoch blieb er politisch tätig. Von 1992 bis 2006 war er Bezirksverordneter für die Linkspartei und saß für sie unter anderem im Bildungs-, Bau- und Wirtschaftsausschuss und war seit 1999 Vorsitzender des Letzteren. Seit einigen Jahren arbeitet er auch als kompetenter Ansprechpartner in der Erinnerungslandschaft Friedrichshain mit, einem losen Bündnis von lokalen Geschichtsvereinen, das dem Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg bei seinen Arbeiten zum Thema Friedrichshain unterstützt.
„Kiezarbeit ist politische Arbeit“, betont er. „Hier etwas für die Leute zu machen, die hier wohnen und die hinzuziehen, Leben für Kultur und Kunst, das ist wichtig.“
Nach mehreren Jahren als Bezirksverordneter und bis 2013 verantwortlich für Kultur und Betrieb des Cafés Sibylle, war die Energie verbraucht. „Ich konnte einfach nicht mehr von Montag bis Sonntag im Café präsent sein.“ Er suchte nach Leuten, die das Café betreiben würden und war nicht immer glücklich mit den gefundenen Lösungen. Auch gegenwärtig empfindet er das Verhältnis zu den Betreibern des Cafés Sibylle als nicht optimal. Doch Artur Schneider wäre nicht er selbst, wenn er deswegen alles hinwerfen würde. Er hält Kontakt, unternimmt immer noch Führungen und schaut, ob in der Ausstellung noch alles am richtigen Platz ist. „Sibylle ist mein Erfolg!“, sagt er stolz. „Das lasse ich mir nicht nehmen.“
Solange Friedrichshain über solche Orte verfügt, deren Existenz nicht allein vom Gewinnstreben ihrer Inhaber abhängt, bleibt der Bezirk lebenswert.