Die Autorin und Kabarettistin Barbara Friedl-Stocks Barbara Friedl-Stocks. Foto: Dirk Moldt

Sex und Drugs und Hexenschuss

Die Autorin und Kabarettistin Barbara Friedl-Stocks Barbara Friedl-Stocks. Foto: Dirk Moldt
Barbara Friedl-Stocks. Foto: Dirk Moldt

Die Autorin und Kabarettistin Barbara Friedl-Stocks.

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Waschechte Berliner bilden sich etwas auf ihre solide Grundausstattung mit schlagfertigem Mutterwitz ein. Herz mit Schnauze, wie man so schön sagt. Dies trifft jedoch nur auf diejenigen zu, die Barbara Friedel-Stocks, eine Rucksack-Berlinerin aus dem Odenwald, noch nicht kennengelernt haben. Seit ehedem ist Berlin ein Ort der Zuwanderer, und zugegeben, viele der besten Berliner kommen von außerhalb. Einen Grund ihrer Schlagfertigkeit sieht Barbara darin, dass sie von den vier Diskriminierungsstufen weiblich, Arbeiterkind, katholisch und vom Land alle für sich beanspruchen darf. Letzere beide Eigenschaften sind für Berlin eher untypisch. Barbara wohnt seit 1999 an der Samariterkirche mit Blick auf die Turmuhr und wundert sich, dass sich die Nachbarn über das gelegentliche Geläut beschweren: „Die sollten mal ins Rheinland gehen, speziell nach Mainz, wo immer irgendeine Kirche bimmelt!“
Ihr Porträt könnte Barbara eigentlich selbst schreiben und am besten dann sogar noch vortragen. In ihrem neuen Buch „Vokuhila. Als scheiße aussehen Mode war“ lässt sie mit autobiografischen Geschichten die 1980er Jahre Revue passieren. „In den 80er Jahren hatten wir sehr viel Sex. Das lag vor allem daran, dass unsere Klamotten so hässlich waren, dass wir sie gar nicht schnell genug ausziehen konnten.“ So geht es los. Das Werk ist unter ihrem Künstlernamen Helene Mierscheid bei dtv und merkwürdigerweise in der Abteilung Sachbuch erschienen.
Weil es ein Vergnügen ist, mit Barbara zu plaudern, wollte ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, sie selbst zu befragen.

Barbara Friedl-Stocks im zarten Alter von vier Jahren. Barbara weist auf das Satanszeichen, das sie mit ihrer rechten Hand macht.
Im zarten Alter von vier Jahren. Barbara weist auf das Satanszeichen, das sie mit ihrer rechten Hand macht. / Foto: Privat

Kindheit und Jugend – dörflich aber nicht romantisch

Aufgewachsen ist sie als Tochter eines Chemiearbeiters als dritte von vier Schwestern im Odenwald, in einer sich lang hinziehenden Gemeinde, die den schönen Namen Wald-Michelbach trägt. Für Berliner ist das schon die Provinz der Provinz. Der Ort ist zu groß, als dass sich die Nachbarn verantwortlich umeinander kümmern, zu klein hingegen für großstädtische Anonymität. „Die Wald-Michelbacher würden sich als prinzipienfest bezeichnen“, bemerkt Barbara spitz. Als sie einmal per Anhalter unterwegs war, fuhr ihr Onkel an ihr vorbei und winkte ihr freundlich zu. Aber stehen bleiben kam nicht infrage, denn Tramper werden grundsätzlich nicht mitgenommen. „Da, wo ich herkomme waren wir nicht die Generation Golf, wir waren höchstens die Generation Minigolf“, schreibt sie, und mit Blick auf die Männer des Örtchens: „Für die war Minigolf richtig Golf.“
Ihr Berufswunsch, Redakteurin bei der „Odenwälder Zeitung“ zu werden, scheiterte ebenfalls an einem Prinzip, nämlich am ungeschriebenen Gebot des Verlegers, die Einstellung weiblicher Kräfte, die noch Kinder bekommen können, nicht zu gestatten. Folgerichtig verließ sie die Heimat und studierte in Bonn und York Soziologie, Politikwissenschaft und Germanistik. „Die besten Voraussetzungen für den Beruf der Taxifahrerin“, fügt sie hinzu. Ihre Zeit an der Universität brachte sie mit fleißigem Studium zu, allerdings war es nicht immer nur der Studienstoff, der sie interessierte. Mit Hingabe widmet sie sich auch den Menschen, Studentenprotesten, politischen Kampagnen, wie auch Speisen, Getränken und dergleichen. Ein bisschen Welterfahrung kam durch ihren Studienaufenthalt in England hinzu. Ihr Interesse an Politik, die Fähigkeit, in kurzer Zeit Texte zu verfassen sowie eine gehörige Portion Glück verdankte sie 1995 die Einstellung als Referentin eines SPD-Abgeordneten im Bundestag.
Was das alles mit Friedrichshain zu tun hat? Die große Politik würfelte es zusammen: Berlin wurde Regierungssitz, alle Abgeordneten tagten von nun an im Reichstag und nahmen ihre Büros samt Einrichtung und alle habhaften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit.
Seither lebt Barbara in Friedrichshain. 

Die Autorin und Kabarettistin Barbara Friedl-Stocks. Foto: Dirk Moldt
Barbara Friedl-Stocks am wohl coolsten Arbeitsplatz im ganzen Doppelbezirk. Foto: Dirk Moldt

Sprung ins Kabarett

Manche fragen sich, wie die wissenschaftliche Referentin eines Bundestagsabgeordneten zum Kabarett kommt. Andere fragen: „Wieso nicht? Bei der Vorprägung in diesem Milieu?“
In der Tat hatte ihr Berufswechsel etwas mit ihrer Arbeit im Bundestag zu tun. Unter den zahlreichen Mühen, die Bundestagsabgeordnete ihren Mitarbeitern überlassen, gehört auch der Besuch von Kursen, die sie selbst dringend notwendig hätten. „Wahrscheinlich glauben die Abgeordneten, dass sich das von den Mitarbeitern erworbene Wissen über Osmose auf sie überträgt.“ Bei ihr war es ein Rhetorik-Kurs, in der sie eine Präsentation verpatzte. Ihre Bemühungen, sich zu korrigieren, machten alles noch schlimmer. Als sie fertig war, bemerkte sie, dass sich die Kursteilnehmer vor Lachen auf den Bänken krümmten. Auf dem Video, das von ihrer Präsentation aufgenommen worden war, sah sie, wie urkomisch das alles war. Nur der Kursleiter fühlte sich veralbert und meinte mit süßsaurer Miene, dass der Quatsch Comedy Club ein paar Hausnummern weiter läge. „Und da bin ich dann hingegangen.“

Kein Jux-Job

Eine schöne Geschichte zum Weitererzählen. Dass sie andere gern zum Lachen bringt, geht aus der Lektüre ihres Büchleins hervor. Barbara lässt aber keine Zweifel daran aufkommen, dass Kabarett weitaus mehr ist, als kultiviert so zu tun, als bekäme man nichts auf die Reihe. „Man muss das Publikum lieben und zu dem stehen, was man sagt. Es darf nichts geschwindelt sein. Und man sollte das Publikum nicht für blöd halten, so wie es das Fernsehen tut. Daher kommt auch das anspruchslose Programm.“ Und Kabarett bedeutet Arbeit: Zehn Prozent sind Inspiration, neunzig Prozent Transpiration – in Anlehnung eines Spruchs den schon der Erfinder Thomas Edison geprägt hat.
„Ich kam mit vierzig auf die Bühne“, berichtet sie weiter. „Da hatte ich keinen Welpenschutz. Man muss schon einstecken können!“ Womit sie meint: Frau muss einstecken können. Nur wenigen ist bekannt, dass die Kabarett-Szene eine hart umkämpfte Männer-Domäne ist. Viele Veranstalter glauben, dass es nicht gut sei, zwei Frauen in einer Show auftreten zu lassen. „Einer wollte mich sogar aus einer Veranstaltung rausschmeißen, weil es schon eine andere Frau gab. Die glauben tatsächlich, es käme dann automatisch zu thematischen Überschneidungen.“ Frauen werden auf der Kabarett-Bühne völlig anders bewertet als Männer. Gibt ein Mann eine schwache Vorstellung, heißt es, er hatte einen schlechten Tag. Bei einer Frau heißt es sofort: Was will denn so eine auf der Bühne?
Auch die Moderation ist eine Männerdomäne, in der sie sich durchgesetzt hat. Das machte auch anderen Frauen Mut, sich nicht mehr länger zurückzunehmen. Ihr Wissen aus dem Studium der Soziologie kommt ihr bei der Arbeit ebenso zugute wie ihre politische Bildung. Barbara engagierte sich bis 2003 in der SPD, als im Rahmen der Agenda 2010 die Hartz-Reformen mit ihren entwürdigenden Sozialleistungen beschlossen wurden. „Ich trete aus der SPD aus, weil ich Sozialdemokratin bin“, lautet es in ihrer Erklärung.

Nicht nur Kabarett

Doch bevor es zum Kabarett ging, schlug sie einen anderen Berufsweg ein. 2005 beendete sie ihre Arbeit im Bundestag und gründete eine Veranstaltungsagentur. Ermutigt durch ihre besten Beziehungen zu den Mitarbeitern im Bundestag organisierte sie Events und vermittelte Künstler. Sie scheiterte aber. „Die haben mir das nicht abgenommen, dass ich das auch kann und lieber über andere Agenturen gebucht“, erklärt sie. Außerdem konnte sie nicht mit den Komplettanbietern, die bis zu den Schnürsenkeln des Busfahrers alles im Programm haben, mithalten.
2007 trat Barbara erstmals bei Jugendweihefeiern auf. Vielleicht dachten die Veranstalter, schlechter als die langweiligen Reden eines drittklassigen Parteifunktionärs wird es nicht werden. Doch als „Mutter Müller“ überzeugte sie gemeinsam mit der Partyshowband „Sowieso“ als ihre renitente Familie. Was ursprünglich als Gastspiel für zwei Jahre gedacht war, wurde wegen des großen Erfolgs der lustigen Truppe am Ende sechs Jahre.
Barbara schreibt auch, und das mit Erfolg. Ihr Kinderbuch: „Der magische Buchladen“, das sie mit zwei Kindern zusammen geschrieben hat, ist seit 2008 in der dritten Auflage erschienen. Es gibt auch zwei Nachfolgebücher, die aber noch nicht ganz so gut laufen. Ihr großer Wunsch ist es, die Figuren, die sie beschrieben hat, als Trickfiguren in einem Film lebendig zu sehen.

Sex und Drugs und Hexenschuss. Das aktuelle Programm von Barbara Friedl-Stocks, a.k.a. Helene Mierscheid.
Das aktuelle Programm von Barbara Friedl-Stocks, a.k.a. Helene Mierscheid.

Kunstfigur prosaisch

Auf der Bühne wird Barbara zu Helene Mierscheid, ihres Zeichens Ehefrau eines Politikers und deshalb berufen zur Politiker- und Lebensberaterin. Vom Publikum lässt sie sich Fragen und Sorgen aufschreiben, die sie dann vorliest, kommentiert und mit guten Ratschlägen bedenkt. Den Vorwurf, dass sie dabei schummelt und selbst geschriebene Fragen vorliest, erheben nur Leute, die Barbara nicht kennen. „Schlagfertigkeit kann man lernen“, sagt sie. Das ist ein bisschen zu bescheiden, denn sicher kann und muss man Schlagfertigkeit trainieren. Aber das erklärt Helenes Bonmots unzureichend. Sie ist einfach ein Original.
Allgemein zugenommen haben Bühnenspäße an der Grenze zur Banalität oder zur Geschmacklosigkeit. Doch solange Helene Mierscheid auf der Bühne steht, werden geistreiche Politikerwitze wohl nicht aussterben. Und das liegt nicht nur an den Politikern. Ihre Programme schreibt sie selbst. Ideen kommen manchmal von allein. Bei der Eröffnung eines Supermarkts trug sie vor Mitarbeitern und dem mittleren Management ein Programm aus skurrilen Obst- und Gemüsewitzen vor, das auf wenig Verständnis stieß. Supermarktmitarbeiter scheinen ihren eigenen Humor zu haben, denn zum Abschluss wurden ihnen, die gleich den Laden aufmachen mussten, riesige Präsentkörbe voller Lebensmittel überreicht. Zum einsortieren?

Immer noch Westlerin?

Was müssen Kabarettisten noch haben? „Resilienz“ lautet die Antwort. Klingt ein bisschen wie Petersilienz und meint die Fähigkeit, Krisen zu meistern. Früher nannte man so etwas dickes Fell.
Ob sie sich als Zugereiste diskriminiert fühlt, will ich wissen. „Eigentlich nicht“, erwidert sie. Ein befreundeter Kollege sagte ihr: „Nach fünfzehn Jahren Friedrichshain und sechs Jahren Moderation bei Jugendweihen darfst du dich als Ostlerin fühlen.“
„Ich glaube, über einen Humorstil zu verfügen, der auch von Ostdeutschen verstanden wird. Die haben das Zwischen-den-Zeilen-Lesen gelernt und denken Andeutungen weiter.“ Nicht unter die Gürtellinie zielen und auch nicht zynisch werden, gehört ebenfalls dazu.
Vorurteile sterben wohl ebenso wenig aus, wie die Dummheit. Einerseits schmückt man sich mit dem kreativen Potential, das hier lebt, mit Leuten, die sich mit nicht gerade üppigen Einnahmen und ungewisser Zukunft abmühen, andererseits hängt man ihnen lebenslang ein Fremdsein an. Provinz in der Szene.

Wer mehr über Helene Mierscheid wissen will:
www.helene-mierscheid.de

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