Der Buchbinder Jan Christodulow in der Druckwerkstatt Regel, Samariterstraße 7.
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Die beiden links und rechts neben dem Hauseingang der Samaritertstraße 7 liegenden Geschäfte mit der Aufschrift „Druckerei Regel“ sehen aus, als wären sie immer schon da gewesen – und sie sind es auch. Die Druckereigeschäfte bestehen, seit das Haus 1900 gebaut wurde. Mich empfängt Jan Christodulow, ein mittelgroßer, freundlicher Mann mit offenem Blick. Seit Kurzem ist er mit seiner Partnerin Dörte Regel dabei, die alte Druckerei, die Klaus Regel an sie abgegeben hat, wieder in Schwung zu bringen. Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, den Buchbinder in seiner Werkstatt in der Proskauer Straße zu besuchen. Solides Handwerk einerseits und andererseits die Frage, wer heute noch Bücher binden lässt, das interessiert mich. Doch ein Zettel an der Tür informierte mich, dass der Inhaber mit seiner Werkstatt in die Samariterstraße 7 gezogen ist. Also, wer lässt eigentlich Bücher binden? Die Antwort fällt prompt und überraschend: „Alle. Studenten, die ihre Arbeiten nicht im gewöhnlichen Copy-Shop binden lassen wollen, die Oma, die für ihre Familie ein paar Erinnerungen aufschreibt, Hochzeitspaare, die Fotos zusammengestellt haben, Punks kommen mit Comics, Firmen mit ihren Werbungen. Wir arbeiten für besondere Anlässe. Außerdem reparieren wir Bücher, alte Kochbücher aus dem Familienbesitz zum Beispiel. Alles woran die Leute hängen.“ Bibliotheken gehören jedoch nicht zu den Auftraggebern. Diese schreiben ihre Aufträge aus. „Da tobt ein harter Preiskampf, und ich würde da nur auf Sozialhilfe- Niveau arbeiten.“
Im Stadtteil umhergezogen
Die erste Buchbinder-Werkstatt von Jan Christodulow befand sich am Boxhagener Platz und die lief eigentlich gut. „Zuerst habe ich diese Arbeiten nur gelegentlich übernommen.“ Es gab bis 2004 noch die Auflage, dass nur Meisterbetriebe sich Buchbinder nennen durften. Nach einigen Jahren erwies sich die Werkstatt als zu klein. 2010 zog er in die Proskauer Straße, eine ganz andere Gegend als am Boxi. „Abgesehen vom Straßenlärm, ist es eher ruhig dort. Keine Touristen. Wenn ich mich abends mal vor den Laden stellte, um eine zu rauchen, kam höchstens mal ein Betrunkener vorbei. Hier bin ich wieder mitten drin.“ Seine Bücher ließ er in der Druckerei Klaus Regel beschneiden, der eine starke Schneidemaschine besaß. So lernte er auch seine jetzige Partnerin und Lebensgefährtin kennen, mit der zusammen er Druckerei und Buchbinderei vereint hat und gemeinsam führt. Als wüsste er, dass von ihm die Rede ist, kommt der alte Druckereibesitzer selbst in den Laden. Er hat eine kleine Druckmaschine mit nach Hause genommen, um in Übung zu bleiben. Er hatte die Druckerei in den 1990er Jahren übernommen. Über den ersten Drucker in dieser Werkstatt weiß Klaus Regel zu berichten: „Die Frau dieses Druckers hat das Haus gebaut und sie hat den Fußboden mit drei Balken besonders abstützen lassen, damit die schweren Maschinen hier stehen können. Der Buchdrucker, Paul Reich, hat dann später im Keller Flugblätter gegen die Nazis gedruckt.“
Mit den Augen des Künstlers
Die Neigung, Buchbinder zu werden, war bei Jan Christodulow immer schon da, schon als Kind. Aufgewachsen ist der gebürtige Friedrichshainer in Alt-Hohenschönhausen. Als die Neubaugebiete gebaut wurden, entstand auch ein riesiger Abenteuerspielplatz: Betonelemente eigneten sich hervorragend zum Klettern und Versteck spielen. Im Sommer bildeten sich in den riesigen Wasserpfützen richtige kleine Biotope. „Aber mit zwölf entdeckte ich dann wieder die Innenstadtbezirke.“ Ausgeübt hat er viele Berufe, als Maler, als Elektriker, zwischendurch als Buchbinder und dann wieder als Fahrradkurier. „Das waren alles Dinge, die ich gern gemacht habe.“ Auf seinen Touren als Fahrradkurier kam er immer wieder auch in Werkstätten. „Das gefiel mir. Irgendwann dachte ich, in so einer Werkstatt wirst du auch mal arbeiten.“ Warum wurde es nichts mit der Kunst? „Ich hab schon besser als andere verkaufen können“, erwidert der Buchbinder, „aber welcher Maler kann gut von seiner Bildern leben? In meiner damaligen Wohngemeinschaft stand ich noch an der Staffelei, wenn die ersten aufstanden, und als sie abends nach Hause kamen, stand ich wieder an der Staffelei. Dann fragten die mich allen Ernstes, warum ich nicht arbeiten gehe. Dabei habe ich täglich 12 Stunden gearbeitet.“ Allerdings hilft der an der Gestaltung geschulte Blick, auf die Wünsche von Kunden einzugehen. „Gerade im kreativen Bereich sind die Ansprüche an Studentenarbeiten enorm gestiegen. Auf Sonderwünsche kann ich da sehr gut eingehen und Tipps geben. Manche kommen auf den letzten Drücker. Einige berichten enttäuscht von Buchbindern, die überhaupt kein Verständnis für Extrawünsche haben und irgendwann genervt ihre Kunden mit dem Spruch: ‘So macht man das nicht!’ vergraulen. Wir hingegen machen, was andere nicht hinkriegen.“ Solche besonderen Arbeiten haben ihren Preis, der von den Studenten auch gezahlt wird. „Fotografen lassen bei mir für Präsentationen aufwändige Kassetten anfertigen. Und einmal habe ich sogar ein Riesenbuch für einen Film hergestellt, aus dem ich dann die Seiten ausscheiden musste, damit es leichter wird. Das sollte ein Kind tragen.“
Das alte Gewerbe bleibt
Allerdings wird hier auch das andere Standbein, die Druckerei bedient. Den guten Namen der Druckwerkstatt Regel führt seine Tochter weiter. „Wir sind eine Akzidenz-Druckerei. Akzidenzen waren ursprünglich kleine Aufträge, die nicht zum Hauptgeschäft der Drucker gehörten, wie etwa kleine Anzeigen oder Visitenkarten, mit denen sich die Drucker etwas dazu verdienten.“ Jetzt aber machen solche Aufträge, wie aufwändig gestaltete Einladungs- oder Visitenkarten, oft in eher kleinen Auflagen, die Haupteinnahme aus. Unter den Kunden befinden sich auch Botschaften, die mehrfarbig mit Gold- und Platin drucken lassen. Über die Jahrzehnte haben sich viele herrliche Schriften und Druckplatten mit unterschiedlichsten Motiven angesammelt, die an sich schon einen unbezahlbaren Wert darstellen. „Offset- Drucke lassen wir bei uns von Kollegen drucken. Ich selbst werde mich jetzt aber auch in die Geheimnisse dieses Handwerks vertiefen.“ Es wird sicher nicht die letzte Fortbildung für Jan Christodulow sein. Lebenslanges Lernen gehört heute zum Berufsalltag, besonders wenn es um den Erfolg eines solchen Kleinodes wie diese Druckerei geht. Möge sie auch die nächsten 118 Jahre fortbestehen.
Das ist ein echt spannender Artikel zum Thema Buchbinder. Ich werde mich dazu mal noch etwas mehr informieren.
Interessant zu wissen, dass die vorgestellte Druckwerkstätte bereits seit 1900 bestehen. Mein Onkel nimmt die Dienste von Druckereien oft in Anspruch. Er hält die Druckerei für eine Branche nicht nur mit reicher Geschichte, sondern auch mit schöner Zukunft.
Ich war vor Kurzem zum ersten Mal in einer Druckerei. Sie war ähnlich alt und ich war von dem Flair sehr angetan. Auch schön, dass hier auch Buchbinderei angeboten wird. Da hätte ich sicher einige Bücher, die eine Restaurierung benötigen.
Ich suche eine Buchbinderei. Dank des Artikels weiß ich nun, dass es einige Druckereien mit langer Geschichte gibt. Ich werde mal schauen, dass ich auch eine solche unterstütze.
Ich finde es super, dass es noch diese Druckwertstätte gibt. Heutzutage scheint vieles ja überholt zu werden. Mein Bruder arbeitet auch in einer Druckerei für Flyer und berichtet mir häufiger davon.