Die Böhmische Brauerei ebenfalls um 1900, Quelle: privat

Das Böhmische Brauhaus

Postkarte: Böhmisches Brauhaus
Ansicht der Böhmischen Brauerei auf einer Postkarte. Der Text von unbekannter Hand lautet:
Freitag, den 18. Juni 1905. Liebes Fräulein Käthe! Wir sitzen hier gemütlich im Begas und grüßen Sie und Ihre lieben Angehörigen herzlichst. Ihre Inge. ES LEBE DER WEIN UND LIESCHEN. BRLS.

von Natalie Prinz.

Anfang dieses Jahres ist er erst gefallen, der weithin sichtbare Schornstein des ehemaligen Böhmischen Brauhauses auf dem Gelände zwischen Landsberger Allee, Frieden- und Pufendorfstraße. Hier, am nordwestlichsten Zipfel des Bezirks, schien die verbliebene Ruine eines Teils der ehemaligen Brauerei lange unter dem Radar von Stadtentwicklern und Investoren zu liegen. Ein Paradies für Sprayer, Graffiti-Künstler und Heerscharen von Foto-Jägern, auf der Suche nach den letzten ‚lost places‘ der Stadt. Von der Landsberger Allee aus gesehen leicht nach hinten versetzt, im Sommer zudem schön versteckt hinter hohen, dichten Büschen und ein paar Birken, waren die verbliebenen Gebäude ein wunderbarer Abenteuerspielplatz. Bis zuletzt war in die vor sich hin rottenden Backsteinbauten so leicht einzusteigen, dass sie nur vergessen sein konnten.
Gegründet wurde das Böhmische Brauhaus als Familienbetrieb. Der Berliner Jurist Armand Knoblauch, Spross einer angesehenen und einflussreichen Bürgerfamilie, erwarb das 20.000 qm großes Areal 1868 aus privater Hand. Zu dieser Zeit war das Gelände noch ein ländlicher Hügel vor den Toren Berlins. Das alte Landsberger Tor, Teil der Stadtmauer, stand auf dem heutigen Platz der Vereinten Nationen. Nur den auch heute noch angrenzenden Friedhof gab es schon, hier lagen zu dieser Zeit die Armengräber.
Knoblauch setzte es sich zum Ziel einen modernen Betrieb aufzubauen, in dem ein helles, edelhopfiges Bier nach böhmischer Art gebraut werden sollte. Im Gegensatz zu den damals aus hygienischen Gründen oft verunreinigten Bieren aus zahllosen Kleinstbrauereien. Was ihm innerhalb kürzester Zeit gelingen sollte. Dem Vorhaben kamen auch die 10 Meter Gefälle des Geländes zugute, denn dieses ermöglichte die Schaffung von zwei- und dreigeschossigen Kellergewölben mit insgesamt 3.000 qm Fläche. Im lehmigen, kühlen Baugrund ließ sich sogar bis zu 14 Metern Tiefe ganz hervorragend das benötigte Eis zur Kühlung verwahren. Als Mann des Fortschritts setzte Knoblauch aber schon bald auf eine Kältemaschine, die Gewölbe wurden reine Lagerräume.
Innerhalb weniger Jahre stieg die Nachfrage nach dem reinen Bier aus dem Böhmischen Brauhaus derart an, dass man zu einer der bedeutendsten Brauereien der Stadt wurde und expandieren konnte. Parallel dazu entwickelte sich auch der technische Fortschritt in Sachen Braukunst. Das Areal wurde zur Friedenstraße hin erweitert und dort eine nach neusten Maßstäben konstruierte pneumatische Mälzerei gebaut. Wenig später, 1898, rollte dann das erste Biertransportauto Berlins vom Hof der Böhmischen Brauerei.

Die Böhmische Brauerei ebenfalls um 1900 aus gleicher Perspektive. Finden Sie 5 Unterschiede? / Quelle: privat /
Die Böhmische Brauerei ebenfalls um 1900 aus gleicher Perspektive. Finden Sie 5 Unterschiede?
/ Quelle: privat /

Kurioser Klassenkampf

Der ganze Fortschritt hatte, nicht zu vergessen, auch seine Schattenseiten. Dies waren die Jahre der Industriellen Revolution und die fand auf den Rücken der Arbeiter statt. In Berlin wurde im Mai 1894 eine ganz besondere Form des Protestes initiiert, um sich gegen die Ausbeutung in den hiesigen Brauereien zu wehren: Der ‚Berliner Bierboykott‘. Nachdem viele Böttcher, die rund um die Uhr Fässer zimmern mussten, am 1. Mai auf den Straßen für höhere Löhne und einen 9-Stunden Arbeitstag kämpften, wurden 455 von ihnen von Großbrauereibesitzern ausgesperrt. Die Zunft zeigte sich solidarisch, man trat in den Streik und Paul Singer, sozialdemokratischer Stadtverordneter, forderte alle Arbeiter dazu auf, kein Bier mehr zu trinken, welches aus Mitgliedsbetrieben des Brauerverbandes „Ring“ stamme. Das Proletariat folgte dem Aufruf, doch die Industriellen zeigten sich zunächst unbeeindruckt. Da aber vor allem der Bierkonsum der Arbeiter für die satten Gewinne der Berliner Großbrauereien sorgte, waren sie nach acht Monaten sinkender Umsatzzahlen schließlich zu Kompromissen bereit. Es gab mehr Lohn, die dafür zu leistenden Arbeitsstunden wurden gesenkt. Auch im Böhmischen Brauhaus.
1922 fusionierte das mittlerweile in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Unternehmen mit der in Hohenschönhausen ansässigen Löwenbrauerei zur ‚Löwenbrauerei-Böhmisches Brauhaus AG‘. Unter dem Markennamen ‚Löwen-Böhmisch‘ brachte man Urgold-, Export-, Bock- und Caramel-Bier auf den Markt. Und das berühmte ‚Pilsator’, das zwar nach Pilsner Brauart entstand, aber doch ganz anders schmeckte. Das ‚Pilsator‘ enthielt mehr Hopfen und weniger Malz als ein Pils, was es bitterer im Geschmack machte.

Turm der Auferstehungskirche, Foto: Dirk Moldt
Blick von der Landsberger Allee über das ehemalige Brauereigelände zum Turm der Auferstehungskirche. / Foto: Dirk Moldt /

Genuss und Sport

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Erfolgsgeschichte der Böhmischen Brauerei abrupt zu Ende. Die Anlagen wurden schwer beschädigt, Bier wurde hier nie wieder gebraut. Aber das Areal mitsamt seinen Gebäuden und Kellern fand nach Ende des Krieges neue Verwendung.
Zunächst lagerte die Rote Armee hier Lebensmittel und Getränke. Dann wurden die Kellergewölbe von 1952 bis 1992 von der ‚Berliner Weingroßkellerei‘, dem größten Weinlager der ehemaligen DDR, genutzt. Auch bekannt als ‚Honeckers Weinlager‘. Gerüchte, nach denen es hier ausschweifende Gelage gegeben hat, halten sich hartnäckig. Zur gleichen Zeit zog der Sportverein ‚SG Empor Brandenburger Tor 1952 e.V.‘ ein. Imposante Sporthallen für Leichtathletik und Ballspiele, eine Sauna, ein Billardraum und zwei Kegelanlagen gehörten zum Angebot.
Nach der Wende kamen die Projektentwickler und restaurierten als erstes die alte Mälzerei. Büros zogen ein. Auf der Industriebrache oberhalb der Mälzerei soll das ‚Forum Friedrichshain‘ entstehen, mit einer Mischung aus Wohnungen und „nicht störendem“ Gewerbe. Dafür wurde Anfang dieses Jahres alles platt gemacht. Das Abenteuer hat ein Ende.

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