Wettewerbsentwurf für den Leninplatz vom Kollektiv um Manfred Jäkel. IRS Erkner

Historisch schwer lokalisierbar

Berlin, Lenin-Denkmal auf dem Leninplatz
Berlin-Friedrichhain, 4.10.1991
Lenin-Denkmal am Lenin-Platz, die Aufschrift “Keine Gewalt” ist eine Aktion der Kreuzberger Künstlerinitiative “Büro für ungewöhnliche Maßnahmen”

Der Platz der Vereinten Nationen

Von .

Er wirkt ein wenig zugig, der Platz der Vereinten Nationen, so weit, wie die Gebäude auseinander stehen und ist als Leninplatz konzipiert und errichtet worden. Damit sein Name jedem sofort präsent wurde, stand auf ihm seit  1970, Lenins 100. Geburtstag,  eine riesige, 19 Meter hohe Leninfigur aus rotbraunem Granit. Sie ist längst wieder verschwunden.

Landsberger und Frankfurter Tor auf dem Plan von Abraham Guibert Dusableau 1723/1737. Blick von Norden. Die Palisadenstraße ist noch nicht eingetragen. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Landsberger und Frankfurter Tor auf dem Plan von Abraham Guibert Dusableau 1723/1737. Blick von Norden. Die Palisadenstraße ist noch nicht eingetragen.

Tore wandern

Vom Alexanderplatz zweigte südlich der längst nicht mehr existierenden Georgen-Kapelle und später Georgenkirche ein Weg nach Osten zum märkischen Städtchen Landsberg ab, der irgendwann den Namen Landsberger Straße erhielt. 1705 begann König Friedrich I. Berlin mit einer Zollmauer weiträumig zu umschlagen, wobei die Landsberger Straße nun durch das Landsberger Tor unterbrochen wurde. Es stand etwa dort, wo heute die Büschingstraße auf die Mollstraße führt. Von hier aus verlief die Grenze entlang der verschwundenen Weberstraße nach Süden bis etwa zum heutigen Strausberger Platz, wo das erste Frankfurter Tor stand. Elf Jahre später rückte König Friedrich Wilhelm I. das Frankfurter Tor ein Stück nach Osten. Die Grenze verlief nun vom Landsberger Tor entlang der Straße an den Palisaden, der Palisadenstraße bis zur Frankfurter Chaussee. 1802 verschob König Friedrich Wilhelm III. das Landsberger Tor nach Osten. Zwischen dem neuen Landsberger Tor und dem Frankfurter Tor entstand ein Communicationsweg, die spätere Friedensstraße.

Der Landsberger Platz am Friedrichshain auf einer alten Postkarte um 1900.
Der Landsberger Platz am Friedrichshain auf einer alten Postkarte um 1900.

Zeuge deutscher Geschichte

Anlässlich des 100. Jahrestags der Thronbesteigung König Friedrichs II. beschloss man 1840, ein weitläufiges Parkgelände vor dem Landsberger Tor anzulegen. Zwischen 1846 und 1848 entstand der Friedrichshain, der dem heutigen Bezirk ab 1920 seinen Namen gab. Lobend Erwähnung fand die großzügige Gestalt der neuen Häuser, die am Park entstanden. Im März 1848 fielen hier Schüsse, eine Barrikade stand auch am Landsberger Tor. Einige Tage später bewegte sich über den Vorplatz ein langer Zug trauernder Menschen zum neu eingerichteten Friedhof der Märzgefallenen. Als 1864 das Landsberger Tor abgerissen wurde, das wie die anderen Stadttore der stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung Berlins im Wege stand, wurde der entstehende freie Platz Landsberger Platz genannt.

Schön viel Grün in Sepia: Der Landsberger Platz zu Kaisers Zeiten. Rechts im Vordergrund das verschwundene Kriegerdenkmal. Postkarte
Schön viel Grün in Sepia: Der Landsberger Platz zu Kaisers Zeiten. Rechts im Vordergrund das verschwundene Kriegerdenkmal. Postkarte

Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Kriegs erhielt der Communikationsweg 1872 den Namen Friedensstraße. Vielen war im prosperierenden Kaiserreich die Erinnerung an die 1848er Revolution peinlich. Erinnerungspolitik stützte sich nun auf andere Tugenden und Traditionen. Ab 1876 zierte den Platz ein von Alexander Calandrelli gefertigtes Denkmal, das an 214 in den Einigungskriegen mit Dänemark, Österreich und Frankreich namentlich genannte Gefallene aus dem Berliner Osten erinnerte. Das Kriegsdenkmal sollte selbst Kriegsopfer werden, als es zwischen 1942 und 1944 eingeschmolzen wurde.

Der Abriss von Ruinen am Leninplatz 1952. Bundesarchiv
Der Leninplatz in Berlin, im Juni 1952. (Hier war die NAW-Aufbaustelle des Berliner Glühlampenwerkes) .

Nachkriegszeit

Die Zerstörungen am Platz und am Barnimviertel waren schwer. In den ersten Jahrzehnten entstanden an der Südseite des Platzes grau verputzte schmucklose Häuser mit modernen sanitären Anlagen und in klassischer Ziegelbauweise. Als die Landsberger Allee 1950 umbenannt wurde, erhielt auch das Trümmerfeld, das vom Landsberger Platz übrig geblieben war, den Namen des russischen Revolutionsführers Lenin.
In den 1960er Jahren erhielt die DDR-Hauptstadt ein autogerechtes Straßenleitsystem, wobei an der großzügig ausgebauten Straßenkreuzung Lichtenberger Straße / Leninallee, etwa in der Mitte zwischen den einstigen Landsberger Toren, ein neuer Platz entstand. An diesen musste der Leninplatz seinen Namen abgeben, der seither eine namenlose Straßenkreuzung im Schatten des neuen Platzes ist. Nur die Straßenbahnstation an diesem Knotenpunkt führt den Namen des Platzes, der fast dreihundert Meter entfernt liegt.

Wettewerbsentwurf für den Leninplatz vom Kollektiv um Manfred Jäkel. IRS Erkner
Wettewerbsentwurf für den Leninplatz vom Kollektiv um Manfred Jäkel. IRS Erkner

Ein moderner repräsentativer Platz

1966 ließ das SED-Politbüro zur Gestaltung des neuen Leninplatzes einen städtebaulichen Wettbewerb ausschreiben, den das von Hermann Henselmann geleitete Kollektiv um Wilfried Stallknecht gewann: moderne Hochhäuser der P2-Serie schlängeln sich entlang des Straßenkreuzes, das von einem sechsstufigen Hochhaus vor der Silhouette des Mont Klamotts bekrönt wurde.

Wettbewerbsentwurf des Kollektivs um Hermann Henselmann der zur Grundlage der Realisierung wurde. IRS Erkner
Wettbewerbsentwurf des Kollektivs um Hermann Henselmann der zur Grundlage der Realisierung wurde. IRS Erkner

Doch anstelle der vorgesehenen Bibliothek zu Ehren Lenins ließ man ein riesiges Lenindenkmal vom  sowjetischen Stalinpreisträger Nikolai Wassiljewitsch Tomski errichten. Die markante Hochhaustreppe wurde in nur drei Stufen ausgeführt. Nicht vollendet wurde die breite Panoramatreppe zum Hügel des Mont Klamotts, auf dem ein Café eingerichtet werden sollte. Wie an vielen Straßen und Plätzen des Neuen Bauens in der DDR entwickelte sich auch am Leninplatz kaum urbanes Leben. Nichts lädt nicht zum Flanieren und Verweilen ein.

Platte, die den Mittelpunkt des Leninlatzes markiert. Foto: Privat
Platte, die den Mittelpunkt des Leninlatzes markiert. Foto: Privat

Denkmal nicht!

Als 1991 der Abriss des Lenindenkmals beschlossen wurde, regte sich Widerstand. Abgesehen von den Meinungen derer, denen jede Veränderung zuwider lief, forderten manche einen kreativen Umgang mit den ideologischen Altlasten. Doch auch der Vorschlag aus den Reihen der Revolutionäre, das Denkmal einfach mit Grünzeug zuwachsen zu lassen, missfiel den Entscheidungsträgern: Keine Auseinandersetzung mit alten Ideologien, sondern gleich in den Müll damit! Das Monument wurde im märkischen Sand der Seddiner Heide vergraben – eine alte, ja geradezu archaische Form der Geschichtsentsorgung. Inzwischen wiederentdeckt für eine neue Ausstellung in der Spandauer Zitadelle: „Enthüllt. Berliner Denkmale“ soll der Kopf Lenins inmitten anderer wieder ausgegrabener Denkmäler den Wandel ihrer Bedeutung in der deutschen Geschichte verdeutlichen.

Platte, die den Mittelpunkt des Platzes der Vereinten Nationen markiert. Foto: Privat
Platte, die den Mittelpunkt des Platzes der Vereinten Nationen markiert.

Denkmal doch!

Auf der Südwestseite des gerade erst wieder hergerichteten Platzes befinden sich zwei in Beton gegossene Texttafeln, die im Abstand von wenigen Metern gegenüber liegen: „Hier ist die Mitte des Leninplatzes“ und: „Hier ist die Mitte des Platzes der Vereinten Nationen“. Beschwerden von Anwohnern über deren drohende Entfernung veranlassten den zuständigen Straßenbauamtsmann, das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum zu fragen, ob diese Platten wirklich schützenswert seien.
„Ja, sie sind es!“, lautete die Antwort, die in der Annahme gegeben wurde, dass die Platten irgendwann in DDR-Zeiten verlegt worden waren und etwas mit dem Lenin-Monument zu tun haben. So fanden diese Kleinodien der Respektlosigkeit genau an den alten Stellen wieder ihren Platz. Denn nicht in DDR-Zeiten wurden sie verlegt, sondern …? Tja, hier sind wir auf Sie, unsere aufmerksamen Leserinnen und Leser angewiesen. Wer kann uns berichten, aus welchem Anlass die Platten verlegt wurden? Wir wissen es nämlich nicht, genauso wenig wie das Straßenbauamt und das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum.

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