Bonbonherstellung in der Friedrichshainer Andreasstraße

Nicht nur Süßes

Bonbonherstellung in der Andresstraße | Quelle: Bundesarchiv Bild 183-2005-0821-527
Viel weiche Masse muß für jeden Bonbon ausgerollt werden. / Quelle: Bundesarchiv Bild 183-2005-0821-527 /

… in der Andreasstraße 32.

Von

In den Betriebsräumen der Mazzoth-Fabrik Herzog im Gewerbehof Andreasstraße 32 fanden die Kontrolleure der Bauaufsicht keinen Grund zum Meckern. Michaelis Herzog gründete mit seinem Bruder Theodor diese Bäckerei am 1. Juni 1924. Ihre 15 Angestellten waren Spezialisten in der Herstellung von dünnen Brotfladen. Diese „Matzen“, deren Teig aus Wasser, Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel besteht, wurden und werden zu feierlichen Anlässen von der jüdischen Gemeinde verspeist. Die Dampfbrotfabrik Wilhelma, seit 1911 im Erdgeschoss, forderte den Kontrolleuren ein Stirnrunzeln ab. Eine glühende eiserne Säule war nicht ummantelt und dicker Mehlstaub bedeckte die Backofendecken. Und dann im rechten Seitenflügel: die Pianofortefabrik Bett & Co. In den Gängen vom zweiten und dritten Stock wurde Leim auf Spirituskochern gekocht. Im Seitenflügel links gab es die Wäscherei Herrmann! Hier hingen elektrische Leitungen zum Laden von Akkus frei im Raum. Alle Ausgänge für den Brandschutz waren im Gewerbehof verschlossen. Der Verwalter, die Kanold Grundstücksgesellschaft, erfüllte seine Aufgaben nicht, urteilten die Kontrolleure.

Sahne und mehr

Am 15. Juni kam die Zuckerwarenfabrik Bröderna Kanold in die Andreasstraße 32. Kredite in Höhe von 25.000 Mark wurden aufgenommen, eine Etage im Aufgang 7 gemietet, ein elektrischer Motor aufgestellt und 30 Personen eingestellt. Anton und Fred Kanold gingen 1893 in die USA. Als Experten zur Herstellung von Karamellsüßigkeiten und Coca-Cola kamen sie in ihre Heimat Schweden zurück. Wenig später beschlossen sie, ein Zweigwerk im Andreashof zu eröffnen. Der schmackhafte Ruhm der Bonbons aus Butter, Sahne und Zucker war grenzenlos. Lange prangte an der Stirnseite vom Quergebäude der Schriftzug Kanold. Obwohl teuer, blieben die „Kanolds“ im Ersten Weltkrieg ein Verkaufsschlager. Wegen der Knappheit an Nahrungsmitteln waren diese Bonbons für Frauen, die in den Fabriken Schwerstarbeit leisteten, ein Nahrungsersatz. In den 1920er Jahren eröffnete Kanold in Nürnberg und Essen weitere Filialen. Mitglieder der Firmenleitung saßen in verschiedenen Führungsebenen der Nahrungsmittelindustrie, so Anton Kanold von 1921 bis 1928 im Vorstand von Sarotti, der seinerzeit weltgrößten Schokoladenfabrik, und Joachim Wohlgemut, Direktor von Kanold, war Aufsichtsrat der Karl Kühne & Söhne AG. Am 30. November 1927 ging Bröderna Kanold selber an die Börse. Ziel dieser Gesellschaft war „die Herstellung und der Verkauf von Zuckerwaren“, des Weiteren „die Herstellung von Verpackungsgegenständen“ und „der Erwerb von Grundstücken“. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Kanold AG, Otto Grünberg, war deshalb im Vorstand der Karl Kühne & Söhne AG sowie im Aufsichtsrat von Sarotti vertreten. Laut Akten der Handelskammer verlegte Kanold die Produktion von Paraffinpapier für Süßwaren 1928 von Nürnberg nach Berlin. Und seit dem 7. Dezember 1927 wurde der Andreashof von der Kanold Grundstücksgesellschaft wenig erfolgreich verwaltet.

Andreashof in Friedrichshain | Quelle: Bundesarchiv Bild 183-83086-0001
Nach 1945 wurde im Andreashof keine Bonbonmasse mehr geknetet, sondern Wohnräume gestaltet / Quelle: Bundesarchiv Bild 183-83086-0001/
Wohnraumgestaltung in der Friedrichshainer Andreasstraße | Quelle: Bundesarchiv Bild 183-28307-0002
Neue Fenster wurden ebenfalls geplant / Quelle: Bundesarchiv Bild 183-28307-0002 /

Veränderungen

1935 stand der Andreashof fast leer. 1881 war mit dem Bau begonnen worden. Um eine zentrale Achse, die von der Andreasstraße zur Singerstraße führte, erfuhr der Fabrikhof bis zum Ende der 1890er Jahre erhebliche Erweiterungen. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Zahl der Mieter nicht nur wegen der wirtschaftlichen Krisen rapide ab. So arbeitet für eine geringe Miete die Schmolka Kistenfabrik dauerhaft im Kellergeschoss, was baurechtlich untersagt war. Ende 1929 schloss die Gewerbepolizei diese Räume. Auf den politischen Druck hin musste die Mazzoth-Fabrik Herzog am 30. April 1937 ihre Arbeit einstellen. Die Kanold Grundstücksgesellschaft investierte zu wenig. Das spürte die Franz Bendix GmbH. Sie handelte mit Tischlerwaren und nutzte Räume, die seit 1888 nicht verändert wurden. Zur Holzveredelung wurden neben Lösungsmitteln Öl-, Nitround Bakelitlacke verarbeitet, ohne dass die Lackierräume eine Belüftung besaßen. In der Folge verlor Bendix seine Kunden an die Holzhandlung H & G Anders im gleichen Gebäudeteil und zog aus.

Ausgleich

1936 erzielte die Süßwarenindustrie Umsätze von über 1,4 Millionen Reichsmark. Über 142.000 Menschen wurden hier beschäftigt, die in 14 Lohnklassen eingeteilt waren. In der niedrigsten verdiente eine junge Arbeiterin einen Hungerlohn von 28 Pfennigen pro Stunde. 1943 stiegen die Gewinne der Kanold AG auf über eine Million Reichsmark. Doch am 23. November 1943 schlug eine Brandbombe im Andreashof ein und löste einen Großbrand aus. Wegen Wassermangels konnte der nicht gelöscht werden. Die Feuerwehr stand vor Ort, war aber angesichts der Hitze machtlos. Allerdings lagerten Rohmaterialien und Halbfertigfabrikate von Kanold in Kellern und die Geschäftsbücher waren in feuersicheren Gebäuden untergebracht. „Zur Befriedung von laufenden Verpflichtungen“ sollte die Produktion in einem Ausweichbetrieb weiter gehen und deshalb wurde beim „Hauptamt für Kriegsschäden“ Schadensersatz beantragt. Am 10. April 1945 zahlte das Amt 300.000 Reichsmark. aus.

Neuanfang

Zwischen 1946 und 1948 verlegten über 200 Industriebetriebe ihren Hauptsitz von Berlin nach Westdeutschland und Kanold seine Hauptverwaltung 1948 nach Duisburg. In Westberlin waren 1949 die blaugelben Packungen der Kanold-Sahnebonbons ein Renner. Jedoch, das Papier war Altpapier aus den aufgelösten Beständen der Firma und die Bonbons schlechte Imitationen. In den Andreashof, soweit er noch vorhanden war, zog 1949 die Berliner Niederlassung der Deutschen Handelszentrale Möbel und Holzwaren ein, dieser folgte im Jahr 1960 der Staatliche Handelsbetrieb Möbel Wohnraumgestaltung Berlin, aber schon 1959 wurden Teile vom Andreashof abgerissen. 1966, vom Andreashof war nicht mehr viel vorhanden, beantragte Heinrich Herzog, der jüngste Bruder der einstigen Gründer der Mazzoth-Fabrik Herzog ein Entschädigungsverfahren. Jedoch waren Firmenpapiere verloren gegangen. Wie in ähnlich gelagerten Fällen wurde Heinrich Herzog eine Entschädigung für den erzwungenen Verlust versagt.

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