Britta Schmidt, Foto: Anne Winkler

„Man geht darin auf.“

Britta Schmidt bei der Arbeit, Foto: Anne Winkler
Genauso wichtig, wie Kundenberatung: Präzision, Fachkenntnis, Geduld und Liebe zum Beruf. / Foto: Anne Winkler /

Die Fahrradmechanikerin Britta Schmidt.

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Das Gesicht der Kreutziger Straße hat sich wegen zahlreicher Neubauten verändert. Zu den Kontinuitäten gehört seit 25 Jahren der kleine Fahrradreparaturladen in der Nummer 5. Wer das Geschäft von Britta Schmidt betritt, fühlt sich gleich wie in einer Werkstatt, obwohl diese eigentlich erst im hinteren Raum liegt. Ein umfangreiches Sortiment allerneuester technischer Accessoires oder gar nach dem letztem Schrei schräg gestylter Fahrradmodelle sucht man hier, im Ladenraum, vergebens.
Stattdessen liegen und hängen Ersatzteile bereit, die deutlich erkennbar nach ihrem praktischen Wert ausgesucht wurden. Britta Schmidt, eine freundliche, zeitlos jung erscheinende Frau mit neugierigem Blick, bittet mich in den hinteren Raum, wo die eigentliche Werkstatt ist, lässt mich Platz nehmen und mustert mich neugierig. Sie trägt praktische, dunkle Kleidung und hat ihr dunkelblondes Haar hinter dem Kopf zusammengebunden. Ich hatte mir vorgenommen, erst im Laufe des Gesprächs auf diese Frage zu kommen, aber die Neugier ist größer: Fast entschuldigend erkundige ich mich, wie sie als Frau dazu kam, eine Fahrradreparaturwerkstatt zu eröffnen. Immerhin ist es doch eine Männerdomäne.

Britta Schmidts Fahrradladen,Foto: Anne Winkler
Ein Reich, das Fahrradbastlerherzenhöher schlagen lässt. / Foto: Anne Winkler /

Schon früh an Technik interessiert

Die Inhaberin, keine Freundin umständlicher Worte, erwidert geradeheraus, dass sie sich schon als Kind für alles Technische interessiert hat: „Steckdosen, Schalter, alles mögliche.“ Folgerichtig lernte sie den Beruf eines Feinmechanikers für Schreibmaschinen und Bürotechnik  im VEB Robotron. Den Begriff Mechanikerin hatten die DDR-Sprachwächter damals noch nicht ins offizielle Amtsdeutsch übernommen. Ein Praktikum im Betrieb ihrer Mutter, wo sie mit einer Zange Schreibmaschinenbuchstaben justieren musste, bestärkte sie dabei.

Berufswünsche und -wege

Eigentlich hatte die in Lichtenberg Aufgewachsene den Wunsch, Uhrmacherin zu werden. „Aber in meinem Jahrgang stand in Berlin nur ein einziger Ausbildungsplatz zur Verfügung, und den hat eine Mitschülerin von mir bekommen.“ Bedauernd fügt sie hinzu: „Nach der Lehre wechselte sie in einen anderen Beruf. Schade.“
Als Robotron nach dem Ende der DDR abgewickelt wurde, fand sie Arbeit bei Konica und spezialisierte sich auf den Service für Kopierer. Zufrieden war sie damit nicht. Als neu Hinzugekommene hatten die Angestellten aus dem Osten die weiteren Touren zu übernehmen, was oftmals lange Fahr- und vor allem Stau-Zeiten bedeutete. „Außerdem wurden da oft nur Baugruppen ausgewechselt. Richtig repariert wurde gar nicht. Da sträubt es einem irgendwo, wenn man es nicht gewohnt ist und wenn man gern repariert.“ Hatte sie auch Ambitionen, ein technisches Fach zu studieren? Eindeutig nein. „Ich sitze nicht so gern in der Schulbank. Und ich habe Prüfungsangst.“
Die Idee, sich selbständig zu machen, kam ihr beim Besuch eines Freunds in Kaulsdorf, der einen Fahrradladen besaß. Als sie ihm mitteilte, wie interessant sie das fand, fragte der Freund unvermittelt: „Warum machst Du denn selbst keinen Laden auf?“

Der Fahrradladen von Britta Schmidt in der Kreutziger 5, Foto: Anne Winkler
Seit 25 Jahren ein vertrauter Anblick: Der Fahrradladen in der Kreutziger 5.
/ Foto: Anne Winkler /

Der eigene Laden

1991 eröffnete sie dann ihr eigenes Geschäft in der Kreutziger Straße, die wegen der Hausbesetzer nicht gerade das ruhigste Pflaster in dieser Zeit war. „Ich habe keine Probleme mit den Nachbarn. Fahrräder brauchen alle. Das ist so wie mit Bäckern“, kommentiert Britta Schmidt.
Bis vor einigen Jahren verkaufte sie auch Fahrräder. Aber nebenan gab es einen Aldi und Strauss-Innovation, die ihre Preise regelmäßig unterboten. „Da habe ich vor sieben-acht Jahren die Reißleine gezogen. Ich kann es mir nicht erlauben, mein Kapital irgendwo rumstehen zu lassen.“ Jetzt repariert sie nur noch.

Defekte Felge, Foto: Anne Winkler
Ein Demonstrationsobjekt für Unwillige, die an Bremsbelägen sparen wollen: Die Halterung der abgeschliffenen Bremsbacken schlitzte bei einer Vollbremsung die Felge auf. Ein schwerer Unfall war die Folge. / Foto: Anne Winkler /

Reparieren statt Austauschen

Aber was heißt ‚noch‘? „Mir kommt es darauf an, die Fahrräder zu reparieren und nicht einfach Teile auszutauschen, um Geld zu verdienen.“ Sie empfindet es als unangenehm, wie schamlos manche Fahrradreparaturläden die Unwissenheit der Kunden ausnutzten, um Kasse zu machen.
Viele Frauen wenden sich an Britta Schmidt, besonders, wenn sie die Erfahrung gemacht haben, von Männern regelrecht abgezockt worden zu sein. „Zum Beispiel nutzen sich Hinterreifen schneller ab als Vorderreifen. Die muss man nicht immer gleich paarweise austauschen.“ Was noch ein Vierteljahr halten kann, bleibt dann eben dran. „Ich erkläre dann, wie ein sicheres Reifenprofil aussehen muss.“
Manchmal, bei kniffligen Sachen, packt sie der Ehrgeiz. „Dann denke ich: ‚Das muss doch hinzukriegen sein!‘“, selbst wenn es sich finanziell nicht lohnt. Manche Kollegen wundern sich, wenn sie erzählt, was sie alles repariert. Da hätten schon längst ausgetauscht. „Nur weil Ihr das nicht gleich hinbekommt?’, fragt sie dann. „Aber das macht doch den Reiz des Berufs aus!“ Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren einmal die Ladenbesitzerin darum bat, mir eine gefederte Sattelstange einzubauen, wovon sie mir mit dem Satz: „Da gibt’s zu viele Reklamationen“ abriet. „Richtig!“, erinnert sie sich, „dann lieber einen guten gefederten Sattel!“ Leider, so wendet sie ein, wird das Material immer schlechter. Auch Markenproduzenten liefen immer weniger Qualitätsvolles. „Was ich nicht empfehlen kann, das verkaufe ich auch nicht!“

Arbeit und Ausgleich

Ich frage, ob sie auch dieses Gefühl kennt, dass man bei der Reparatur eines Gegenstands in einen meditativen Zustand fallen kann. „Ja“, stimmt sie zu, „man geht darin auf, vergisst die Umwelt, verspürt keine Norm, keinen Stress. Man ist ganz bei sich.“ Dass man bei der Arbeit Freude hat, ist ihr sehr wichtig. „Ich will nicht für jede Kleinigkeit Geld nehmen“, sagt die Ladeninhaberin. „Man muss doch abends noch in den Spiegel sehen können.“ Wie es scheint, hat sie die richtige Balance zwischen Arbeiten und Leben gefunden. Ihr Geschäft gehört zu den ganz wenigen, die am Wochenende und mittags geschlossen sind. „Die neuen Schläuche dünsten aus. Dann muss ich an die frische Luft. Außerdem muss ich was essen. Anders könnte ich den Stress von Früh bis Mittag und dann wieder bis 18:00 Uhr gar nicht bewältigen. Im Dezember nehme ich dann vier Wochen Auszeit“ – womit sie Urlaub meint. Dafür bietet sie aber auch einen Service von Tag zu Tag. „Für mache Leute ist es ein Horror, mit den Öffentlichen zu fahren.“ Obwohl immer mehr Berliner auch im Winter lieber das Fahrrad nehmen, ist die Reparaturwerkstatt eher ein Sommergeschäft. „Wie eine Eisdiele“, kommentiert die Mechanikerin knapp. Ich muss über diesen Vergleich schmunzeln.

Britta Schmidt kommt gleich wieder, Foto: Anne Winkler
Auch mal fix einen Gang erledigen statt ununterbrochen hinter der Ladentheke zu stehen, gehört hier zur Geschäftskultur. / Foto: Anne Winkler /

Ein treuer Kundenstamm

Ich erkundige mich nach den Veränderungen, die ihr hier auffallen. „Die Klientel ändert sich. Aber viele Kunden, die weggezogen sind, bleiben mir treu oder kommen wieder, wenn sie andere Werkstätten ausprobiert haben. Der von am Weitesten kommt von der Ostsee, ein Hotelier von Hiddensee. Der sackt dann alle reparaturbedürftigen Räder ein, kommt nach Berlin, und verbindet dies mit einem Einkauf.“ Ihre Kunden sind eher der Durchschnitt, der Typ Otto Normalverbraucher.
Auch kommen manchmal Kunden, deren Fahrradbekleidung nach dem neuesten Schrei gestylt ist und suchen nach entsprechenden Waren. Aber das ist eher die Seltenheit. Immer wieder wenden sich Kunden mit einer speziellen Bitte an sie: „Das ist das Fahrrad meines Großvaters!“ Sie wünschen dann eine Reparatur mit den Originalteilen, egal, was es kostet. „Diese Einstellung finde ich toll“, kommentiert die Ladenbesitzerin, „da stellt das Fahrrad noch einen echten Wert dar.“ Ist erkennbar, dass die Reparatur teurer wird, hat sie einen Tipp parat: „Wenn Sie bald Geburtstag haben oder ein Fest ins Haus steht, dann lassen Sie sich von Ihren Verwandten und Freunden Geld für Ihr Fahrrad schenken. ‚Gute Idee!‘, heißt es dann.“ Dann fügt sie hinzu: „Manchmal kommen auch Leute zu mir, um einfach nur zu reden.“
Wichtig ist ihr auch, keine unnötige Konkurrenz zu den umliegenden Reparaturwerkstätten aufzubauen. „Jeder muss irgendwie leben. Bei Bedarf fragen wir Radläden uns auch gegenseitig, wenn wir etwas brauchen.“

Fahrrad-Werkzeug im Fahrradladen
Hier heißt es noch Fahrrad-Werkzeug und nicht neudeutsch: Biker-tool.

Auto fahren und Baumarktbesuche als Ausgleich

Fährt sie selbst gern Fahrrad? „Ja, aber lieber außerhalb der Stadt, zum Beispiel in Mehrow, wo ich wohne. Außerdem fahre ich gern Auto.“ Ist das kein Widerspruch? „Nein, eher ein Ausgleich.“ Lachend fügt sie hinzu: „Wenn andere shoppen gehen, dann gehe ich in den Baumarkt. Ich muss dann einfach sehen, was es Neues gibt.“
Sie liebt die Ostsee. „Ich bin ein Ostseemensch. Meine Lehre absolvierte ich in Stralsund, da hab ich mich wohl gefühlt.“ Dann sammelt sie Steine und legt sie zu Hause aus. „Einmal hatte ich bei einer Wanderung so viele Klamotten in meinem Rucksack, dass er ganz schwer war. Aber ich wollte mich von keinem einzigen trennen.“
Doch kommt die Ostsee momentan in ihrem Leben zu kurz, was sie auch selbst bedauert: „Ich habe beschlossen, das zu ändern“. Sammelt sie auch Fahrräder? „Nein!“, erwidert Britta Schmidt bestimmt. „Alle Vierteljahre rufe ich den Schrotti an und lasse den alten Kram abholen. Mein Laden ist nur 43 Quadratmeter groß.“ Zu wenig Platz für solche Sentimentalitäten.
Ökologisch Denken, Müllvermeidung, Ressourcenverantwortung – mit solchen Schlagworten werfen Politiker um sich, und doch wird immer mehr Müll produziert. Dabei wäre es durchaus angebracht, hier in der Kreutziger Straße bei Britta Schmidt in die Schule zu gehen, weil sie so arbeitet, wie sie es schon immer gewohnt ist: Reparieren statt Austauschen. Das Geschäft ist kein Startup mehr, wie so viele andere in Friedrichshain, dafür aber um so mehr richtungsweisend.

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