Krossener Straße, 1972 | Quelle: Privat

Saum am Rock

Uhren-Annahmestelle in der Krossener Straße | Quelle: Friedrichshainer von 1973
Um den Kundenservice zu verbessern, wurde in den 1970er Jahre in der Krossener Straße eine Uhren-Annahmestelle mit Reparaturwerkstatt eingerichtet. / Quelle: Friedrichshainer von 1973 /

Aufstieg und Abstieg

30 Jahre arbeitete Gerhard G. als Uhrmacher in der Werkstatt der Frau Albert in der Krossener Straße 32/33. Im September 1946 beantragte er eine Gewerbeerlaubnis für eine eigene Werkstatt in der Krossener Straße 23. Aufgrund unklarer Besitzverhältnisse war das nicht einfach. G. verwies darauf, zeitweilig wegen antifaschistischer Aktivitäten im Gefängnis gesessen zu haben. Ein Kollege aus der Pettenkofer Straße und auch der Bezirksobermeister unterstützten den Antrag vom G. Der erhielt am 21. März 1947 die seltene Erlaubnis, per Interzonenausweis nach Trossingen bei Stuttgart zu reisen, um Ersatzteile zu holen. Deutschen Geschäftsleuten war in dieser Zeit das Reisen zwischen den vier Besatzungszonen nur unter großen Auflagen erlaubt. Mit neuen Ersatzteilen und Uhren aus dem eigenen Bestand konnte G. am 14. Dezember 1948 seine Werkstatt in Betrieb nehmen. Der Magistrat hatte die Beschlagnahme der Räume veranlasst. G. bat um die Genehmigung auf den Verkauf und Ankauf gebrauchter Uhren: „Bei dem herrschenden Ersatzteilmangel und der geringen Möglichkeit neue Uhren ab Fabrik zu beziehen, kann manche alte Uhr wenigstens dazu dienen, ausgeschlachtet zu werden und einige brauchbare Teile zu gewinnen“, schrieb er. Die Genehmigung wurde ihm am 15. Februar 1949 erteilt. Jetzt beschäftigte er sechs Angestellte. Aber um seine Sache stand es schlecht. Nirgends war ein Hinweis auf irgendwelche antifaschistische Tätigkeiten von G. zu finden. Mehr noch: Um kostenlos an ein Hotelzimmer zu kommen, war er auf der Leipziger Messe als Staatssekretär aufgetreten. Vor allem aber: am 26. Juli 1951 gab ein Kunde eine goldene Doppelmantel-Uhr mit 14 Karat und einem Goldgewicht von 30 Gramm ab. Der Bruder von G. schrieb diese in ein privates Reparaturbuch. Wegen des Todes seiner Schwiegermutter und der Frühgeburt eines Zwillingspärchens, kam der Kunde erst am 26. Januar 1952 dazu, seine Uhr abzuholen. Aber von den Angestellten war lediglich zu hören: „Solange wie der Bruder hier arbeitete, war die Uhr vorhanden, dann verschwand die Uhr mit ihm“. Die Werkstatt ging an einen Treuhänder, der Uhren für die Friedens-Radfernfahrt Warschau-Berlin-Prag reparierte und wartete. Aufgrund des Missmanagements des Treuhänders ging der Laden im Juli 1956 pleite. 1973 war hier eine „Großuhrenwerkstatt“, die das gesamte Sortiment des VEB Uhrenwerke Ruhla zu reparierte.
Krosno Odrzańskie ist heute eine moderne polnische Stadt und zu den Verkehrssprachen der Krossener Straße gehört Englisch. Gibt es hier noch Ärger, dann wegen des Lärms aus den vielen Straßencafés.

 

 

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