Der Betonsteg in der Spree, März 2016. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Benutzen und Betreten verboten

Der Betonsteg in der Spree, März 2016. / Foto: Giovanni Lo Curto /
Der Betonsteg in der Spree, März 2016. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Ein Stück Mauer in der Spree

von Christine Brecht

Vor ein paar Jahren war er schon zum Abriss ausgeschrieben, dieser Rest von einem Betonsteg, der am Osthafen trist und sperrig aus dem Wasser ragt, da wo die Spree voll und ganz zu Friedrichshain gehört und am anderen Ufer Treptow und Kreuzberg ineinander übergehen. Im letzten Moment hat man sich aber besonnen und das baufällige Relikt aus DDR-Zeiten unter Denkmalschutz gestellt. 500 Meter lang, knapp 2 Meter breit und von sage und schreibe 258 Stahlbetonpfählen getragen, gibt es aber, egal von welcher Seite man es betrachtet, weiterhin manches Rätsel auf.

Der Betonsteg in der Spree, März 2016. / Foto: Giovanni Lo Curto /
Der Betonsteg in der Spree, März 2016. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Zukunftsmusik

Ein Konzept zur dauerhaften Rettung des Mauerdenkmals gibt es natürlich auch schon. Es sieht vor, den unzugänglichen Ort durch einen sogenannten Museumshafen zu beleben. Auf diese Weise, so die Idee, könnte das Mauerstück – zusammen mit historischen Schiffen aus anderen Zeiten – standesgemäß präsentiert und aus nächster Nähe besichtigt werden. Im gleichen Zug würde Platz für Ausflugsdampfer, Motorboote, Gastronomie und Besucher­scharen entstehen. Sollte der Steg nach mehr als 25 Jahren im Schatten der East Side Gallery also eines gar nicht mehr so fernen Tages aus dem Tiefschlaf gerissen werden? Sollte er eine eigene Ausstellung und endlich all die Aufmerksamkeit bekommen, die einem echten Mauerrest zusteht? Noch ist davon weit und breit nichts zu sehen. Noch steht „Benutzen und Betreten verboten“ auf Schildern an allen Seiten. Die Möwen, die auf den rostigen Geländern und den letzten noch verbliebenen Lichtmasten sitzen, wird es freuen. Und die Rauchschwalben, wenn sie bald aus dem Süden zurückkommen, um wieder zwischen den Pfeilern zu nisten, freut es auch.

Der Betonsteg in der Spree, Stasi-Foto, 1981. / Quelle: BStU /
Der Betonsteg in der Spree, Stasi-Foto, 1981.
/ Quelle: BStU /

Spurensuche

Anders als Mauern oder Zäune sind Stege gemeinhin nicht zur Abgrenzung da, im Gegenteil. Sie sollen Übergänge zwischen Land und Wasser schaffen. Außerdem waren und sind Stege in vielfältiger Weise in die transportwirtschaftlichen Abläufe eingebunden, die sich an Flüssen, Seen und Meeren abspielen. In den guten alten Industriespree-Zeiten gab es beispielsweise zwischen Oberbaum- und Elsenbrücke so viel Schiffsverkehr, dass die Lastkähne zuweilen zu Dutzenden an Stegen im Wasser lagen und warteten, bis sie in den Osthafen oder in den Landwehrkanal einfahren konnten. Mit dem Betonsteg aus der Mauerspree-Zeit hatte es jedoch eine ganz andere Bewandtnis.
Fotos, die die Erbauer und Hüter der Mauer in den 1980er Jahren aufgenommen haben, zeigen den Steg als Teil eines großen Ganzen aus Landmauern und Wassersperren, die West-Berlin (in diesem Fall Kreuzberg) weiträumig von der Hauptstadt der DDR (hier in Gestalt von Friedrichshain und Treptow) abschirmten. An der Treptower Eichenstraße reichte die T-förmige Krake damals bis ans Ufer heran, ein Zugang für Grenzsoldaten und Angehörige anderer bewaffneter DDR-Organe, die auf dem Steg im Einsatz waren. Auf der Stegseite, die in Richtung Oberbaumbrücke zeigt, standen zwei Wachtürme. die rund um die Uhr mit Grenzern besetzt waren. Und neben dem Steg gab es eine sogenannte Dalbenreihe aus Holzpfählen die sich fast ganz bis zur Oberbaumbrücke hinzog. Darauf konnten die Grenzer zwar nicht stehen und gehen sondern nur mit Booten anlegen. Aber wie der Betonsteg stellten auch die Holzpfähle ein Hindernis dar, das denen, die über den Fluss nach Kreuzberg wollten, gnadenlos den Weg versperrte.

Flucht der „Friedrich Wolf“, aufgezeichnet von der DDR-Grenzpolizei. / Quelle: BArch /
Flucht der „Friedrich Wolf“, aufgezeichnet von der DDR-Grenzpolizei.
/ Quelle: BArch /

Über und unter Wasser

Wann genau der Steg gebaut wurde, liegt, wie es scheint, noch im Dunkeln. Im Juni 1962, als der Ausflugsdampfer „Friedrich Wolf“ am Osthafen vorbei in den Landwehrkanal durchstartete, eine legendäre Fluchtaktion, die in keiner Steggeschichte fehlen darf, stand er jedenfalls schon. Ein Boot, das am Steg lag, war damals als erstes zur Stelle, konnte das gekaperte Schiff aber ebenso wenig aufhalten wie die Grenzposten, die von verschiedenen Seiten das Feuer eröffneten. Seitdem wurde hier immer wieder nachgerüstet, über und unter Wasser.
Einmal, im Juni 1965, hat es trotzdem einer geschafft, zwischen den Betonpfeilern durchzukommen und das Kreuzberg Ufer von mehreren Schüssen getroffen lebend zu erreichen. Der „Unterwassersperre am Bootssteg“ wurde daraufhin bescheinigt, dass sie „teilweise lückenhaft“ und ihre „Sperrfähigkeit“ nicht ausreichend sei. Drei Jahre später hatte sich das offenbar grundlegend geändert. Der 18jährige Bernd Lehmann aus Friedrichshain wollte Ende Mai 1968 in den anderen Teil der Stadt schwimmen. Grenzer fanden ihn direkt am Steg tot im Wasser. Er soll in den „Unterwassersicherungsanlagen“ hängen geblieben sein, wie es im Obduktionsbericht ungerührt heißt.

Foto der DDR-Grenztruppen, 1974. / Quelle: BArch /
Foto der DDR-Grenztruppen, 1974. / Quelle: BArch /

Grenzkontrollsteg

Während die eine Stegseite ganz den Grenzern vorbehalten war, fungierte das andere Ende, intern „Territorium am Osthafensteg oberhalb“ genannt, als sogenannte „Grenzübergangsstelle Osthafen-Berlin“, zumindest zeitweise. Zu diesem Zweck lag auf der gen Elsenbrücke weisenden Seite ein altes Hausboot, Jahrgang 1938, vor dem Steg im Fluss.
Hier hatten Zöllner und Passkontrolleure (MfS-Männer in Grenzer-Uniformen) ihren Einsatzort. Die Abfertigungskapazitäten sollen bei maximal vier Schiffen pro Stunde gelegen haben. Meistens scheinen es aber weniger gewesen zu sein. So wurden 1970 im Schnitt fünf bis sechs Schiffe pro Tag gezählt bei einer Öffnungszeit von 8.00 bis 14.00 Uhr. Der Güterverkehr, der an dieser Stelle passieren durfte, überquerte übrigens nicht die Grenze nach West-Berlin. Kontrolliert wurde vielmehr die Einfahrt ins Ost-Berliner Grenzgebiet und wohl auch die Ausfahrt aus dieser militärischen Spreezone hinaus.

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