Halle VIII in Berlin-Friedrichshain; Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens

Vielfalt unter Dach

 Halle VIII: Andreashalle; Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens
Selbst in den wilden zwanziger Jahren ging es Vormittags ruhig zu in der Halle VIII in der Andreasstraße. / Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens /

Markthalle VIII in der Andreasstraße.

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Das Berlin der Gründerzeit erlebte einen regen Zuzug von Menschen, die ihre Dörfer und Kleinstädte verließen, um hier eine Zukunft für sich und ihre Familien zu finden. In wachsender Menge wurden Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs in der Stadt benötigt. Der geregelte Handel auf Wochenmärkten, wie er sich auf dem Andreasplatz entwickelte, sollte Abhilfe schaffen. Dafür wurde der Platz gepflastert, mit Bäumen bepflanzt und sogar eine Seltersbude eingerichtet. Meistens war die Verkaufsfläche ein über Fässer gelegtes Brett. Nur Fleischwaren mussten unterm Zeltdach angeboten werden. „Hökerer“ bestimmten den Markt. Sie kauften im Umland Ware auf und gaben sie auf dem Andreasplatz zum überhöhten Preis ab. Wegen der an- und abreisenden Händler öffnete der Markt sehr früh und schloss mittags. Nachdem die Stände abgebaut waren, machten sich neben Hunden, Katzen, und Vögeln vor allem Ratten und Mäuse über die Reste des Marktes her. Bald hatten die Anwohner genug von diesem wilden Treiben und übergaben am 14. Februar 1884 dem Magistrat eine Petition zum Bau einer Markthalle. Schon 1848 waren Berliner Stadtverordnete in den Pariser Zentralhallen zu Gast gewesen. Die Berliner Immobilien-Aktiengesellschaft eröffnete 1867 die erste Markthalle in Berlin, die aber bald pleite ging. Unter Magistratsführung sollte 17 Jahre später alles anders werden. Wegen kurzer Wege für „Hausfrauen und deren Dienstmädchen“, wurde eine Markthalle auf den Grundstücken Andreasstraße 56, Krautstraße 48 a und Grüner Weg 95 geplant. Die Nummer 56 der Andreasstraße lag am Knotenpunkt zweier Pferdebahnlinien und stieß an den alten Marktplatz. Verschiedene Grundstückseigner trieben den Preis für das Grundstück auf ganze 590.000 Mark.
Nach langen Verhandlungen mit dem Grundstückvermittler Hermann Salomon erzielte der Magistrat 1886 einen Kaufpreis von 515.000 Mark für das Grundstück. Die Planung sah vor, dass die Markthalle Wohnungen für das Personal und eine Polizeiwache mit Zellen für Frauen und Männer erhalten sollte. 429 Stände wurden vorgesehen, davon 130 für Fleischer, Wild- und Geflügelhändler, 32 für Fischer, 267 für Obst, Butter, Käse und mehr, dazu eine Restauration mit 2 Sälen, eine Gartenhalle plus Garten. Immer wieder verzögerten Finanzprobleme die Eröffnung der „Halle VIII“ bis in den September 1888.

Halle VIII in Berlin-Friedrichshain; Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens
Vielfach warteten die Frauen der Markthändler auf Kunden / Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens /

„Madameken“

Bereits am 1. April 1890 erzielte die ökonomisch selbstständige „Halle XIII“ einen Gewinn von 92.207 Mark. Die Markthändlerinnen der Halle, „Madameken“, genannt, bezogen ihre Ware aus der Zentralen Markthalle am Alexanderplatz. Ihre Männer kauften zum Großhandelspreis ein und belieferten die Stände ihrer Frauen. Keine von ihnen hatte eine kaufmännische Ausbildung. Sie saßen zehn Stunden am Tag in der dunklen und oft kalten Halle. Fast immer lebte die Familie nur von den Einnahmen der Frauen.
Nach dem Grundsatz: „Niemand zu Leide und Niemand zu Lasten“, war es 1890 dem Damenmäntel-Fabrikanten Karger aus der Krautstraße 48a verboten, Reklamezettel in der Einfahrt zur Markthalle aufzuhängen. Das verkehrte sich bald zum Nachteil der Halle. Um die Preise der Halle zu unterbieten, parkten auswärtige Händler ihre Pferdewagen vor der Tür.
1906 wirkte die „Halle VIII“ altbacken gegenüber den schicken Kaufhäusern jener Zeit. Immer häufiger mied das Publikum die Markthalle. Jetzt waren Werbebanner über den Eingängen und an den Seiten der Markthalle erlaubt. Über alle drei Eingänge und sogar im Garten sollte der Name „Markthalle“ in elektrisch erleuchteten Buchstaben erstrahlen. Grell ausgeleuchtet wurde der Innenraum von 12 Bogenlampen zu je 12 Ampere. Wenn es draußen -16° hatte, stieg trotz der Dauerbrandöfen die Temperatur in der Halle gerade auf Null Grad.
Aus Platzgründen nutzten Fleischer die Keller, um dort Gänse, Hasen und Hammel auszuschlachten. Wieder waren Ratten ständige Gäste. Katzen sollten sich darum kümmern. Sie hatten wenig Erfolg und verbreiteten Gestank. Ein Kammerjäger kam mit Hunden, die den Ratten nachjagten. 1909 schloss die Leitung die Keller und ließ Kühl- und Arbeitsräume auf dem Hof bauen.

Rahma am Stand, Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens
In der Markthalle waren auch große Anbieter der Lebensmittelindustrie präsent. / Quelle: Erich Rindt (1928): Die Markthallen als Faktor des Berliner Wirtschaftslebens /

Überleben

Die Händler in der „Halle VIII“ erlitten vom Beginn des 1. Weltkrieges an Einnahmeverluste. Dem Händler „Viehstadt“ wurden deshalb 50 Mark Miete im Monat erlassen. Im Februar 1915 stieg der Kartoffelpreis auf 1,75 Mark pro Zentner. Verzweifelte Frauen und Kinder plünderten daraufhin am 16. Februar die Markthalle.
Nässe in den alten Kellern verursachte „vagabundierende Ströme“. Im Juni 1916 kollabierten die elektrischen Anlagen und konnten nur Dank finanzieller Hilfe des Magistrats in Gang gesetzt werden.
Die zwanziger Jahre brachten wenig Aufschwung für die Händler. Infolge von Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen die Preise für Lebensmittel. Das traf besonders die Fett,- Fisch- und Fleischhändler. Arbeitslose suchten als Kleinmarkthändler ihr Auskommen. Am Straßenrand begannen sie gegen Mitternacht mit ihrem Handel, während die Händler in der Halle erst um 4 Uhr Morgens ihre Stände eröffnen durften. Damit verloren sie viele Kunden. Aber zum Ärger der Externen durften die Seifenhändler der Halle sonntags verkaufen.
Göttern gleich wachten „Inspektoren“ über alles und jeden. Weil immer wieder einer der ihren mit den Einnahmen der Halle spurlos verschwand, mussten sie zur Sicherheit 1.000 Mark Kaution bei Antritt ihres Amtes hinterlegen. Es gab eine Unzahl von Vorschriften, die alle genau einzuhalten waren, doch wanderten Scheine von Hand zu Hand, wenn es um Standvermietungen oder andere Vorteile ging.
Nach einer kurzen Blüte in den Dreißigerjahren, führte der Beginn des Zweiten Weltkrieges zu mehr Leerstand. In den Tagen der Endkämpfe brannte die „Halle VIII“ fast völlig aus. Im November 1945 nahmen 60 Stände auf dem Hof den Verkauf wieder auf. 1946 wurde der Hof überdacht. Die ehemalige Kantine diente nun als Verteilerstelle von Lebensmitteln auf Kartenration. Im Zuge der Neubaumaßnahmen der fünfziger Jahre wurde die Ruine abgerissen.

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