Das Haus des Kindes.
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Nur wenige Hochhäuser, allesamt vor 1945 errichtet, überragten nach Kriegsende das Berliner Stadtgebiet. Das Hochhaus am Strausberger Platz 19 sollte hier einen neuen städtebaulichen Höhepunkt setzen. Die Hauptaufgabe der Architekten war, ein Kaufhaus zu schaffen, „das dem Kinde und seinen Bedürfnissen dient“. Ein Mammutauftrag. Nicht nur, dass sich die „äußere Wertigkeit“ des Hauses in der Gestaltung der Räume wie in deren Funktionen widerspiegeln sollte, sondern „ein humanistischer Ideengehalt“ musste deutlich werden, „der unserem politischen, ökonomischen und kulturellen Zielsetzungen beim Aufbau eines neuen Deutschland zugrunde liegt“. Über die Gestaltung des Hauses hatte zum Ausdruck zu kommen, „das die Barbarisierung des Gefühlslebens wie er im Faschismus seinen Ausdruck erlebte, kein der deutschen Nation angeborener oder anerzogener Wesenszug sei“.
Wettbewerb der Vorbilder
Die sowjetische Handelskette Welt des Friedens bot seit 1947 nur Waren für Kinder an. Diesem Beispiel folgend initiierte 1949 das tschechoslowakische Ministerium für Innenhandel den Bau eines „Hauses des Kindes“ in Prag. Der Architekt Rolf Göpfert besichtigte am 9. April 1952 diese Räume: „Neben einem großen Sortiment an Kleidung und Spielzeug warteten auf die kleinen Besucher ein Puppentheater und ein Café mit vielen Kuchenstücken!“ Göpfert war beeindruckt: „Unter Berücksichtigung der Erfahrungen unserer tschechoslowakischen Freunde werden wir ein schöneres Kinderkaufhaus am Strausberger Platz errichten.“ Auf die Erlebniswelt der Kinder abgestimmt, sie aber auch einzuladen, diese Erlebniswelt zu nutzen, wurden Wände und Möbelstücke versiegelt. Kritzeleien ließen sich deshalb leicht entfernen. Ein Blickfang war das Wandbild im Kinder-Café von Oskar Nerlinger, das Träumereien vom Ballonfliegen darstellte. Die Blumenfenster im Kinder-Café boten eine Panoramasicht in 70 Metern Höhe. Für die Eingangshalle schuf der Kunstschmied Fritz Kühn ein Seepferdchengeländer und ein schmiedeeisernes Gitter für die Loge vom Puppentheater. Freundlich blickte hier ein Froschkönig mit dicken, vergoldeten Augen vom Gitter aus auf 140 rot bezogene kleine Stühle und Bänke. Die Märchenillustratorin Ingeborg Meyer-Rey verzierte den Bühnenvorhang mit Motiven, die deutschen, russischen und orientalischen Märchen entnommen waren.
Figurenbühne
Nach seiner Eröffnung am 7. Oktober 1954, dem fünften Jahrestag der DDR, war das Haus wie das Puppentheater ein Publikumsrenner. Hans-Otto Rieck war der Leiter des Puppentheaters. 5 Akteure gehörten seinem Team an. Der Anspruch aller war: „Unsere Kinder, auch die ganz kleinen, wollen heute nicht mehr nur noch liebenswerten Unsinn auf der Bühne sehen, sondern Anregungen zum Mitdenken und Überlegen erhalten. Wir erziehen und bilden wie die Schule, nur mit anderen Mitteln und mit dem Unterschied, dass sich der hohe erzieherische Einfluss des Puppentheaters als erstes Theatererlebnis der Kleinsten erst nach Jahren auszahlt“. In den Wintermonaten wurden acht Puppenspiele und zehn Filme aufgeführt. Vom 7. Oktober 1954 bis zum 10. Januar 1957 besuchten 140.000 Kinder die Puppenbühne. Allein im August 1963 kamen wöchentlich 1.000 Kinder zu den Aufführungen. Sie sahen Stücke wie die „Lustigen Bärenkinder“, oder „Das ausgerissene Teufelchen“. Inge Borde schrieb für diese Bühne das Stück vom „Schlauen Kobold“. Otto Riecks Inszenierung vom „Kleinen Muck“ erregte Kritiker. Das Stück würde „zu deutliche satirische Züge aufweisen und das Zauberhafte und Fantastische ins Hintertreffen drängen“ hieß es. Die Kinder jedoch fanden ihre Sorgen und Freuden auf der Bühne dargestellt und kommentierten alles mit Zwischenrufen.
Briefwechsel
Erster Leiter des Kaufhauses war der spätere Direktor der HO Textil, Manfred Polauke. Seine Nachfolgerin war von 1960 bis 1969 Elfriede Austenat. Sie führte das Kaufhaus aus dem Verlust in den Gewinnbereich. Von einem Kunden- und Schülerbeirat begleitet, leitete sie ein strenges Qualitätsmanagement ein und ermunterte ihre Verkäuferinnen, Fremdsprachen zu lernen. Mit vielen Herstellern schloss sie Partnerschaftsverträge ab. Nicht nur mit dem Kinderwagenhersteller Zekiwa waren dafür unerquickliche Briefwechsel nötig. Dessen Produkte sahen zwar elegant aus, litten aber unter diversen Mängeln. Erst als Frau Austenat staatliche Kontrollorgane einschaltete, gab Zekiwa ein Jahr Garantie. Die 1966 eingeführte Selbstbedienung war ein weiterer ihrer Erfolge, der eine Umsatzsteigerung von 61 Prozent erbrachte.
Erosion
Wegen technischer Mängel musste die Puppenbühne 1970 schließen. In den folgenden Jahren fielen die Fahrstühle aus. In den Nebenräumen vom Kinder-Café verstaubten Tische und Stühle. Der Motor vom Raumschiffmodell schmorte durch, die Figuren an den Spielwänden standen still, die Eisenbahnanlage benötigte eine Generalreparatur. 1983 startete eine lange Rekonstruktionsphase des Hauses, nur unterbrochen von einer Wiedereröffnung im Juni 1985. Im Zuge dieser Arbeiten verschwand das Froschköniggitter von Fritz Kühn. In einem Schutthaufen wiedergefunden, restaurierte der Sohn von Fritz Kühn das Gitter, das im Puppentheater Berlin an der Greifswalder Straße eine neue Heimat fand. Mit der Einrichtung von barrierefreien Zugängen und entsprechenden Einrichtungen für die Anprobe von Kleidung sowie einer Modernisierung der Haustechnik endete die zweite Renovierungsphase im Oktober 1989. Ein vergeblicher Aufwand. Das „Haus des Kindes“ überlebte die Wendezeit nicht. Viele seiner Einbauten verschwanden spurlos oder wurden überformt. Was blieb, waren die Wohnungen in den übrigen Geschossen des Hochhauses. Ursprünglich und nach den Worten des Chefarchitekten der Stalinallee, Hermann Henselmann, sollten diese Wohnungen gegenüber den anderen in der Stalinallee größer und besser ausgestattet jenen Menschen vorbehalten sein, „die auf unserem Weg aus den Trümmern an der Spitze marschieren“. Heute leiten sich Privilegien vom Geldbeutel ab. Diese aufwendig sanierten Wohnungen werden zum Kauf angeboten.
Unter anderem hat die Kinderstühle im Haus des Kindes mein Großvater, der Archtiktek Erich Rothärmel (1909 -1971) entworfen.