Das ehemalige Pintsch-Verwaltungsgebäude, Foto: Giovanni Lo Curto

Leuchtendes aus der Andreasstraße

Pintschleuchte, Quelle: Firmenkatalog 1936
Gas brachte Glühstrümpfe zum Glühen, bis alle Bahnhöfe hell waren. Pintschleuchte der 1930er Jahre / Quelle: Firmenkatalog 1936 /

Leuchtendes aus der Andreasstraße.

Von
„Sonst fuhr die Bahn verdrießlich, bei trüber Lampe matten Schein: Was macht heute das Reisen vergnüglich? Das Licht von Pintsch, das leuchtet ein“. So sangen sie, die „Pintschianer“ aus der Andreasstraße 71-73. Wer sich die Zeit nimmt, kann den Namensschriftzug am verlassenen Gebäude, das neben der Eisenbahnbrücke zum Ostbahnhof steht, erkennen. Kaum vorstellbar, dass in diesem „alten Kasten“ ein weltweit agierender Konzern entstand und vieles erfunden wurde, was weiterentwickelt bis heute seine Dienste verrichtet.
Julius Pintsch, Klempnermeister mit kleiner Werkstatt am Stralauer Platz 4, reparierte englische Gaszähler. Er kannte deren Schwächen. 1847 baute er bessere und sie verkauften sich gut. 1863 ließ Pintsch ein Fabrikgebäude an der Andreasstraße bauen. Der Grund war die Nähe zu den Bahnhöfen. Pintsch experimentierte mit Leuchtgas aus Fettabfällen, um die Eisenbahnbeleuchtung zu verbessern. Bis dahin wurden wenig verlässliche Leuchtmedien, wie Kerzen, Petroleum oder Lampenöl in den Zügen oder für Signale verwendet.
„Gasflammen“, sagte Pintsch, „erhellen mit ihrer größeren Leuchtkraft die Coupés derartig, daß man in derselben an allen Plätzen lesen kann“. Bald waren die Züge der Ostbahn mit Ölgas-Druckbehältern ausgestattet, deren Füllung über 100 Stunden Licht spendete. Seit den 1890er Jahren war man bei an der Entwicklung von Glühbirnen beteiligt, die zum großen Geschäftszweig bei Pintsch wurden. Dichte Schweißnähte waren nötig für Druckbehälter und beleuchtete Seezeichen, die im Haus an der Andreasstraße entworfen wurden. Bei Pintsch entwickelte man Lichtbogenschweißverfahren und Hilfsmittel wie die „Elektroden“ der Sorten „Pintschschwarz“ für Kesselbauteile, „Pintschrot“ für Maschinenbaustähle oder „Pintschgrün“, zum Senkrecht- und Überkopfschweißen.

Pintschhauptverwaltung in der Andreasstrasse, Quelle: Eisenbahnwesen der Gegenwart 1911
Noch hochmodern präsentierte sich 1911 die Hauptverwaltung vom Pintsch-Konzern. / Quelle: Eisenbahnwesen der Gegenwart 1911 /

Frieden und Krieg

Zwischen 1906 und 1907 hatte das Architekturbüro Cremer & Wolffenstein den Bau von erweiterten Fabrikations­anlagen und jenem Hauptverwaltungsgebäude realisiert, das heute an der Andreasstraße steht. In beiden Weltkriegen wurden hier militärische Projekte entwickelt – Torpedos, Minen, Radartechnik.
Über 3.000 Zwangsarbeiter schufteten für Pintsch. 1938 wurden Firmen in Österreich und im Sudetenland übernommen und 1940 Beleuchtungsfirmen in Polen. Mit der Firma Philips bestand eine enge Zusammenarbeit.

Heimlichkeiten

Noch während der Endkämpfe Ende April 1945 gruben die „Pintschianer“ der Andreasstraße ihre Maschinen unter Trümmern hervor. Aber sie konnten die Verlagerung der Hauptverwaltung nach Westdeutschland nicht verhindern. 1947 waren in den alten Pintsch-Gebäuden an der Andreasstraße 284 Maschinen in Funktion und 18.000 m² Werkstätten neben 4.000 m² der Verwaltung wieder hergestellt.
Die Planungsabteilung beschäftigte sich mit der Projektierung von Gaswerken, die Produktionsabteilungen mit dem Bau von Seezeichen und Auto- und Elektrozubehör. Wie alle Abteilungen arbeitete die Konstruktionsabteilung im Auftrag von Feldposteinheiten der Roten Armee. Von hier kamen hohe Forderungen an die Produktionsgeschwindigkeit bei unklaren Zuständigkeiten. Ein Offizier Ogenjan erteilte dem Leiter der Abteilung Lichtzeichen am 31. Mai 1948 den Auftrag, Landebahnleuchten für Flugplätze unter Verwendung von Hochleistungs-Neon-Leuchtröhren zu entwickeln. Wie Offizier Ogenjan sah Otto Klaar, Chef der Abteilung, hier gute Export-Chancen ins westliche Ausland für dieses Produkt. Doch am 11. April 1949 stand eine Kontrollkommission der sowjetischen Militär-Administration im Betrieb und untersagte sämtliche Arbeiten am Projekt. Die Begründung: Entwicklungen könnten über den erteilten Auftrag hinaus durchgeführt werden, ohne dass dies dem Auftraggeber bekannt würde. Der eigentliche Hintergrund: Offizier Ogenjan war der Militär-Administration unbekannt.

Das ehemalige Pintsch-Verwaltungsgebäude, Foto: Giovanni Lo Curto
Das Verwaltungsgebäude in der Andreasstraße steht heute leer. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Loyalitäten

Die Arbeitsbedingungen im Betrieb waren schlecht. Das Licht trübe, die Toiletten unhygienisch, Lastenfahrstühle funktionierten nicht, alles musste getragen werden. Überall gab es ausgebranntes Parkett und Löcher im Boden. Löhne wurden zu spät ausgezahlt. Einige Leute griffen zur Selbsthilfe und verkauften Treibriemen auf dem Schwarzmarkt.
Am 4. März 1952 lagen bei den „Pintschianern“ die Nerven blank. Es kam zu einem zweistündigen Sitzstreik wegen eines neuen Prämienverteilsystems, sowie Urlaubskürzungen und der Beseitigung des Waschtages für die zahlreichen alleinstehenden Frauen. „Es wird zwar viel Wind gemacht, aber zu sehen ist nichts“ war am 2. Mai 1952 zu hören. Weil die Löhne wieder zu spät ausgezahlt wurden, setzten einzelne Abteilungen die Arbeit für drei Stunden aus. Bitter für die Parteileitung: es waren Genossen, die zum Streik aufriefen.
Schlimmer noch: Am 17. Juni 1953 verweigerte der Werkzeugbau die Arbeit. Auf dem Hof versammelten sich Kollegen aus allen Abteilungen. Von leitenden FDGB Mitgliedern unterstützt, sagte eine geschätzte und sonst parteitreue Genossin, dass die Partei nicht die Interessen der breiten Masse vertritt. Die Kollegen forderten die Durchführung freier Wahlen und eine sofortige Senkung der HO-Preise.
Ein erheblicher Teil der 1.700 Mitarbeiter ging zur Stalinallee. Sehr zum Ärger der Bezirksparteileitung „entlarvte“ die Betriebsparteileitung aus Loyalität gegenüber den Kollegen und der alten Firma nach Niederschlagung des Aufstandes zunächst keine „Provokateure“.
Man hatte nicht vergessen, dass einst der Sohn des Gründers Oskar Pintsch und seine Ehefrau Helene nach heutiger Kaufkraft 2,6 Millionen Euro für ein Heim zur Heilung und Erziehung behinderter Kinder spendete. Dies war das Startkapital für das spätere „Oskar-Helene-Heim“ in Zehlendorf. Auch andere soziale Leistungen der alten Besitzer, die sie jetzt vermissten, waren den „Pintschianern“ noch in Erinnerung. Erst auf massiven Druck von oben wurden drei Mitarbeiter aus den Abteilungen Werkzeugbau, Sonder­regelungsbau und Schlosserei den „Staatsorganen“ übergeben. Etliche der neuen und alten Kader mussten 1956 gehen, als der Betrieb zum VEB Fahrzeugtechnik wurde. Nach der Wende wurde der VEB schnell abgewickelt und seit 1992 steht das Gebäude leer.

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