Der Kapp-Putsch in Friedrichshain.
Von
Am Abend des 30. Januar 1920 erfüllte lautes Stimmengewirr eine Schulaula in der Friedenstraße 31: „Wenn wir uns in den ersten Tagen nach dem 13. Januar der stillen Hoffnung hingegeben haben, der Belagerungszustand mit seinen üblen Begleitumständen würde nur kurze Zeit dauern, kann heute keine Rede mehr davon sein.“ Am 13. Januar 1920 hatten im Reichstag Beratungen über ein Betriebsrätegesetz stattgefunden. Dem 13. Januar 1920 gingen Diskussionen in der Stralauer Kneipe „Schonert“ voraus. Ottomar Geschke, Eisenbahner im RAW Revaler Straße, rief: „Die Großbourgeoisie versucht, seit sie sich von dem Schreck der Novemberrevolution erholt hat, eine revolutionäre Errungenschaft nach der anderen zu liquidieren. Der Gesetzentwurf verlangt, ‚wenn es dem Betriebszweck dient‘, dürfen Betriebsräte Einblick in alle Betriebsvorgänge und Produktionspläne haben. Den Arbeitern und Angestellten bleibt nur ein nachträgliches Beschwerderecht, aus der Kontrolle von Geschäftsführung und Betriebsleitung sind sie weitgehend ausgeschaltet“. Die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) organisierte im Bündnis mit der KPD und dem Spartakusbund Demonstrationen gegen dieses Gesetz. Die im April 1917 gegründete USPD war ein Sammelbecken für SPD Anhänger, die links der Parteilinie neue politische Horizonte suchten. Friedrichshainer, wie Ottomar Geschke oder Paul Mielitz, der am 1. April 1921 Bürgermeister von Friedrichshain wurde, gehörten der USPD an.
Demokratie mit Waffe
Arbeiter- und Soldatenräte gehörten zu den Errungenschaften, über deren Mitwirken das demokratische Deutschland geschaffen werden sollte. Bereits Ende April 1917, als es bei der Knorrbremse in der Neuen Bahnhofstraße wegen der katastrophalen Ernährungslage unter der Parole: „Mann der Arbeit, aufgewacht, und erkenne deine Macht!“ zu Streiks kam, erhielt ein ständiger Arbeiterrat beim Oberbürgermeister das Recht, Akten einzusehen und mit zu entscheiden, „ob mehr Brot der Bevölkerung abgegeben werden könne“. Für politisch Konservative war das eine Bankrotterklärung der Regierung, da sie „anstatt nach alter Methode die Streikenden mit Salven zu empfangen, sich auf stundenlange Verhandlungen“ einließ. Am 13. Januar 1920 wurden dann Streikende mit Salven empfangen. Über einhunderttausend Menschen standen wegen der Verhandlungen zum Betriebsrätegesetz vor dem Reichstag. Wegen der Proteste gab SPD-Minister Noske dem Freicorpskommandanten Lüttwitz einen Schießbefehl. Mehr als einhundert Verletzte und über vierzig Tote waren zu beklagen. Schon am 9. Mai 1919 stand im Vorwärts: „daß gegenwärtig keine Regierung ohne militärische Macht bestehen kann und das derzeit diese Truppen nur auf freiwilliger Grundlage gebildet werden können“, und „daß sie nur dem Schutze der revolutionären Errungenschaften und der friedlichen wirtschaftlichen Arbeit dienen und jeder Missbrauch für reaktionäre Bestrebungen ausgeschlossen ist“. Wie die westeuropäischen Regierungen fürchteten auch große Teile der SPD einen massiven gesellschaftlichen Umbruch, wie er sich seit der Oktoberrevolution von 1917 im ehemaligen Russland vollzog.
Kampf in der Stille
Nach den blutigen Kämpfen der Freikorps gegen revolutionäre Arbeiter im Januar und März 1919 wurden den Arbeiter- und Soldatenräten die finanziellen Mittel wegen „Ungesetzlichkeit“ entzogen. Am 7. November 1919, während einer Versammlung im Rathaus Lichtenberg, sagte der für Boxhagen zuständige SPD-Stadtrat Baranowski: „Viele Arbeiterräte hätten fast gar nichts geleistet“. „Lügner!“ riefen Ottomar Geschke mit anderen Arbeitern vom RAW Revaler Straße und „dann wird die Bevölkerung sie auf eigene Kosten weiter erhalten“. Dazu kam es nicht. Aufgrund des Belagerungszustandes waren Versammlungen und viele Zeitungen verboten. Auf Streik stand die Todesstrafe. Um Parolen zu verbreiten, etwa zur Sabotage gegen den Nachschub für die Freikorps, kamen Handklebezettel ähnlich wie Werbedrucke zum Einsatz. Um Freikorpszüge an der Weiterfahrt zu hindern, füllten Arbeiter vom RAW feinen Sand in die Laufbuchsen von Lokomotiven.
Einigkeit
Am 12. März 1920 ging die Fama um, „die Freikorps bereiten einen Putsch vor“. Die Siegermächte hatten von der deutschen Regierung die Auflösung der Freikorps verlangt. Als die Freikorps sich verweigerten, gipfelte der Konflikt am 13. März. Das Marinekorps Ehrhard marschierte mit Hakenkreuzen an den Helmen in Berlin ein. Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp setzte die Regierung ab, die nach Dresden und wenig später nach Stuttgart floh. Da die Gewerkschaften seit der Kaiserzeit die Einheit der Arbeiterbewegung verkörperten, übernahm der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund die Führungsrolle bei der Abwehr der Putschisten und rief zum Generalstreik auf. Mitglieder der Betriebsräte organisierten mit den Gewerkschaftern diesen Streik. Die Menschen waren müde von Hunger und Not und streikten gegen jede Form der Diktatur.
Falsche Fährten
Kuriere brachten irritierende Depeschen ins RAW: „Keine Plünderungen, keine Kasernen und sonstige Gebäude dauernd besetzen, nur solange zu betreten, um Waffen, Munition, Autos in die Hände zu bekommen“. Am 14. März wurde aus einem Auto auf einen Wachposten am Frankfurter Tor geschossen, der zurückfeuerte. Diese Schießerei führte zum Gerücht von „schwarzen Katzen“, einer illegalen roten Armee. Diese sollte einen Stützpunkt in der Jungstraße 27 haben, und die Leiter der „Zelle“ würden in der Kreuzigerstraße 14 oder der Gürtelstraße 33 wohnen. Doch konkrete Beweise für einen Waffenbesitz konnte die Staatsanwaltschaft nicht feststellen. Streikagitatoren wohnten dort. Wegen des Generalstreiks und fehlender Unterstützung brach der Putsch am 16. März 1920 zusammen. Die Freikorps wurden aufgelöst, Kapp flüchtete nach Schweden. Am 1. April 1920 trafen sich die USPD-Mitglieder in der Blumenstraße 34 zur Rückschau: „Einen Generalstreik wie diesen hat es in Deutschland noch nie gegeben“, doch „mit einem Stück Brot in der Tasche und einer Leibwäsche kann man nicht kämpfen“, fasste ein Teilnehmer die verhaltene Stimmung zusammen.