Stummer Zeuge der Geschichte
Ein Zeugnis aus dem Krieg ist erst unlängst dem Museum Lichtenberg übergeben worden. Es ist ein Aluminiumlöffel, der einst einem unbekannten Kriegsgefangenen gehört hat und der mit einer Geschichte aus dem Berliner Kriegsalltag in Verbindung steht. Überlassen hat den Löffel eine weit über achtzig Jahre alte Lichtenbergerin, die 1945 in der Boxhagener wohnte und das Kriegsende mit elf Jahren erlebte. Ihre Erinnerungen an diese Tage hat sie aufgeschrieben:
Die Geschichte eines Löffels
Am 23. / 24.4. wurde unser Haus Kommandantur und wir mussten in der Nacht das Haus verlassen. Wir waren ein keines Trüppchen von drei alten Ehepaaren, meinen Eltern und ich, 11 Jahre. Wir zogen in Richtung Friedrichsfelde und kamen in die Nähe des Magerviehhofs, welcher ein Gefangenenlager gewesen war. Man sagte uns, dort gäbe es Unterkunft. Wir neun Leutchen fanden in einem kleinen Raum Bleibe und verbrachten die Zeit bis Anfang Mai hier. Es waren bis zu 200-300 Menschen dort. Zum Glück waren noch zwei Schlächter unter den Menschen, die zwei verbliebene Kühe schlachteten und mit Kartoffeln und Gemüse zweimal am Tag eine Mahlzeit kochten. Die untergebrachten Leute hatten kein Essen dabei und waren froh darüber. Anfangs Mai gingen wir wieder nach Hause. Die Kommandantur wurde gerade aufgelöst und wir waren froh, denn einige Häuser waren durch Beschuss kaputt. Als wir unsere Habseligkeiten auspackten, war der Löffel dabei. Meine Mutter sagte, den behalten wir als Erinnerung an die Zeiten. Edith T., ehemals Boxhagener Straße 28. Diesen Löffel hat Frau F. in all den Jahren bei sich behalten und bei jedem Umzug mitgenommen. Erst als sie ins Altersheim zog, trennte sie sich von ihm. Aluminiumbestecke wurden mangels Rohstoffe schon während der NS-Diktatur im Deutsches Reich hergestellt. Auffällig an dem Löffel ist, dass er sehr stark abgenutzt ist und Gravuren von mehreren Personen trägt, die den Löffel möglicherweise hintereinander besessen hatten. Sie müssen sehr viel Zeit dafür aufgewendet haben und waren offenbar lange Zeit tatenlos, so wie es vielen Gefangenen erging. Von diesen Vorbesitzern wissen wir nichts: weder ihr Alter, noch ihre Herkunft und auch nicht ihr Schicksal. Damit erinnert das Stück nicht nur an den Aufenthalt der deutschen Familien im Friedrichsfelder Magerviehhof während des Kriegsendes, sondern auch an unbekannte Opfer der NS-Diktatur. Das Museum Lichtenberg hat seit September geschlossen und richtet eine neue Dauerausstellung ein. Ob diese Neuanschaffung dann auch zu sehen sein wird, steht noch nicht fest.