Anders als erwartet
Zunächst bin ich von ihrem Anblick überrascht. Sie trägt langes, hochgestecktes Haar, in das sie ihre Sonnenbrille schiebt, als sie mich begrüßt. Ein buntes Sommerkleidchen, farbenfroher Lippenstift und pinkfarbene Fingernägel machen sie zu einem Farbtupfer. Aber alles passt. Sie ist ein farbenfroher Mensch, anders als die meisten Vietnamesinnen ihres Alters, die eher wie graue Mäuschen wirken.
Ihr Deutsch sei nicht sehr gut, sagt sie entschuldigend, obwohl sie seit 1992 hier lebt, davon 16 Jahre in Friedrichshain, und als Journalistin arbeitet. Wie das zusammenpasst, erfahre ich unterwegs, als wir von unserem Treffpunkt in der Scharnweberstraße in die Herzbergstraße ins vietnamesische Zentrum fahren. Dort sitzt ein Bekannter in einem kleinen Studio vor auseinandergebauten Computern und hilft ihr beim Übersetzen.
Eine andere Welt
Aufgewachsen ist Quynh Nga in Nordvietnam in einem Ort bei Hanoi, der inzwischen längst in die Hauptstadt eingemeindet wurde. Zu ihren Kindheits- und Jugenderfahrungen gehört der Bombenkrieg der US-Armee. Meine Frage, ob die Menschen in Vietnam den Amerikanern noch zürnen, beantwortet sie mit einem klaren Nein: „Vorbei ist vorbei.“ Eher macht ihnen der Streit um die kleinen Pazifikinseln Sorgen, in den China involviert ist. Aber Politik ist nicht ihre Sache.
Sie machte eine Ausbildung zu einer Sängerin an der Kunstschule der Armee. Ab 1974 arbeitete sie in einem Kunstensemble der Provinz Ha Tay, das mit Tanz, Gesang und Schauspiel in den unterschiedlichen Kulturzentren von Ha Tay auftraten. Dass sie Vietnam verließ, hängt mit einem persönlichen Erlebnis zusammen, über das sich Quynh Nga nicht weiter äußert. Sie wollte so weit wie möglich fort sein und ein ganz neues Leben anfangen.