Die Graphikerin Regina Gebhard

„Wenn ich etwas schneiden konnte, war ich immer ganz ich selbst.“

Die Graphikerin Regina Gebhard, Foto: Anne Winkler
Regina Gebhard beim Zeichnen. / Foto: Anne Winkler /

Die Graphikerin Regina Gebhard.

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Eine Leserin hat uns einen Tipp für ein Porträt gegeben: „Fragen Sie doch einfach mal die Künstlerin Regina Gebhard“. Zuerst war uns der Name neu, aber bald stellt sich heraus, dass auch wir ihre Arbeiten kennen.
Mir öffnet eine kleine, lebhafte Frau mit hübschen Kurzhaarschnitt und braunen, interessiert blickenden Augen. Kaum zu glauben, dass Regina Gebhard 89 Jahre alt ist. Sie bittet mich in ihr Wohnzimmer an das kleine Tischchen neben dem Fenster, das bis zum Boden reicht. Wir kommen sofort in Gespräch.

Keine geradlinige Berufsentwicklung

1928 kam Regina in Moabit zur Welt. Die Familie zog bald nach Karlshorst, wo das Mädchen seine gesamte Kindheit verbrachte. „In meiner Familie war niemand besonders künstlerisch interessiert, bis auf meine sehr musikalische Mutter. Von ihr habe ich wohl meine künstlerische Neigung. Ich dagegen habe immer gern gezeichnet“, erzählt sie. „Irgendwie hatte ich mich auf das Thema Mode versteift.“ Doch Mode stand in der Kriegszeit, als sie einen Beruf lernen sollte, ebenso wenig wie andere künstlerische Fächer auf der Angebotsliste der Ausbilder. Stattdessen musste sie sich mit etwas Fach-nahem begnügen und kam in einer Schneider-Fachschule unter. „Bald aber mussten wir Wehrmachtsuniformen flicken.“

Regina Gebhard als Sechsjährige in Karlshorst , Foto: privat
Regina Gebhard als sechsjährige Spaziergängerin im Seepark Karlshorst.
/ Foto: privat /

Hungerjahre – für uns eine fremde Welt

Ihre Familie teilte in Karlshorst das Schicksal vieler Zeitgenossen: „In unserer Straße fiel nur eine einzige Bombe, und ausgerechnet die traf unser Haus!“ Von der Wehrmacht zu einem Garnisonstandort ausgebaut, wurde Karlshorst wegen seiner Infrastruktur von der Sowjetarmee nach dem Ende des Krieges 1945 zu ihrem Hauptsitz in Deutschland auserkoren. Auf einer großen Fläche des Berliner Vororts mussten sämtliche Wohnhäuser geräumt werden, darunter auch die Wohnung, in der die Familie Unterkunft gefunden hatte. „Ich wurde auch Dienstverpflichtet und musste irgendwo Kohlen abladen, Wohnungen säubern oder in einer Fabrik Maschinen einölen, die in die Sowjetunion geschickt wurden. Wir haben auch Uniformen genäht und waren froh, wenn wir dafür eine Mahlzeit bekommen haben.“
Reginas Lehrwerkstatt lag im Westen der Stadt, in der Nachkriegszeit wegen der zerstörten Bahnverbindungen eine halbe Weltreise entfernt. Man riet ihr dort, es mit ihren künstlerischen Ambitionen an der Hochschule für Bildende Kunst zu versuchen. Dort wiederum verwies man sie an eine gerade erst 1946 gegründete „Kunstschule Nord“ in Weißensee, die spätere Weißensee Kunsthochschule. „Angeblich nahm die damals noch jeden Bewerber an.“ 1947 bewarb sie sich und wurde tatsächlich in die Fachklasse für Mode aufgenommen.

Graphikerin Regina Gebhard, 1957 in der Karl-Marx-Allee. Foto: privat
1957 in der neuen Wohnung in der heutigen Karl-Marx-Allee. / Foto: privat /

Wechsel in die Klasse für Freie Graphik

„Ich hatte bis zu meinem Eintritt in die Kunstschule nie etwas mit Mode gezeichnet, höchstens Personen, meine Mutter und meine Großmutter“, erklärt Regina Gebhard ihren Übertritt von der Modeklasse in die Freie Graphik. Dort lehrte Ernst Rudolf Vogenauer, ein vielseitiger und begnadeter Graphiker und Pädagoge, dem sie auch später freundschaftlich verbunden blieb. Vogenauer gehörte zu den Künstlern, die sich für modernes Design in der DDR einsetzten.
An der Schule lernte sie auch Max Gebhard, einen Graphiker, kennen, der aus dem Bauhaus-Umfeld kam und als Kommunist illegal gegen die Diktatur der Nationalsozialisten gearbeitet hat. Die beiden wurden ein Paar und heirateten. Gemeinsam mit der Tochter Gebhards bekamen sie 1953 eine neue Wohnung in der damaligen Stalinallee in Friedrichshain. „Wir hatten nichts, nur eine leere Wohnung, keine Möbel, und mussten uns erst das Notwendigste anschaffen.“ Doch es war ein Neuanfang der ihre beengten Wohnungsverhältnisse beendete: „In Karlshost hatten wir zu viert in zwei Zimmern mit einem Mitnutzungsrecht für eine Küche gelebt,“ berichtet Frau Gebhard. „Meine ersten Holzschnitte fertigte ich auf dem Balkon an, ganz einfach, weil dort Platz war.“
Die Nachbarn im neuen Haus waren ganz verschiedene Leute, „querbeet“, wie sie sagt. Zeitweilig lebte die Schauspielerin Steffi Spira dort, aber auch zwei Damen, die einen Kiosk betrieben und eine Familie mit sechs Kindern.

Scherenschnitt von Regina Gebhard, Foto: privat
Zeitlos schön: Scherenschnitt von Regina Gebhard / Foto: privat /

Vielfältige Arbeitsmethoden

Nach ihrem Studium arbeitete sie als freie Graphikerin. „Ein Studienfreund kam beim Fernsehen unter und holte viele Freunde nach, darunter auch mich“, erinnert sich Regina Gebhard. Dort kam sie beim Kinderfernsehen unter, wo sie einige Jahre blieb. „Ich arbeitete beim Abendgruß und fertigte aus grauen und hellblauen Pappen Bilder, die als Illustrationen zu vorgelesenen Geschichten gezeigt wurden. Damals gab es ja nur Fernsehen in schwarz-weiß.“ Von diesen Bildern existieren lediglich ein paar Fotografien. Die Originale wurden in die Fernsehproduktion abgegeben und kamen nicht wieder zurück.
Sie fertigte auch politische Plakate an und war als Illustratorin der „ABC-Zeitung“, einer farbigen Zeitschrift für Grundschüler, tätig. Sie illustrierte auch Bücher und Buchumschläge, wie auch Weihnachtskalender. Regina Gebhard beherrscht alle Ausdrucksformen: Stift- und Federzeichnung, Farbekreide, Tusche, Tempera und so weiter.
Bekannt ist sie aber besonders für ihre Scherenschnitte, wie die für das Kinderbuch „Die Heinzelmännchen“, das 1987 erschien. Auch andere Bücher erschienen mit Scherenschnitten. Wie kam es dazu, dass sich die Verlage Bücher so illustrieren ließen? „Manche Leute wussten, dass ich Scherenschnitte machte und die besorgten mir dann die Aufträge.“

Die Heinzelmännchen, Scherenschnitte von Regina Gebhard
Szene aus „Die Heinzelmännchen“, 1987, mit Scherenschnitten von Regina Gebhard

Ein Material, das Gründlichkeit verlangt

Diese Form der Gestaltung verlangt nicht nur große Genauigkeit, sondern auch eine besondere Herangehensweise. Praktisch muss man zweidimensional denken, denn perspektivische Verkürzungen funktionieren nicht. Auch kann man einzelne Objekte nicht einfach überdecken, weil dann die Konturen nicht mehr erkennbar sind. Und man muss genau überlegen, was man tut, denn weggeschnitten ist weggeschnitten. „Ich habe eigentlich alles gern gemacht und mir kamen immer auch sofort gute Ideen, wenn ich einen Auftrag erhielt.“ Der Feuereifer, mit dem sie sich an die Arbeit setzte, ist ihr jetzt noch deutlich anzumerken. „Doch wenn ich Gelegenheit hatte, etwas zu schneiden, dann war ich immer ganz ich selbst. Schon als Mädchen habe ich gern Modepuppen ausgeschnitten.“

Collage der Graphikerin und Künstlerin Regina Gebhard
Collage der Graphikerin und Künstlerin Regina Gebhard

Nach den Berufsjahren ein neuer künstlerischer Anfang

Wie bei vielen DDR-Künstlern blieben auch bei Regina Gebhard nach 1990 die Aufträge weg. War es schlimm für sie? „Eigentlich nicht“, gibt Regina Gebhard freimütig zu. „Ich wurde Rentnerin und musste mich nicht auf die Suche nach Aufträgen machen.“ Sie verspürt auch eine gewisse Scheu, sich in Galerien vorzustellen. „Ich glaube, ich bin da nicht sehr geschäftstüchtig. Diese Welt ist mir einfach zu fremd.“ Nachdenklich fügt sie hinzu: „In der heutigen Ellenbogengesellschaft würde ich wahrscheinlich untergehen.“ Dafür brachte ihr die neue Zeit auch Annehmlichkeiten, wie das Reisen mit zahlreichen neuen Eindrücken und Skizzen, die sie künstlerisch verarbeitete. „Rentnerzeit heißt für mich, Zeit für freie Sachen zu haben.“ Hierzu gehören Collagen, auf die sie sich erst nach Ende ihrer Berufszeit konzentrieren konnte. Sie waren früher einfach nicht gefragt.

Einfluss unverkennbar

Einige in der Collagetechnik hergestellten Bilder strahlen eine farbige, zeitlose Schönheit aus und erinnern an die Farbspiele der Bauhaus-Schule. Die Beobachtung ist durchaus gerechtfertigt. „Ich war da von meinem Lehrer Ernst Rudolf Vogenauer beeinflusst, der uns Studenten an die Moderne Kunst der Zeit vor der Nazi-Diktatur heranführte.“ Auch ihr Mann Max Gebhard gehörte zu diesen Kreisen und hatte beim Bauhaus-Fotografen László Moholy-Nagy eine Anstellung inne, bei der er für die Kroll-Oper Kulissen anfertigte. In der DDR arbeitete er als Formgestalter für Spielzeug am Institut für Formgestaltung der Forschungs- und Entwicklungsstelle der Weißenseer Kunsthochschule, wurde als Graphiker und Atelierleiter für den Dietz-Verlag tätig und arbeitete später freiberuflich. Er starb 1990.
„Ab 1950 war das Bauhaus in der DDR verpönt“, erinnert sich Regina Gebhard, und fügt an: „leider!“ Erst 1976, zum 50. Jahrestag des Bauhauses wurde es aufwändig saniert und wieder eröffnet.
Auch von Ausstellungen lässt sie sich inspirieren, wobei sie zwei unterschiedliche Einflüsse erlebt hat: „Nach manchen Ausstellungen setze ich mich mit neuen Ideen und Feuereifer an die Arbeit, nach anderen wiederum denke ich einfach nur: ‚Lächerlich, was du mit deiner Schnippelei machst!‘“

Illustrationen von der Graphikerin Regina Gebhard, Foto: Anne Winkler
Aus der Bildemappe – Illustrationen zu Abendgrüßen des Sandmännchens.
/ Foto: Anne Winkler /

Nur wenige Ausstellungen

Zu ihrem achtzigsten Geburtstag fand in der Alten Feuerwache eine Ausstellung mit einigen ihrer vielen Arbeiten statt, und die Insel-Galerie in Mitte präsentierte einige ihrer Collagen neben den Arbeiten jüngerer Künstlerinnen. „Inzwischen wird das alles zu viel für mich“, sagt Regina Gebhard. Doch man möchte es ihr gar nicht glauben, so lebhaft und interessiert, wie sie wirkt. Vor kurzem erst erschien mit Unterstützung einiger Freunde ein kleines Heft in nur geringer Auflage mit Beispielen ihrer sehr vielfältigen Kunst: „Meine Scherenbilder“. In diesem beschreibt sie auch ihre künstlerische Biografie – doch nur sehr knapp.
Man bekommt große Lust, noch viel mehr zu sehen und zu erfahren, denn Regina Gebhards Bilder sind nicht nur großartige Zeitdokumente, sie strahlen auch eine fast spielerische Leichtigkeit aus, selbst wenn sie ernste und auch schreckliche Themen behandeln. Vielleicht wird es einmal ein großformatiges Buch und eine große Ausstellung geben, für die älteren Friedrichshainer, die sich an die bekannten Bilder erinnern können und für die jüngeren, damit sie sehen, was für eine vielseitige Künstlerin unter uns lebt.

Ein Gedanke zu „„Wenn ich etwas schneiden konnte, war ich immer ganz ich selbst.““

  1. Mich beeindrucken die Scherenschnitte von Frau Gebhard sehr, wirklich wunderschöne Arbeiten. Unter andere habe ich ein Telegramm zum Jahreswechsel, das sie für die Deutsche Post gemacht hat, in der Sammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation gesehen.
    Ich wünsche ihr alles Gute!

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