„Wenn es nach der Industrie ginge, dann würden wir alle kaputten Schuhe wegwerfen.“

Leisten in der Schumacherwerkstatt von John O'Hara | Foto: Giovanni Lo Curto
Eine Auswahl der berühmten Leisten, bei denen der Schuster bleiben soll. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Kundenpflege

Es gibt aber auch Kunden, die Qualität schätzen und bereit sind, dafür mehr zu bezahlen. „Manchmal bekomme ich sogar Pralinen oder ein Piccolöchen.“ Dabei lacht er, und fügt an: „Ich kann nur durch Qualität überzeugen.“ John erklärt mir, was Handwerk in seiner Branche bedeutet: „Ich werde mitunter gefragt, ob ich Schuhe auch selbst herstelle.“ Damit beginnt er aufzuzählen, was dafür nötig ist: „An vier Stellen muss man Maß nehmen, den Leisten besorgen und auch bearbeiten. Jedes Paar Füße ist unterschiedlich, abgesehen von links und rechts.“ Zusammen mit dem Material und den etwa 100 Arbeitsstunden ist man dann schnell bei 1.500 bis 2.000 Euro aufwärts.
„Aber diese Schuhe fühlen sich sofort so an, als hätte man sie schon immer getragen. Und wenn man sie pflegt und immer rechtzeitig zum Schuhmacher bringt, kann man sie durchaus zwanzig Jahre tragen.“
Ein junger Mann betritt das Geschäft um seine Schuhe abzuholen – ein Paar robuste Doc Martens. „Noch ein Tipp“, gibt ihm John auf den Weg: „Ab und zu mal etwas Schuhcreme aufs Leder. Ich weiß, ich habe das früher auch nicht so ernst genommen. Aber wenn das Leder trocken wird, fängt es an zu reißen. Das wäre schade um den guten Schuh.“
Als er wieder zurückkommt, erklärt er: „Das ist das Schöne am eigenen Laden. Ich kann auch mal einen Schwatz halten und niemand drängt mich zur Arbeit.“
Seine Kunden kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft: „Da ist der Hartz-Vierer genauso dabei wie die feine Dame und der Uni-Professor. Die Aufträge reichen vom robusten Bergstiefel bis zum Stöckelschuh. Ich sage immer: Zeig mir deine Schuhe und ich sage dir, wer du bist. Es kommen Afrikaner, Franzosen, Engländer, Amerikaner, dann mal eine alte Oma, für die man ein bisschen Geduld mitbringen muss.“ Ärgerlich ist es, wenn Kunden ihre Schuhe reparieren lassen und dann nicht abholen. „Das sind Außenstände von einigen hundert Euro im Jahr.“ Aus diesem Grund repariert er nur noch gegen Vorkasse. „Nur bei meinen Stammkunden mache ich eine Ausnahme. Da klebe ich dann auch mal so etwas fix an.“

Nicht nur Handwerker

„Ich bin mein eigener Herr“, resümiert der Schuhmacher noch einmal, „und ich kann die Musik hören, die mir gefällt.“ Da stellt sich heraus, dass John auch ein passionierter, in der Geschichte des Rock’n Roll gut bewanderter Musikliebhaber ist, der sogar eine Menge Bands und Künstler kennt, die es nie in die Charts geschafft haben. „Die Menschheit hat in ihrer Entwicklung so großartige Personen wie Beethoven oder Picasso hervorgebracht. Aber dennoch fällt sie immer wieder Jahrhunderte zurück ins Zeitalter der Despoten.“
Es fällt schwer, darauf zu antworten. Aber ich glaube, dass man auch mit einem guten Werkstück die Welt besser macht. In diesem Sinne ist John O’Hara ein echter Weltverbesserer, wie es sie in Friedrichshain viel öfter geben sollte.

 

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