Stefan Klein, Geschäftsführer der KIGE Kiezgewerbe UG | Foto: Giovanni Lo Curto

Keiner ist vor Gier gefeit

Stefan Klein, Geschäftsführer der KIGE Kiezgewerbe UG | Fotos: Giovanni Lo Curto
Stadtoasen wie diese werden wohl verschwinden, sollten sich Verfechter der Marktideologie auch im öffentlichen Raum durchsetzen. / Fotos: Giovanni Lo Curto /

Ein Treffen mit dem Geschäftsführer der KIGE Kiezgewerbe UG.

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Was tun, wenn die Mieterhöhung kommt, die Kündigung oder der Vertrag nicht verlängert wird? Wohnungen sind einigermaßen geschützt, so heißt es, für sie gibt es eine Reihe von Schutzvorschriften. Diese verhinderten zwar nicht die üblen einwohnerfeindlichen Mieterhöhungen in den letzten Jahren, doch puffern sie mitunter die Gewalt der Vertreibung ab. Ganz anders ist es bei Gewerberaummieten, die im Bürgerlichen Gesetzbuch gerade einmal zwei Paragrafen zur Regulierung haben.

Mitunter tragische Folgen

„Deshalb ist es auch ziemlich einfach für Juristen, sich damit zu befassen“, scherzt Stefan Klein, mit dem ich in einem Café verabredet bin. Ein eher bitterer Scherz, denn er fährt fort: „Gerade kleine Unternehmer, die täglich viele Stunden in ihrem Laden zubringen und in ihrem Kiez verwurzelt sind, treffen derartige Einschnitte extrem hart. Es ist, als würden sie ihre Wohnung und ihren Job an ein und demselben Tag verlieren.“
Stefan Klein, schlank, groß gewachsen, mit Jeans, Jackett und Polohemd – einem in Friedrichshain nicht außergewöhnlichen Outfit – betreut als Jurist die KIGE – Kiezgewerbe Unternehmergesellschaft in der Kreuzberger Anlaufstelle Ratiborstraße 4.
„Ich mache jedoch aufsuchende Beratung, das heißt, ich bin auch täglich in Friedrichshainer Straßen unterwegs.“ Ursprünglich aus der Initiative „GloReiche Nachbarschaft“ kommend, war es bei 80 Beratungsfällen im Jahr irgendwann nicht mehr möglich, diese Tätigkeit ehrenamtlich zu bewältigen. Gefördert wird die Arbeit vom Amt für Wirtschaftsförderung. „Bezirke können vom Land Berlin Geld beantragen, wenn sie so eine Förderung haben wollen. Leider nahmen das nur zwei Bezirke wahr: Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg. Warum andere Bezirke diese Förderung nicht nutzen, verstehe ich nicht.“
Viele Gewerbetreibende stehen mit ihrer Kündigung oder der exorbitanten Verteuerung ihrer Miete praktisch vor dem Nichts. Die eigene Existenz ist bedroht, was umso mehr bedrückt, wenn Familie und Kinder vom Geschäft leben. Nach jahrelanger Arbeit ist Hartz IV oft die einzige Perspektive. Stefan Klein ergänzt: „Das Merkwürdige dabei ist, dass die Menschen, die es trifft, sich selbst oft als Schuldige ansehen.“ Diese Wahrnehmung ist typisch für Gewalt- und Diskriminierungsopfer, denn viele Menschen räumen in kritischen Situationen immer auch die Möglichkeit ein, selbst nicht angemessen gehandelt zu haben. Aber in solchen Fällen ist es schlichtweg nicht der Fall.

Projektassistentin Judith Lücke-Strömer und Stefan Klein in einer Beratung | Foto: KIGE
Projektassistentin Judith Lücke-Strömer und Stefan Klein in einer Beratung mit einem Gewerbemieter. / Foto: KIGE /

Möglichkeiten zur Hilfe

„Wer eine Kündigung erhält, geht natürlich zuerst zu einem Mietanwalt. Wenn dieser sagt, dass nichts mehr zu machen ist, sind die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Dann kommen sie zu uns.“
Für gekündigte oder von Kündigung bedrohte Gewerbetreibende gibt es einen durchaus wirksamen Katalog von Möglichkeiten. Dieser besteht darin, Kunden und Nachbarn zu mobilisieren, politische Vertreter oder andere Personen des öffentlichen Lebens dazu zu bewegen, bei den entsprechenden Hausverwaltungen beziehungsweise Besitzern um die Rücknahme oder Abmilderung ihrer Entscheidungen zu bitten, oder Demonstrationen zu organisieren. Hausbesitzern und -verwaltungen ist der öffentliche Ruf nicht ganz egal. „Ein Fonds aus Luxemburg ist natürlich unempfänglich für so etwas. Doch immerhin sind wir bei 50 Prozent dieser Fälle erfolgreich. Wenn als überzogen beanstandete Forderungen zurückgenommen werden, verhandeln wir dann weiter.“
Verhandeln hat Stefan Klein gelernt. Er wuchs die ersten Jahre in Schöneberg auf und zog mit seinen Eltern nach Frankfurt am Main. „Ich wurde entführt!“, kommentiert er lachend diesen Umzug. In Frankfurt beendete er Schule und Jurastudium. Wie so viele verschlug es ihn nach Berlin wegen der Liebe. „Meine Frau arbeitet hier. Jahrelang hatten wir zwei Wohnungen hier und in Frankfurt, aber letztere gab ich schließlich auf, als uns die Fahrerei zu viel wurde.“ Die KIGA berät auch beim Geschäftsmodell und ermittelt, ob es tragfähig ist, gerade auch angesichts der Mietsteigerungen. „Wir sind ein Allrounder, der alles anbietet. Wenn sich zeigt, dass eine Geschäftsidee nicht mehr trägt, raten wir auch ehrlichen Gewissens zur Aufgabe.“ Exorbitante Mietsteigerungen sind längst nicht mehr ungewöhnlich. „In einem Fall gab es eine Steigerung um das Vierfache, in einem anderen sollte eine Kita eine Staffelmiete zahlen, von einem zugegeben zunächst günstigen Preis auf das Zehnfache“, so Stefan Klein. „Dabei treten ganz unterschiedliche Hausbesitzer in Erscheinung: Kleinanleger, private Hausbesitzer, Stiftungen, Immobiliengesellschaften, sogar öffentliche Träger. Keiner ist vor Gier gefeit.“
Die Gründe für die Steigerung sind ebenfalls vielfältig. Meist gehen sie mit dem Wechsel des Eigentümers oder der Verwaltung einher. „Manche Verwaltungen treten von sich aus in Aktion, weil sie den Besitzern zeigen wollen, was sie drauf haben.“ Bei Hauskäufen durch Bankkredit muss man der Bank vorher erklären, dass sich der Kauf eines überteuerten Hauses lohnt. Die neuen Hausbesitzer haben in diesen Fällen keine Möglichkeit mehr, mit den Mieten herunterzugehen, denn die Berechnung des Kredits beruht auf diesen hohen Preisen. „Andernfalls werden die Banken von den Käufern verlangen, einen Teil der Kreditsumme zurück zu erstatten.“

Noch lange notwendige Hilfeleistung

Kündigungsfristen in einem Gewerbemietvertrag dürfen kürzer sein als die Fristen, die das Arbeitsgesetz zur Kündigung von Mitarbeitern vorsieht. Die Frage ist, was man gegen all diese Verhältnisse tun kann. Aufkauf ist eine Variante, die aber sehr teuer ist. Ebenso das Bauen, zumal kaum noch Platz dafür ist. Von der in Friedrichshain-Kreuzberg direkt gewählten grünen Abgeordneten Canan Bayram ist im Bundestag ein Gesetz zum Schutz der Gewerbemieten eingebracht worden, das die GroKo abgewehrt hat – im Widerspruch zu anderslautenden Bekenntnissen der Regierungsparteien.
„Man könnte das Gesetz innerhalb weniger Stunden durchbringen“, sagt Stefan Klein. Und setzt hinzu: „Vorausgesetzt, man hat den Willen dazu“. Und dabei gelten Berliner Mietpreise im internationalen Maßstab noch als günstig, trotz der hohen Teuerungsrate der letzten Jahre. Also wird Stefan Klein auch weiter zu tun haben, um Unternehmer in Existenznot zu beraten.

www.kiezgewerbe.de

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