Stralau, Foto: Keilhaus | April 1950

Kirche, Fisch und zweifelhafte Festivitäten

Stralauer Dorfkirche, Kirchenschiff, 2014
Auch nach der Sanierung strahlt das Kirchenschiff eine Jahrhunderte alte Würde aus. / Foto: Kirchengemeinde Stralau/Michael Lindner /

Die Wissenschaft hat in Stralau noch einiges zu klären.

Das Besondere in der Stralauer Kirche sind die Gewölberippen von Chor und Schiff, die auf insgesamt zwölf rotfarbenen, zu menschlichen Köpfen ausgearbeiteten Konsol­steinen ruhen, die auch Hussitenköpfe oder Wenden­fratzen genannt werden. Auf heidnische Zeit geht die Vorstellung zurück, dass diese Fratzen die irdische Sphäre von der himmlischen trennen, die im Gewölbe beginnt. Weil die Gewölberippen einen birnenähnlichem Querschnitt aufweisen, wurde die Vermutung geäußert, dass die Stralauer Kirche – vielleicht über Vermittlung der Kalandsbrüder – aus den Resten der alten frühgotischen Nikolaikirche errichtet wurde, die ebensolche Birnenstabrippen aufwies.

Fischernten

Man mag es nicht glauben: der Rummelsburger See (früher Stralauer See) muss einst sehr fischreich gewesen sein. Berliner Urkunden berichten immer wieder von Verkäufen und Vermietungen des offenbar sehr lukrativen Fischereigeschäfts. Ähnlich wie Winzer an einem bestimmten Tag gemeinsam zur Weinlese in den Berg aufbrechen, begaben sich die Stralauer Fischer an einem festgelegten Tag zusammen auf den See, um gemeinsam Fisch zu fangen. Dreimal hintereinander wurde das Netz ausgeworfen und eingebracht, drei Fisch- oder Garnzüge an einem Tag, wobei die Fischer erst den dritten für sich verwenden durften. Ein Schlemmerfest, das viele Leute anzog.

Nach-Mittelalterliches

Kurfürst Johann Georg verfügte 1574, dass der erste Garnzug nicht vor dem 24. August stattfinden solle. Möglicherweise ein Qualitätsgebot für Fisch, denn am Bartholomäustag, dem Sonnabend nach dem 24. August, war seit Jahrhunderten der Geldzehnt fällig. Die Fische sollten offenbar so lange wie möglich im Wasser bleiben und ordentlich fressen. Vielleicht wollte der Kurfürst auch den Fischern keine Gelegenheit geben, ihr beim Fischzug eingenommenes Geld schnell auszugeben, weshalb er die Zeitspanne zwischen Fisch­ernte und Abgabetag so kurz wie möglich hielt.
Aus einem Schlemmerbrauch entwickelte sich der Stralauer Fischzug, der von Besuchern aus Berlin und umliegenden Dörfern auf der Gemeindewiese neben dem Friedhof gefeiert wurde. Ihr Einkommen besserten sich die Fischer mit Ausschank auf. Im 19. Jahrhundert wurden bis zu 50.000 Bescher gezählt, die sich mit ihrer Festivität auch auf dem Friedhof ausbreiteten, Pöbeleien und Schlägereien inbegriffen. 1873 wurde der Stralauer Fischzug verboten. Spätere Versuche, ihn zu reanimieren, blieben erfolglos.

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