Stralau, Foto: Keilhaus | April 1950

Kirche, Fisch und zweifelhafte Festivitäten

Stralau, Foto: Keilhaus | April 1950
Bundesarchiv, Bild 183-S95745  / Foto: Keilhaus | April 1950 /

Mittelalterliches aus Stralau.

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Über einen Ort in Friedrichshain kann sehr viel berichtet werden, ohne die Zeit des Mittelalters zu verlassen. Während sich in den weit überwiegenden Teilen des heutigen Berlin noch bis vor hundert Jahren Fuchs und Hase „Gute Nacht!“ sagten, wurde in Stralau schon Jahrhunderte lang Geschichte gemacht.

Sagenhaftes

Der Sage nach verdanken wir die Existenz Berlins und damit natürlich auch Friedrichshains dem Oberhaupt des kleinen Dorfes an der Spitze der gleichnamigen Halbinsel. Der Askanierfürst Albrecht der Bär persönlich soll, nachdem er von seiner Jagdgesellschaft getrennt wurde, während eines nächtlichen Gelages den Wendenfürsten Rudolf Ystralowe auf dessen Burg von der Richtigkeit der christlichen Religion überzeugt haben. Darauf beschloss Albrecht, in der Gegend, die nun befriedet war, flussabwärts ein Bär-lyn zu gründen. Aber wie das so ist mit den Sagen: Rudolf, der legendäre Ur-Stralauer, dem zu Ehren der Rudolfplatz seinen Namen trägt, lebte erst 100 Jahre nach Albrecht. Eine Burg hat er wohl nie besessen, zumindest gab es nie eine auf Stralau. Und die mehrfachen Gründungsetappen für die Doppelstadt Berlin und Cölln werden eher den Initiativen von Albrechts Nachfolgern zugeschrieben. Zuletzt: Der Name Berlin leitet sich nicht von Bär ab sondern von slawisch Birl, was so viel wie Sumpf bedeutet.
In weiter Ferne liegt die Entstehung des slawischen Fischerdorfs Stralau, das einst eine langgestreckte Insel war. Vielleicht waren die Fischer schon einige hundert Jahre vor Ankunft der deutschen Siedler hier. Traditionell lebten Slawen direkt an fisch­reichen Gewässern. Waren sie christianisiert, kam es nicht zu gewaltsamen Konflikten mit den deutschen Siedlern, die ab 1200 in die Mark zogen und höher gelegene Gegenden für den Ackerbau kultivierten. Auch dort, wo sie in Orten zusammenlebten, wie in Spandau, ging es friedlich zu. Von Stralau verlief eine Furt durch die Spree nach Treptow und Köpenick, die, wie es heißt, von den Askaniern zerstört wurde, um den Fernweg nördlich der Spree nach Frankfurt zu begünstigen. Diese mittelalterliche Verkehrsumleitung ist bis heute gültig: nicht die Boxhagener, sondern die Frankfurter Allee ist die Fernstraße nach Osten. Die heutige Gürtel- und Möllendorffstraße sind Teile des mittelalterlichen Wegenetzes, das Stralau im Norden mit Lichtenberg und Weißensee verband und weiter nach Bernau führte.

Blick auf die Stralauer Kirche im Jahre 1833
Blick auf die Stralauer Kirche im Jahre 1833. / Gezeichnet von Wilhelm Loeillot. Wikimedia /

Eine überdimensionierte Kirche

Vielleicht hängt das Verschwinden der Stralauer Furt auch mit dem Spreestau am Mühlendamm zwischen Berlin und Cölln zusammen, der im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts den Wasserspiegel um bis zu 1,5 Meter steigen ließ. Wassernahe Gebäude mussten aufgegeben werden.
Seit 1358 ist das Dorf im Besitz der Doppelstadt Berlin- Cölln. Die heutige Kirche wurde nach 5-jähriger Bauzeit 1464 als namenloses Gotteshaus geweiht und ist mit Abstand die älteste Kirche in Friedrichshain. Ein hölzerner Vorgängerbau an ihrer Stelle auf dem ab 1411 bezeugten, aber möglicherweise viel älteren Friedhof, wird angenommen. Die Errichtung des steinernen einschiffigen Baus mit Kreuzrippengewölbe und polygonalem Chor aus Feld- und Backstein gibt bis heute Rätsel auf. Wer spendierte aus welchem Gründen diesem kleinen und armen Fischerdorf, das gerade einmal elf Familien beherbergte, eine Steinkriche?

Ähnliche Kirchenbauten in Berlin

Eng war die Verbindung zur Heiligen-Geist-Kapelle in der Berliner Spandauer Straße, deren Prediger oft auch Pfarrer von Stralau waren. Schon 1381 hatte Berlin an die Kalandsbrüder, die in der Heiligen-Geist-Gasse residierten, alle Rechte an Stralau und dem Stralauer See verkauft. Kein Wunder, dass auch bauliche Verbindungen bestehen: die gedrungen spitzbogigen Fenster, kurze Streben und die einschiffige Halle. Dagegen weist der polygonale, das heißt, der aus mehreren stumpfen Ecken geformte Chor Ähnlichkeit mit der Kirche von Reinickendorf auf, ebenso das Backstein­format, das auch in Lichtenberg und Pankow sehr ähnlich ist.

Stralauer Dorfkirche, Kirchenschiff, 2014
Auch nach der Sanierung strahlt das Kirchenschiff eine Jahrhunderte alte Würde aus. / Foto: Kirchengemeinde Stralau/Michael Lindner /

Die Wissenschaft hat in Stralau noch einiges zu klären.

Das Besondere in der Stralauer Kirche sind die Gewölberippen von Chor und Schiff, die auf insgesamt zwölf rotfarbenen, zu menschlichen Köpfen ausgearbeiteten Konsol­steinen ruhen, die auch Hussitenköpfe oder Wenden­fratzen genannt werden. Auf heidnische Zeit geht die Vorstellung zurück, dass diese Fratzen die irdische Sphäre von der himmlischen trennen, die im Gewölbe beginnt. Weil die Gewölberippen einen birnenähnlichem Querschnitt aufweisen, wurde die Vermutung geäußert, dass die Stralauer Kirche – vielleicht über Vermittlung der Kalandsbrüder – aus den Resten der alten frühgotischen Nikolaikirche errichtet wurde, die ebensolche Birnenstabrippen aufwies.

Fischernten

Man mag es nicht glauben: der Rummelsburger See (früher Stralauer See) muss einst sehr fischreich gewesen sein. Berliner Urkunden berichten immer wieder von Verkäufen und Vermietungen des offenbar sehr lukrativen Fischereigeschäfts. Ähnlich wie Winzer an einem bestimmten Tag gemeinsam zur Weinlese in den Berg aufbrechen, begaben sich die Stralauer Fischer an einem festgelegten Tag zusammen auf den See, um gemeinsam Fisch zu fangen. Dreimal hintereinander wurde das Netz ausgeworfen und eingebracht, drei Fisch- oder Garnzüge an einem Tag, wobei die Fischer erst den dritten für sich verwenden durften. Ein Schlemmerfest, das viele Leute anzog.

Nach-Mittelalterliches

Kurfürst Johann Georg verfügte 1574, dass der erste Garnzug nicht vor dem 24. August stattfinden solle. Möglicherweise ein Qualitätsgebot für Fisch, denn am Bartholomäustag, dem Sonnabend nach dem 24. August, war seit Jahrhunderten der Geldzehnt fällig. Die Fische sollten offenbar so lange wie möglich im Wasser bleiben und ordentlich fressen. Vielleicht wollte der Kurfürst auch den Fischern keine Gelegenheit geben, ihr beim Fischzug eingenommenes Geld schnell auszugeben, weshalb er die Zeitspanne zwischen Fisch­ernte und Abgabetag so kurz wie möglich hielt.
Aus einem Schlemmerbrauch entwickelte sich der Stralauer Fischzug, der von Besuchern aus Berlin und umliegenden Dörfern auf der Gemeindewiese neben dem Friedhof gefeiert wurde. Ihr Einkommen besserten sich die Fischer mit Ausschank auf. Im 19. Jahrhundert wurden bis zu 50.000 Bescher gezählt, die sich mit ihrer Festivität auch auf dem Friedhof ausbreiteten, Pöbeleien und Schlägereien inbegriffen. 1873 wurde der Stralauer Fischzug verboten. Spätere Versuche, ihn zu reanimieren, blieben erfolglos.

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