Torellstraße und Comeniusplatz
von
Einst bevölkerten Waldelefanten, Moschusochsen und Riesenhirsche die Umgebung von Berlin. Als es denen zu kalt wurde, fanden Rentiere und Mammuts hier ihre neue Heimat. Sehr viel später türmten sich Kalkberge über Knochen und Geweihe.
Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden in Rüdersdorf Relikte dieser vergangenen Erdepochen entdeckt, die Fragen aufwarfen. Hatten Wasserfluten die Findlingsblöcke, die nun zerschnitten das Baumaterial für Kirchen und Gebäude abgaben, aus dem fernen Skandinavien in die Region geschwemmt, oder hinterließen im seichten Meer treibende Eisberge ihre Last beim Tauen auf dem damaligen Meeresboden?
Otto Torell, Direktor der Königlich Geologischen Reichsanstalt Stockholm, fand die Lösung. Er verglich Schleifspuren, die er an den Findlingen und in den Rüdersdorfer Kalkbergen fand, mit denen von Gletscherströmen, die ihm von Grönland oder aus seiner Heimat bekannt waren. Er schloss daraus: Die Berliner Landschaft entstand durch gewaltige Gletscherströme und deren Abflüsse in die Ost- oder Nordsee.
Kohlengeschäfte
Um Herrn Torell zu ehren, erhielt am 11. Juni 1902 die „Straße 10a“ seinen Namen. Diese Straße durchquerte drei aufgelassene Parzellen, seinerzeit ein Dreieck, teils mit Lagerplätzen, teils unbebaut, teils Laubengelände aus dem Besitz des „Stadtrath Ahrends“. Ab dem 2. Juli 1902 nutzte „Louis Schulze Briketts und Steinkohlen, en gros“, die Torellstraße Nr. 10 als Steinkohlelager und bekam am 6. Februar 1903 Ärger mit dem Maurermeister Otto Hübner aus der Nr. 3, weil Kohlestücke auf dieses Grundstück gerutscht waren. Weil „die Nachbargrundstücke vollständig unbebaut, und Gefahr absolut nicht besteht“, bat Louis Schulze „die auf meinem Lagerplatz noch befindlichen Steinkohlen bis Ende Juni dort lagern dürfen.“ 50 Jahre später hatte die Firma Louis Schulze richtig Ärger.
Wegen „unerlaubter Warenverkäufe in den Westen“, wurden am 5. Mai 1950 ihre Büros in der Mühlenstraße und Lagerplätze in Alt-Stralau im Wert von 440.501,99 DM „in Treuhand“ genommen. Hintergrund war ein Devisendeal im „höheren Auftrag“: Anfang Juni 1949 hatte die „Handelsgesellschaft Groß-Berlin“ der Firma Schulze die Lieferung von 32.000 Tonnen Braunkohlenbriketts aufgetragen. Diese sollten in die Westsektoren gegen Westmark verkauft werden. Hierbei war eine Verlustmenge von 3.840 Tonnen vereinbart. Verlustmengen waren üblich, aber in dieser vereinbarten Höhe eine indirekte Provision für die erfahrene Firma Schulze. Am 23. Juni 1949 schloss sie das Geschäft mit einer Verlustmenge von nur 3,25% ab. Ein Erfolg, der zum Verhängnis wurde. Umgehend widersprach das „Hauptamt für Recht“ von der „Abteilung Wirtschaft“ beim Groß-Berliner Magistrat der Vereinbarung und unterstellte eine „beabsichtigte Schiebung mit Eierkohlen“. Es folgte ein Rechtsstreit bis zum März 1957. Wegen eines anderen Auftrages, der unzureichend dokumentiert war, unterlag Louis Schulze. Der Grundbesitz und sämtliche Vermögenswerte gingen in die Rechtsträgerschaft der „Deutschen Handelszentrale Kohle“ am Robert-Koch-Platz 6‒8 über.
Eis und Bildung
Gegenüber der Torellstraße, auf dem Comeniusplatz, gab es im Winter oft ein fröhliches Treiben auf dem Eis. Über viele Jahre wurde hier eine bei Schlittschuhläufern beliebte Kunsteisbahn aufgebaut. Der Namensgeber des Platzes, Johann Amos Comenius, am 25. März 1592 geboren, stand für Jahre in schwedischen Diensten. Als Protestant musste er 1628 seine böhmische Heimat verlassen. Als Pfarrer und Pädagoge arbeitete er in Polen und England, verfasste unter anderem die vielbeachtete „Didactica Magna“ („Große Kunde vom Lehren“). Jedoch erst unter der schwedischen Krone erreichte er sein Ziel, allen Kindern eine Schulausbildung zu ermöglichen. Nach dem Grundsatz: Nie sollte den Schülern etwas gewaltsam eingetrichtert, sondern „die von Gott im Schöpfungswerk angelegten Gaben sollten gefördert und fruchtbar“ gemacht werden. Comenius war der Erste, der eine an Kindern orientierte Pädagogik entwickelte.
Zeitung im Dunklen
Eng und arm war es im Friedrichshain der 1920er Jahre. 1928 lebten 6.393 Menschen in Kellerwohnungen und über 2.100 Personen in Dachwohnungen. Hier, im „roten Bezirk“, gewann die KPD bis 1933 ca. 2.650 Mitglieder. Nach dem 30. Januar 1933 nahmen etwa 100 KPD-Leute im „Unterbezirk Friedrichshain“ ihre illegale Parteiarbeit auf. Leiter der „Gruppe Comenius“ war der Knopfmacher Max Hoppe aus der Memeler Straße 66 (heute Marchlewskistraße). Er kassierte Beiträge, warb neue Mitglieder und verteilte die „Friedrichshainer Rote Fahne“. Sie erschien alle 14 Tage, kostete 10 Pfennig und erreichte 1934 eine Auflage von 1.500 Stück. Als „Der Widerstand, Zeitung zur Bildung der Volksfront gegen den Faschismus“, wurde sie zwischen Mitte November 1935 bis Februar 1936 auch in Weißensee und Prenzlauer Berg vertrieben. Der Schlosser Paul Hoffmann war nicht nur am Druck des Blattes beteiligt, er brachte im Bezirk Klebezettel an mit dem Text: „Wir hassen vereint, Wir kämpfen vereint, Wir schlagen des Volkes Feind Hitler!“ 1936 flog die Gruppe auf. 172 Personen kamen vor Gericht. Max Hoppe wurde zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nicht nur Spitzel, Täuschung oder Folter führten zur Auflösung der illegalen KPD in Friedrichshain. Die rege Untergrundtätigkeit der insgesamt ca. 250 Mitglieder verleitete zur Unvorsichtigkeit.
Nur wenige, wie Rudi Marceus, Leiter der technischen Abteilung der Friedrichshainer Roten Fahne, konnten fliehen. Er ging zunächst nach Prag und fiel als Spanienkämpfer. Die meisten seiner Genossen vom „Unterbezirk Friedrichshain“ starben infolge von Haftbedingungen oder gleich nach dem Krieg. Die „Gruppe Comenius“ gehörte, wie der „Unterbezirk Friedrichshain”, zu den „bestorganisierten Widerstandsgemeinschaften“ urteilte 1937 die Gestapo.
Für 1,8 Mio Euro aus EU-Mitteln wurde der Comeniusplatz zwischen 2012 und 2014 Fahrrad- und Kindergerecht umgebaut. Der von vielen Arztpraxen und Büros flankierte Platz zählt heute zu den schönen und ruhigen Ecken Friedrichshains.