Kolonie Friedrichsberg um 1770 Karte: Landesarchiv Berlin

Friedrichsberg

Kolonie Friedrichsberg um 1770   Karte: Landesarchiv Berlin
Kolonie Friedrichsberg um 1770 Karte: Landesarchiv Berlin

Friedrichsberg | Spuren einer verschwundenen Großsiedlung

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Zu den nicht mehr existierenden Orten in Friedrichshain gehört die Gemeinde Friedrichsberg. Atlantis in Friedrichshain? Dieser Vergleich scheint übertrieben. Doch angesichts der Tatsache, wie inflationär Vorsilben wie mega-, super- oder giga- heutzutage benutzt werden, scheint er berechtigt. Die Vorgeschichte Friedrichsbergs beginnt ein paar Dutzend Metern östlich der Ringbahn. Über ihren Anfang gibt es eine Meinungsdifferenz zwischen Experten. Genau dort, wo heute die Gürtelstraße in die Frankfurter Allee mündet und als Möllendorffstraße nach Norden weiter geht, führte schon vor 250 Jahren ein Weg, von Stralau und Rummelsburg über die Frankfurter Chaussee zum Städtchen Bernau. Wer von dieser Kreuzung ins nahe Dorf Lichtenberg hinauf wollte, musste einen Hügel, den Rollberg, überwinden, der 1782 erstmalig nachweisbar den Namen Friedrichsberg trug. Genau dies ist umstritten, denn andere sagen, dass Friedrichsberg der Name einer Anhöhe war, etwa dort, wo sich heute der S-Bahnhof befindet. Dieser war ein Ausläufer des Höhenzugs, der nördlich der Frankfurter Allee zum Barnim aufsteigt und sich bis nach Bad Freienwalde hinzieht. Eine Windmühle stand an dem Hügel, etwa am Schleidenplatz. Nicht überliefert ist der konkrete Anlass der Umbenennung. Er könnte mit der Besiedlung der Südseite der Allee genau vis à vis des Hügels mit hugenottischen und böhmischen Kolonisten in Zusammenhang stehen.

Sumpfiger Schindacker

Die Siedlung wurde um 1770 ins Leben gerufen und stand unter Protektion des Preußenkönigs Friedrich II. Allerdings erwies sich der Boden als nicht besonders ertragreich. Das als Schindacker zum Schlachten von Vieh benutzte Gelände war seit dem Mittelalter ein sumpfiges, mit  Sandhügeln versehenes Land, auf dem kaum etwas wuchs. Jahrelang musste Mist zum Düngen aufgefahren werden. Dass 1801 gerade einmal 18 Personen hier lebten, spricht nicht gerade für eine Erfolgsgeschichte. Doch 1837 waren es schon 225 Einwohner. In den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts entschied sich die Gemeindeverwaltung für die Einrichtung eines eigenen Gemeindefriedhofs. Dieser wurde ganz am Rande im Westen auf dem einem Flurstück angelegt, das der Kirche gehörte: der Fläche zwischen Kreutziger und Mainzer Straße. Die Kreutziger Straße wurde zur Westgrenze der Gemeinde. Mit der Gründerzeit entwickelte sich Friedrichsberg zu einer Großgemeinde. Vorbote des Aufschwungs war der bei seiner Veröffentlichung 1862 noch von allen belächelte Bebauungsplan von James Hobrecht (1825–1902), der die Ausweitung der benachbarten Stadt Berlin über das Dorf Lichtenberg hinaus vorsah. Nie würde die Stadt solche Ausmaße annehmen, so glaubte man. Doch Hobrecht sollte recht behalten. 1871 lebten in Friedrichsberg etwa 2.000 Einwohner, 1875 waren es bereits 10.000 und 1907 nicht weniger als 50.000. Schon 1871 wurde die Gemeinde von der Ringbahn durchschnitten, ein Tribut an die neue Zeit. Doch immerhin bekam sie am 1. Mai 1872 einen eigenen Bahnhof Friedrichsberg, der 25 Jahre später in Frankfurter Allee umbenannt wurde. Im Februar 1876 schien sich die Natur vorgenommen zu haben, ihren Teil von der Stadt zurück zu holen. Nach heftigen Regengüssen wurde Friedrichsberg aus Richtung des höher gelegenen Lichtenbergs überschwemmt. Plötzlich standen die Keller unter Wasser, so dass deren Bewohner gerade so ihr nacktes Leben retten konnten. Die Ärmsten traf es am bittersten. Bis zum Frankfurter Tor stand die ganze Gegend unter Wasser, nur die Frankfurter Chaussee und der Markgrafendamm ermöglichten noch den Kontakt nach Berlin. Mit dem Bau der Kanalisation konnte die Gefahr weiterer Überschwemmungen gebannt werden. Zuvor wurden die von Gärten beherrschten Grundstücke dies- und jenseits der Frankfurter Allee parzelliert und für die Bebauung weiter verkauft.

Auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee um 1900  Foto: Archiv Ralf Schmiedecke
Auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee um 1900 Foto: Archiv Ralf Schmiedecke

Friedrichsberger Einrichtungen

Abgewickelt hat solche Geschäfte unter anderem die Friedrichsberger Bank. Bis heute strahlt das repräsentative Gebäude mit seinen sandsteinernen Buckelquadern in der Frankfurter Allee, Ecke Finowstraße, wo sie ihren Sitz hatte, Großspurigkeit aus. Die Bank besaß 1910 etwa 200 Mietshäuser und Spareinlagen in Höhe von 12 Millionen Mark. Kaum zehn Jahre später wurde sie von der Dresdener Bank geschluckt und ist heute als Teil der Allgemeinen Verwaltungsgesellschaft mbH in die Deutsche Bank aufgegangen. Auch über eine Schule verfügte die Gemeinde. Die Friedrichsberger Volksschule bezog für einige Jahre die Eckertsche Villa in der Rigaer Straße 71-73, die ältesten noch bestehenden Gebäude die um 1875 aus Schlackebeton errichtet wurden. Innen verfügt das Vorderhaus über Wand- und Deckenmalereien, die romantische südländische Landschaften zeigen. Die Häuser standen nördlich der Frankfurter Allee zunächst auf freiem Feld, 1884 kam die Samariterkirche hinzu. Erst in den Jahren danach entstanden die heutigen Wohnhäuser. 1907 enstand eine neue Grundschule in der Scharnweberstraße.

 

Grundschule in der Scharnweber Straße nach 1907  Foto: Archiv Ralf Schmiedecke
Grundschule in der Scharnweber Straße nach 1907 Foto: Archiv Ralf Schmiedecke

Friedrichsberg schrieb Industriegeschichte!

Das Postamt Friedrichsberg in der Jungstraße 1 – im Zweiten Weltkrieg zerstört, eröffnete 1877 das erste deutsche Telegrafenamt mit direkter Fernsprechverbindung nach Berlin. Heute mag man darüber schmunzeln, denn beide Orte lagen fast in Rufweite auseinander. Als der Bahnhof 1890/91 umgebaut wurde und die Subunternehmer die vereinbarten Löhne einbehielten, kam es hier zum ersten Streik in der Gegend. Allerdings war diese Gegend dann schon nicht mehr Friedrichsberg, denn 1875 war das Gemeindeland nördlich der Frankfurter Allee in Berlin eingemeindet worden. Selbst eine jüdische Gemeinde existierte, die 1905 im Hinterhaus der heutigen Frankfurter Allee 96 residierte. Sie zog 1935 in die Frankfurter Allee 56, die Berliner Stadtmission übernahm deren Räume. Bis in die 1980er Jahre blieb das bunte Glasfenster erhalten, das dann ausgelagert und erst kürzlich dem Jüdischen Museum übergeben wurde.

An der Ringbahnbruecke Frankfurter Allee Foto: Archiv Ralf Schmiedecke
An der Ringbahnbrücke Frankfurter Allee Foto: Archiv Ralf Schmiedecke

1908 erhielt das Dorf Lichtenberg Stadtrecht. Der Friedrichsberger Teil südlich der Frankfurter Allee wurde Lichtenberg zugeschlagen. Von den 67.000 Lichtenberger Einwohnern waren ganze 50.000 Friedrichsberger. 1938 wurde in einer Gebietsreform der Friedrichsberger Teil Lichtenbergs westlich des Bahnrings Friedrichshain zugeschlagen. Der hieß dann allerdings Horst-Wessel-Bezirk und wurde erst 1945 nach der Niederlage der NS-Diktatur wieder in Friedrichshain umbenannt.

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