Zur Eröffnung des Hörwegs Frauengefängnis Barnimstraße
von Harald Olkus
„Passvergehen nennt sich das. Nicht Republikflucht. Und dann hat mir eine Frau das Kind wegnehmen wollen. Und jetzt hab ich die Kerstin gehalten, und die F., die Beamtin, die Polizistin hat an den Beinen gezogen. Jetzt haben wir beide an dem Kind rumgezogen. Und dann ist ein Polizist gekommen, und hat Gott sei Dank die Situation abgemildert, hat dann zu mir gesagt: ‚Ich sag Ihnen, wo das Kind hinkommt. Lassen Sie das Kind los.’ Und dann hab ich halt losgelassen.“
Vom Ort, an dem sich diese Szene abspielte, ist nichts mehr zu sehen. Am äußersten Ende Friedrichshains, fünf Minuten vom Alexanderplatz entfernt und umgeben von elfgeschossigen Neubaublöcken aus der DDR-Zeit befindet sich heute eine Verkehrsschule, in der Kinder das regelgerechte Verhalten im Straßenverkehr einüben. Bis zu seinem Abriss 1974 stand an dieser Stelle das zentrale Berliner Frauengefängnis mit der Adresse Barnimstraße 10. Mehr als hundert Jahre lang wurden dort Frauen inhaftiert, die gegen die Regeln ihrer jeweiligen Gesellschaftsordnung verstoßen hatten: Mit Kaiserzeit, Weimarer Republik, NS-Staat, Sowjetischer Besatzungszeit (SBZ) und der DDR sind es fünf verschiedene politische Systeme, die ihre weiblichen Häftlinge dort internierten – politische und unpolitische. Die wohl prominenteste von ihnen war Rosa Luxemburg. Sie verbüßte vor genau hundert Jahren eine Haft wegen ihrer Antikriegsrede. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier mehrere hundert Widerstandskämpferinnen inhaftiert, über dreihundert von ihnen wurden in Plötzensee hingerichtet. In der Nachkriegszeit waren Frauen wegen ihrer NS-Vergangenheit in der Barnimstraße inhaftiert. In diesem Gefängnis wurden auch, anders als bisher wahrgenommen, zahlreiche Frauen wegen Republikflucht eingesperrt. Über alle Zeiträume hinweg sind dort Frauen inhaftiert worden, die gegen das Strafrecht verstoßen hatten. In der Kaiserzeit gehörten dazu auch Schwangerschaftsabbrüche und Prostitution.