Yoga-Lehrerin Larissa Brodöhl, Foto: Giovanni Lo Curto

Mehr Gemeinschaft stiften

Yoga-Lehrerin Larissa Brodöhl, Foto: Giovanni Lo Curto
Yoga-Lehrerin Larissa Brodöhl, / Foto: Giovanni Lo Curto /

Die Yoga-Lehrerin Larissa Brodöhl.

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Schon vor Jahren musste ich mir insgeheim eingestehen: Gymnastik ist zwar schrecklich langweilig, hilft aber bei schmerzenden Gelenken und verspannten Muskeln. Wie sagt man so? Wer ab Mitte vierzig morgens wach wird und kein Ziehen im Körper verspürt, ist wahrscheinlich schon gestorben. Eine Freundin riet mir, es einmal mit Yoga zu versuchen. Ich war überrascht. Mit den Bewegungs- und Entspannungstechniken des Yoga stellt sich nicht nur der gleiche Effekt wie bei der Gymnastik ein, sondern man fühlt sich selbst nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag entspannt und der Kopf ist wieder frei.

Entspannung mit Klangschalen, Foto: Giovanni Lo Curto
Klangschalen können den Effekt der Entspannung verstärken.
/ Foto: Giovanni Lo Curto /

Übungen wie im Fluss

Ich treffe mich mit Larissa Brodöhl in ihrem Yoga-Studio in der Bänschstraße. Larissa ist eine eher kleine Frau mit einem freundlichen, schönen Lächeln, die sowohl Ruhe als auch Lebendigkeit ausstrahlt. Ihr Haar hat sie zu einem Zopf geflochten. In ihren Stunden praktizieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigentlich nichts, was sie nicht auch zu Hause tun können. „Dadurch, dass du einen festen Termin in deinem Kalender hast und die Stunden bezahlst, räumst Du dir bewusst die Zeit dafür in deinem Leben ein“, erklärt Larissa. „Das ist schon sehr viel. Unter Anleitung musst du dich nicht auf die Reihenfolge der Übungen konzentrieren und kannst dich daher besser auf die Entspannungsphase einlassen.“ Tatsächlich, mir fällt auf, dass ich die Reihenfolge der Übungen, die ich wöchentlich nun seit fast einem halben Jahr praktiziere, nicht aufzählen könnte. „Ganz wichtig ist das Üben unter Anleitung besonders für Anfänger, weil man sich selbst nicht beobachten und korrigieren kann“, fügt Larissa hinzu.

Arbeitsplanung in sozialistischen Betrieben

„Ich studierte Betriebsprojektierung“, sagt Larissa, „und habe mich in Dresden am Institut für Kommunalwirtschaft mit der Entwicklung von Dienstleistungseinrichtungen beschäftigt.“ Sie war für die Bereiche Schuhreparaturen und Täschnerwaren zuständig. „Die Arbeit hat mir Spaß gemacht.“ sagt sie. „Ich habe immer Interesse an Handwerk, Technik und Gestaltung gehabt und konnte viel lernen. Bei ihrer Arbeit galt es auch, DDR-typische Schwierigkeiten zu überwinden. An der „Flinken Jette“, einem Dienstleistungsunternehmen am Alexanderplatz, standen schon frühmorgens vor der Arbeit die Kunden an. „Die warteten wochenlang auf ihre reparierten Schuhe.“ Es gab eine Menge Beschwerden. Das Ministerium interessierte sich und wollte einen Bericht. Larissa weigerte sich, kritische Stellen darin zu „entschärfen“ und wurde zu einem Gespräch ins Ministerium eingeladen. Noch heute ist sie über das Interesse überrascht, das man ihr entgegenbrachte: „Ich hatte das Gefühl, dass die überhaupt kein Bild von der Realität hatten.“ Nach einer ähnlichen Begebenheit wurde ihr in die Beurteilung geschrieben: „Frau Brodöhl ist eine streitbare Person.“ Sie nahm dies als Lob.

 Im Yogastudio von Larissa Brodoehl, Foto: Giovanni Lo Curto
/ Foto: Giovanni Lo Curto /

Umzug nach Friedrichshain

Als ihre erste Tochter unterwegs war, bezog sie in der Seumestraße eine leerstehende Einraumwohnung. Weil sie gern etwas mit Innengestaltung machen wollte, suchte sie im Telefonbuch und bewarb sich beim VEB Innenprojekt Berlin in der Kadiner Straße. „Ich war zwar Quereinsteigerin, hatte aber interessante Aufgaben, zum Beispiel habe ich eine Buchhandlung in Ahrensfelde eingerichtet“, berichtet sie nicht ohne Stolz. „Plötzlich steht das in 3D da, was du gezeichnet hast.“ Für das Märkische Museum machte sie Entwürfe für die Restaurierung des Konzertsaals. Allerdings wurde auch unter hohem Druck gearbeitet. „Als eine gleichaltrige Kollegin mit der Diagnose Magengeschwür vom Arzt kam, wusste ich, dass ich etwas anderes suchen muss.“
Etwa zur gleichen Zeit bekam Larissa das Angebot von einem Freund aus dem Zeichenzirkel „Glatzkasten“ Boxhagener Ecke Glatzer Straße, bei seiner Mutter Yoga zu praktizieren. „Yoga war in der DDR offiziell nicht erwünscht“, erklärt Larissa. „Wahrscheinlich hielt man es wegen der spirituellen Seite für so etwas wie eine Sekte. Ich hatte schon davon gehört und mich faszinierte diese mir fremde Gedankenwelt. Also sagte ich sofort zu.“ Damals hatte sie eine Menge um die Ohren und den Kopf voll – Arbeitsstress, Familie, in der Beziehung lief es nicht so gut. „Schon als ich nach der ersten Stunde auf die Straße kam, hatte ich das Gefühl, dass mein Kopf frei war. Ich fühlte mich leicht und unbelastet. Es wurde mir mit einem Mal klar, dass Yoga mich immer in meinem Leben begleiten wird.“

Auch eine persönliche Aufbruchszeit

Das Jahr 1989 brachte auch für Larissa Änderungen. „Da gab es neue Ideen, man traute sich mehr. Ich habe meine Arbeitsstelle gekündigt, für zehn Mark eine Sozialversicherung gekauft und übernahm Gelegenheitsarbeiten.“ Zum Beispiel half sie mit, die Bibliothek im Hochhaus in der Mollstraße, das abgerissen werden musste, auszuräumen. Am 9. November sah sie den Anfang der berühmten Pressekonferenz mit Günter Schabowski, nach der die Grenze zu Westberlin geöffnet wurde. „Als ich den dort herumstammelnden Politiker sah, wie er von seinem Zettel ablas, dachte ich: ‚Er kann nicht mal mehr richtig sprechen, wie peinlich!‘ und habe den Fernseher ausgemacht. Erst am nächsten Tag auf der Arbeit erfuhr ich aus dem Radio, dass die Mauer auf war“, erzählt sie lachend und fügt hinzu: „Da fiel mir auch auf, dass die Hälfte der Belegschaft fehlte.“

Positive Energie im Kursraum, Foto: Giovanni Lo Curto
Der Kursraum hat positive Energie und eine angenehme Atmosphäre.
/ Foto: Giovanni Lo Curto /

Balance zwischen Arbeiten und Leben

Die folgende Zeit nutzte Larissa, um sich fortzubilden. Sie belegte einen Computerkurs für Bau- und Architekturprogramme und begann als Projektleiterin für Innenausbau bei einer Werbefirma mit Tischlerei. Die Auftragslage wurde immer schwieriger. „Besonders, als Berlin Hauptstadt wurde,“ präzisiert Larissa. „Ihre Aufträge vergaben die Einrichtungen, die nach Berlin kamen, nur an ihre Firmen im Westen, mit denen sie Erfahrung hatten.“ Die kleine Firma übernahm zum Schluss sogar Trockenbauarbeiten um durchzuhalten, musste dann aber schließlich doch aufgeben.
Trotz der schwierigen Arbeitsmarktlage achtete Larissa darauf, dass das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben ausgewogen blieb. In einer Firma aus Wuppertal, für die sie als Baubetreuerin arbeitete, verlängerte sie nicht die Probezeit, weil das Arbeitsklima sehr unangenehm war. Außerdem war ihre zweite Tochter unterwegs. Eine weitere Firma entließ sie, weil sie nicht bereit war, ihre Arbeitsstunden zu erhöhen. „Dabei arbeitete ich schon 40 Stunden mit meinem 30-Stunden-Vertrag.“ Larissa dachte schon länger darüber nach, sich beruflich selbständig zu machen. „Ich wollte meine eigene Herrin sein, hatte aber Respekt vor den Konsequenzen.“ Immerhin war sie da schon über vierzig Jahre alt.

Yogaübungen, Foto: Giovanni Lo Curto
/ Foto: Giovanni Lo Curto /

Eine wichtige Entscheidung

„Eine Freundin musste mir den entscheidenden Anstoß geben“, sagt Larissa und lacht. „Das kam bei mir öfter vor.“ Diese gab Larissa den Rat, alles, was sie gern tut oder interessiert, auf ein Blatt Papier zu schreiben und die wichtigsten Dinge zu umkreisen. „Als ich dann meine Kreise zog, fiel mein Blick auf das Markierte und ich rief spontan aus: ‚Nein, das mach ich nicht!‘ Aber meine Freundin sagte: ‚Hör auf deine innere Stimme und nimm dich mal ernst!‘“
Schon ihre Frauen-Yoga-Gruppe, die sich in dieser Zeit am Boxhagener Platz traf, hatte sie angeleitet. Doch nun war eine professionelle Ausbildung notwendig. „Es gab mehrere große Yoga-Schulen in Deutschland, die mir aber zu unpersönlich erschienen.“ In einem Yogabuch fiel ihr der Name eines indischen Lehrers auf, mit dem sie sich verabredete. Dieser Mann hatte seit dem vierten Lebensjahr Yoga gelernt, weil seine Eltern der Ansicht waren, es würde ihm gut tun. Auch er hatte zuerst einen anderen Beruf und als  Dozent für indische Philosophie und Buddhismus gearbeitet. „Er fragte mich viele Dinge und sagte zum Schluss: ‚Du kannst morgen Abend um sieben bei mir anfangen.‘ Ich hatte meinen Lehrer gefunden.“

Larissa Brodöhl praktiziert das Yoga Dreieck, Foto: Giovanni Lo Curto
Das Yoga Dreieck: eine Dehnungs- und Entspannungsübung, die vor allem Knie und Hüfte fordert und kräftigt. / Foto: Giovanni Lo Curto /

Nicht nur Bewegung und Entspannung

„Wir haben die alten vedischen Schriften gelesen und sie interpretiert. Das war mir zunächst sehr fremd. Dann wurde es spannend und ich fand eine Sichtweise für das Leben, nach der ich gesucht hatte.“ Es gibt im Yoga Lebenshilfe, Lebensphilosophie und Verhaltensempfehlungen, wie man mit sich, mit anderen Menschen, mit Tieren und der Natur umgehen sollte. „Gewaltlosigkeit ist ein grundlegendes Prinzip“, betont die Yoga-Lehrerin, „aber auch die Bemühung nach Selbsterkenntnis, die Frage danach, was meine Aufgabe im Leben ist.“ Larissa folgt den Traditionen des Hatha-Yoga und legt großen Wert auf die harmonische Verbindung von Bewegung und Atem. Neben den Yoga-Kursen bietet Larissa Thai-Yoga-Massage als Einzelbehandlung an, leitet Babymassagekurse und berät zu Gesundheits- und Ernährungsfragen.
Auch als Buchautorin ist Larissa aktiv geworden und hat mit Unterstützung einer Hebamme Interviews mit Frauen geführt, die eine Hausgeburt hatten: „Hausgeburt. Berichte von Frauen für Frauen“ ist 2004 im Berliner Weißensee-Verlag erschienen. „Es geht um Information, um die besonderen Bedingungen einer Hausgeburt. Man kann sich nicht vorstellen, wie Frauen unter Druck gesetzt werden, die sich zu einer Hausgeburt entschließen.“ Erstaunlich ist außerdem, dass die Rate der Kaiserschnitte in den letzten Jahren signifikant zugenommen hat. Larissa plant inzwischen eine weitere Publikation.

Mehr Verantwortung füreinander

Seit 32 Jahren lebt Larissa jetzt in Friedrichshain. Seit 2004 ist sie Inhaberin des Shakti-Yoga-Studios. „Es sind jetzt viel mehr Menschen hier“, findet sie, „da wünsche ich mir mehr Rücksichtnahme und einen freundlicheren Umgang miteinander. Unseren gemeinsamen Lebensraum sollten wir gerecht teilen, nutzen und pflegen. Man müsste mehr in der Gemeinschaft leben“, findet sie.
Wer glaubt, dass Yoga allenfalls eine hippe, esoterisch angehauchte Reihenfolge von Turnübungen ist, hat nicht erkannt, dass es vor allem darum geht, miteinander und auch mit sich selbst achtsam umzugehen. Mit Menschen wie Larissa können wir es lernen.

www.yoga-massage-friedrichshain.de

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