Als Stralau deutscher Vize-Meister war.
von Christian Wolter
Voraussichtlich wird der Fußballsportverein FSV Berolina Stralau 01 in die Berlin-Liga aufsteigen, weshalb die Gelegenheit genutzt werden soll, die Geschichte dieses Vereins vorzustellen. Er entstand durch Zusammenschlüsse mehrerer Vereine, deren sporthistorisch bedeutendster der Arbeitersportverein SV Stralau von 1910 war.
Vor 1933 bestand die deutsche Sportbewegung aus diversen politisch und konfessionell geprägten Zweigen mit jeweils eigenen Verbänden, Wettbewerben und Auswahlmannschaften. Zahlen- und leistungsmäßig am stärksten war der sogenannte bürgerliche und unpolitische Sport, zu dem auch der Deutsche Fußballbund und die Deutsche Turnerschaft zählten. Dahinter folgte mit etwa einer Million Aktiven der SPD-nahe Arbeiter-Turn- und Sportbund. Bis 1933 gelang es dem ATSB, der Arbeiterschaft fast alle populären Sportzweige anzubieten. Anteil an diesem beeindruckenden Beispiel proletarischer Selbstorganisation hatte auch der 1919 vom DFB zum ATSB übergetretene SV Stralau von 1910.
Stralau im Endspiel
Der SV Stralau gehörte während der gesamten Weimarer Jahre zu den führenden Vereinen der Berliner Arbeitersportbewegung. Seinen sportlichen Zenit erreichte er 1925 nach 19 Siegen in Folge mit dem Einzug ins Endspiel um die ATSB-Meisterschaft. Der bis heute größte Friedrichshainer Fußball-Erfolg!
Am Austragungsort Dresdner Ilgen-Kampfbahn (Vorgängerbau der heutigen Spielstätte von Dynamo Dresden), unterlag Stralau gegen den damals fast unschlagbaren Arbeiter-Serienmeister Dresdner SV von 1910 allerdings deutlich mit 0:7. Die Höhe der Niederlage resultierte auch aus einer kurzfristigen Spielverlegung vom Sonntag auf den Sonnabend, damals ein normaler Werktag. Mehrere Stralauer Stammspieler hatten hierfür keinen Urlaub erhalten, der Dresdner SV konnte dagegen in Stammbesetzung antreten. 9000 Endspiel-Zuschauer blieben bis heute die größte Kulisse, vor der je eine Stralauer Mannschaft spielte.
Stralauer Auswahlspieler
Vom DFB-Fußball hatten die Arbeiterfußballer die Tradition der Regional- und Länderspiele übernommen. So empfing die Berliner Arbeiter-Auswahl am 9. September 1923 vor 15.000 Zuschauern im überfüllten Stadion Lichtenberg (im heutigen Landschaftspark Herzfelde) eine sowjetrussische Auswahl. Die deutlich besser genährten und eingespielten Gäste siegten klar und deutlich mit 6:0, aber immerhin: Bei diesem ersten offiziellen deutsch-sowjetischen Sportlertreffen war Stralau 1910 mit Torwart Stolpe, Verteidiger Barabas und Stürmer Lachner gleich dreifach vertreten.
Zum Leiter der Märkischen Spielvereinigung, dem Zusammenschluss der Berliner und Brandenburger Arbeiterfußballer im ATSB, wurde 1924 der Stralauer Spieler Fritz Apitz gewählt. Sein Vereinskamerad Willy Hutmann fungierte jahrelang als Herausgeber des „Arbeiter-Fußball“, dem proletarischen Gegenstück zur „bürgerlichen“, tatsächlich aber vor allem von Proletariern gekauften und gelesenen Fußball-Woche.
Spielstätten
Am 12. Oktober 1919 eröffnete der SV Stralau 1910 mit einem Spiel gegen den SC Brandenburg 02 Lichtenberg den Sportplatz an der Goßlerstraße 48, die heutige Lasker-Sportanlage. Das damalige Fassungsvermögen lag bei etwa 7000 Stehplätzen. Der Platz war direkt von der Kommune gepachtet und um 1923 der einzige eingezäunte Vereinsplatz eines Arbeiter-FCs im Berliner Osten.
1924 erhielt der SV Stralau eine vierwöchige Sperre für diesen Platz, weil zu einem von ihm ausgerichteten Turnier befreundete Gastwirte Preise wie Trikots und einige Fußbälle ausgelobt hatten. Im deutschen Arbeiterfußball waren Sachpreise aller Art tabu, um sich vom „kapitalistischen“ DFB-Fußball mit seinem Scheinamateurismus abzugrenzen.
Bei größeren Spielen wich der damalige Ostberliner Serienmeister aus auf den Sparta-Lichtenberg-Platz an der Hauffstraße, ins Stadion Lichtenberg sowie auf dem damaligen Tribünensportplatz an der Kynaststraße, deren Nutzung sich die Freie Turnerschaft Lichtenberg (ebenfalls ein ATSB-Verein) mit verschiedenen Lichtenberger DFB-Vereinen und diversen umliegenden Schulen teilte.
Erst Spaltung, dann Gleichschaltung
Die deutsche Arbeiterbewegung galt als die bestorganisierte ihrer Zeit, litt aber in der Zwischenkriegszeit unter den Differenzen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Nach und nach spalteten sich daher alle Zweige der Arbeiterbewegung. Diese Tendenzen setzten während des Ersten Weltkrieges mit der Abspaltung der USPD von den Mehrheitssozialisten ein und erreichten 1928 auch die Arbeitersportbewegung. Im Berlin-Brandenburger Arbeitersport stellten die Kommunisten die Mehrheit. Nach verlorenen Machtproben mit der SPD-nahen ATSB-Leitung und dem daraus resultierenden Ausschluss der meisten Berliner Arbeitersportvereine, darunter auch der SV Stralau 1910, aus dem ATSB entstand die KPD-nahe „Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit“. Diese führte nun eigene Meisterschaften und Länderspiele durch und erreichte bis 1933 eine Mitgliederzahl von 250.000. Hauptgegner war entsprechend der damaligen KPD-Doktrin die als sozialfaschistisch denunzierte Sozialdemokratie und deren Sportverband.
Unterdessen erstarkten die Nazis und übernahmen schließlich die Staatsgewalt. Dem Arbeitersport bedeutete dies das baldige Ende. Nach dem Reichstagsbrand erfolgten die Verhaftungen zahlreicher KPD-Funktionäre und das Verbot aller kommunistischen Organisationen. Im April musste dann auch der Arbeiter-Turn-und Sportbund seine Tätigkeit einstellen.
Für etwa 10.000 Arbeitervereine bedeutete dies das Aus durch Verbot, dem man mitunter durch Selbstauflösung oder rechtzeitige Umbenennung zuvor kam. Einige Vereine arrangierten sich auch mit den neuen Verhältnissen, indem sie die nationalsozialistische Gleichschaltung mitmachten, die neuen Einheitsstatuten mit Arierparagraphen annahmen und das Führerprinzip einführten. Diesen Ausweg wählte auch der SV Stralau 1910, der dadurch selbständig blieb, ehe er 1943 mit Berolina LSC eine Kriegsgemeinschaft einging. Trotz dieses Makels soll sein Beitrag zum Sport der Arbeiterbewegung nicht vergessen sein.
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel über einen sympathischen und geschichtsträchtigen Verein!
Wer mehr über Arbeiterfußball vor 1933 erfahren möchte und Freude an historischen Fußballfotos hat, dem sei die Seite arbeiterfussball.de sehr ans Herz gelegt!
Mit Arbeitersport-Grüßen “Frei Heil!” und “Rot Sport!”,
ein Sportgenosse!