Arbeitskampf in Friedrichshain.
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Heute gehören Streiks zu den selbstverständlichen Rechten von Arbeitnehmern. Doch dieses mittlerweile durch das Grundgesetz geschützte Streikrecht musste mühsam erkämpft werden. Auch Friedrichshain war ein Ort solcher Auseinandersetzungen.
1898 versammelten sich Bäckereigesellen in der Brauerei Friedrichshain zu einer Protestveranstaltung gegen ihre Arbeits- und Lebensbedingungen. Organisiert von der „Berliner Gewerkschaftskommission“ forderten sie die Abschaffung von Kost und Logis im Hause des Meisters. Künftig sollten die Meister eine Mietentschädigung von 12 Mark pro Woche zahlen. Weitere Forderungen waren ein Minimallohn von 21 Mark die Woche. Überstunden sollten mit 50 Pfennigen pro Stunde abgegolten werden. Den Bäckern schlossen sich die jungen Schlachtergesellen an. Kost und Logis war für sie die Normalität. Das hieß: Schlafen auf einer Bretterstellage, die nur mit altem Stroh und einem Laken bedeckt war. Entweder lag der Schlafraum unter dem Dach oder im Keller und dort neben dem Arbeitsraum. Um 5 Uhr Morgens begann der Tag. Um 7 Uhr gab es einen Kaffee und eine Schrippe zwischen 9 und 11 Uhr. Die Mittagspause in der Zeit um 14 Uhr dauerte höchstens fünf Minuten, dazu gab es im Winter gefrorene Wurst oder Speck zum Essen. Falls überhaupt spendierte der Meister um 16 Uhr einen Kaffee und danach nichts mehr bis zum Arbeitsschluss gegen 22 Uhr oder später. Die „Berliner Gewerkschaftskommission“, eine Körperschaft, in der sämtliche 89 Gewerkschaften Berlins auf paritätischer Grundlage vereinigt waren, versuchte in Fällen wie diesen in Verhandlungen mit den Arbeitgebern zu treten. Die „Kommission“ traf meistens auf taube Ohren, denn die Gewerkschaften waren als „Streikvereine“ abqualifiziert.
Verhandeln mochten die 17 Tischler der Firma Wöhler & Schwab in der Großen Frankfurter Straße 16 nicht. Um die volle Lohnzahlung durchzusetzen blieben sie der Arbeit 14 Tage fern. Der Chef hatte im Mai 1897 neue Maschinen angeschafft und kürzte deshalb den Lohn. Ähnliches tat sich in der Möbelfabrik Barth in der Fruchtstraße 8. Hier gingen 26 „Bildhauer“ (Gestalter) in den Streik. Der Werkstattleiter mobbte die Mitarbeiter und Barth zahlte 10 Pfennige zu wenig für acht Stunden Arbeit. Auf Proteste reagierte Barth mit Aussperrungen. Daraufhin streikten die „Bildhauer“ elf Tage. Erst als Barth Verluste machte, stellte er die Ausgesperrten wieder ein. 222,50 Mark Unterstützung zahlte die „Berliner Gewerkschaftskommission“ an die „Bildhauer“ aus. Über Beträge von 10 Pfennigen aufwärts sammelte die „Kommission“ Gelder für Streikende ein. Damit wurden zwischen 1894 und 1896 43 Ausstände finanziert und 29 erfolgreich beendet.
Nur mehr Geld?
Anfang November 1897 sollten Glasbläser der Stralauer Flaschenfabrik einen Lohnverlust von 4 Pfennigen hinnehmen. Sofort kündigten 270 Mitarbeiter. Vier Tage später hob die Firmenleitung die Reduktion auf und im Jahr 1900 erreichten die Glasarbeiter eine Lohnerhöhung über 4 Prozent und einen Mietzuschuss von 10 Mark pro Wohnung. Um solche Aktionen zu koordinieren, beschloss am 15. April 1890 eine „Große Öffentliche Versammlung sämtlicher Gewerkschaften Berlins“ in „Joels Salon“ in der Andreasstraße Nr. 21, die Gründung einer „Streikkontrollkommission“. Offiziell war das Streiken nicht verboten, aber jeder Versuch Streikwilliger, die Kollegen zum solidarischen Handeln zu bewegen, wurde von der Polizei als strafbarer „Koalitionszwang“ bewertet. Wenn Streikposten vor den Werkstoren aufzogen, wurde das als „grober Unfug“ bewertet. Streikende und Streikposten standen immer mit einem Bein im Gefängnis. Die Stralauer Glasarbeiter waren sich der Risiken bewusst, wenn sie streikten. Es drohten der Verlust der Arbeiterwohnung und der Arbeitsstelle durch Aussperrung. Dennoch traten sie im Juli 1901 in einen politischen Streik. Ziel war die Durchsetzung eines Rechts auf Koalition. In der Streikkasse lag Geld für einen 10-wöchigen Streik und diese wurde auch von der Gewerkschaftskommission unterstützt. Weil jedoch keine Lohnfragen berührt wurden, enthielt sich der Vorstand des Glasarbeiterverbandes und der Streik scheiterte an finanziellen Problemen. Erst nach der Revolution von 1918 konnten massive Arbeitsrechte umgesetzt werden.
10 Minuten Gemeinsamkeit
Am 14. April 1947 traten tausende von Metallarbeitern in Ost-und Westberlin, davon 5.500 Kollegen in Friedrichshain, in einen zehnminütigen Streik. Grund war die Wiedereinsetzung des Siemensmanagers und NSDAP Förderers Wolf-Dietrich von Witzleben, zur NS-Zeit bei Siemens Personalchef. Seinerzeit hatte er einen „Hilfswerksschutz“, eine innerbetriebliche SA gegen Zwangsarbeiter ins Leben gerufen. Weil er selbst kein NSDAP-Mitglied war und die Umwandlung einer Klosterschule in eine NS-Einrichtung verhinderte, galt er als entlasteter „Mitläufer“. Doch angesichts seiner Verstrickungen im NS-Staat stieß dieser Freispruch auf den massiven Widerstand der noch nicht in Ost- und Westblöcke geteilten Gewerkschaften. Sie riefen zu einem 10-Minutenstreik an den Arbeitsplätzen auf. Trotz aller sich abzeichnenden politischen Gegensätze fand der Aufruf Widerhall und wurde zum letzten Gesamtberliner Streik vor 1989.
Kleine Weltpolitik
Am 4. Juni 1949 besetzten Polizeikräfte die Warschauer Brücke. Grund: vermutete Anschläge auf Bahnanlagen. Hintergrund: Infolge der Währungsreform war im Westberlin seit dem 20. März 1949 die D-Mark das alleinige gesetzliche Zahlungsmittel. Deshalb wollten die West-Berliner S-Bahner in DM-West ausbezahlt werden. Die S-Bahn stand jedoch unter Verwaltung der Ost-Berliner Reichsbahnverwaltung und in Ostberlin war der Besitz von D-Mark unter Strafandrohung verboten. Die Forderung nach Westgeldzahlung galt deshalb als „illegal“. Unter den Westberliner Eisenbahnern in der Betriebsküche am Schlesischen Bahnhof brodelte es. Die Westberliner Gewerkschaft UGO (Unabhängige Gewerkschaftsopposition) rief zum Streik auf. Von UGO-Seite hieß es: „Es handelt sich nicht mehr um eine Aktion, bei der es allein um die Westmarkzahlung geht, sondern darum, Berlin ein zweites Mal zu erobern“. Aus der Sicht des Ostberliner FDGB (Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes) ein Aufruf zur „Sabotage“. Der Konflikt eskalierte bis hin zu Schießereien. Der Streik endete nach fünf Wochen mit einer 60%-Westgeld-Vereinbarung.