Der Bersarinplatz
undWohl kaum ein Platz ist mehr geeignet zu belegen, dass es ein altes Friedrichshain nie gegeben hat, liegt er doch auf einer wahrhaft historischen Grenze, die im Mittelalter bei der Besiedlung der Mark gezogen wurde. Diese folgte der Thaerstraße in ihrem heute verschwundenen Lauf bis zur Karl-Marx-Allee und bezeichnete die Linie zwischen der Berliner und Lichtenberger Feldmark. Hier endete Berlins Weichbild und begann der Niederbarnim. Friedrichshain ist etwas neuzeitlich dazwischen Geklemmtes. Ein altes Wegekreuz anstelle des heutigen Platzes wurde ab 1822 noch einmal vom sogenannten Communicationsweg durchschnitten, aus dem später die Danziger Straße wurde. Im Bebauungsplan von James Hobrecht erhielt dieser Platz 1866 die wenig charmante Bezeichnung „Platz N in der Abteilung XIII, Sektion 2“. Ursprünglich als rechteckige Anlage vorgesehen, beließ man es bei der unregelmäßig Bebauung, die im Laufe der Zeit entstanden war. 1895 erhielt der Ort den Namen Baltenplatz, sozusagen als Abschluss der seit 1893 sogenannten Rigaer Straße, die viele hundert Jahre ein Feldweg auf der Oberkante des Höhenzug Barnims war, der sich nördlich der Frankfurter Allee aufschwingt. Östlich des Platzes zwischen heutiger Rigaer Straße und Weidenweg befand sich eine Lehmgrube, dahinter eine Windmühle.
Bebauung
Schon vor der Namensverleihung war der Platz besiedelt. Der Communicationsweg durchschnitt auf der Strecke zur Frankfurter Chaussee das Gelände eines Ausfluglokals, das, wie auch ein ähnliches in der Hasenheide, Neue Welt hieß, weil es bei der Gründung jottwedee – janz weit draußen – lag. Im Osten des Platzes hatte sich zwischen heutiger Petersburger Straße und Weidenweg eine sogenannte Knochenbrennerei etabliert, die Knochenleim herstellte. Von 1871 bis 1894 befand sich auf diesem Gelände die Eckertsche Landmaschinenfabrik. Der Erfinder Heinrich Ferdinand Eckert (1819–1875) entwickelte den Schwingpflug weiter und passte ihn hervorragend an die Verhältnisse des märkischen Ackerbodens an. Seine Produkte waren so gut, dass sie die englische Konkurrenz aus dem Felde schlugen – seinerzeit etwas ganz Außergewöhnliches. Übrig geblieben vom Wirken Eckerts ist die 1876 errichtete Eckertsche Villa in der Rigaer Straße 71-73, die aufgrund der ignoranten Baupolitik im Bezirk in Kürze abgerissen wird.
Einst ein Schmuckplatz
Zunächst zog sich der Ausbau des Platzes hin, weshalb er wegen der hier gelagerten Baustoffe auch Balkenplatz genannt wurde. Doch schließlich wurde repräsentativ bebaut. Es gab Läden, Restaurants, an der Ecke Rigaer Straße ein Kaufhaus, Ecke Weidenweg das Warenhaus Julius Loewenberg Nachfolger. Kinder aus den Nebenstraßen kamen einfach nur, um sich die Pracht anzusehen. Leisten konnten sich die Waren aber nur wenige Anwohner. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Platz zu einem leistungsfähigen Verkehrsknotenpunkt ausgebaut. Er erhielt sein typisches Rondell. Sein Blumenschmuck machte ihn zu einem der schönsten Plätze im Bezirk. In der Mitte war die Aufstellung des Fruchtbarkeitsbrunnens geplant, der aber am Arnswalder Platz aufgestellt wurde, weil er sich nach seiner Fertigstellung als zu groß erwies. Sozialdemokraten regten an, hier ein Denkmal für den ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert zu errichten, der 1925 gestorben war, doch wussten kommunistische Stadtverordnete dies zu verhindern.
Straßen- und Luftkämpfe
Seit 1929 befand sich nur einige Schritte vom Platz entfernt in der Petersburger Straße 86 (heute 94) das SA-Lokal Keglerheim, von dem aus Überfälle gestartet wurden und in dem ab 1932 ein Folterkeller eingerichtet war. Der kommunistische Widerstand gegen diesen Terror erscheint dagegen fast dilettantisch. Überliefert ist der bewaffnete Überfall einer zehnköpfigen Truppe auf NSDAP-Angehörige am 13. Dezember 1931 am Baltenplatz, bei dem niemand verletzt wurde, bis auf einen zufällig vorbeifahrenden Straßenbahnschaffner. Die Täter wurden verhaftet und zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Verteidigt hat sie damals Erich Cohn-Bendit, der Vater des populären Grünen Politikers Daniel Cohn-Bendit. Dem Rechtsanwalt gelang es, 1933 vor dem NS-Terrorregime zu fliehen.
In verheerenden Luftangriffen im Januar und Februar 1945 fiel der gesamte Platz in Schutt und Asche. Statt Blumen wurde nun zur Versorgung der Berliner Bevölkerung auf der grünen Verkehrsinsel Kohl angebaut.
Ein neuer Name
Am 28. April 1945 wurde der 1904 in Petersburg geborene Nikolai Erastowitsch Bersarin Berliner Stadtkommandant. Er bewies bei der Wiedereinrichtung des Verkehrs und der Versorgung der Einwohner Geschick, machte sich auch für die Wiedereröffnung von Kultureinrichtungen stark und verbot den Truppen der Roten Armee, irreguläre Aktionen vorzunehmen. Wer mit ihm zu tun hatte, zeigte sich beeindruckt. Im Juni 1945 kam er durch einen Verkehrsunfall ums Leben. Zwei Jahre später wurde der Baltenplatz nach Bersarin umbenannt. Nach der Vereinigung der Stadthälften 1990 tat sich der Westberliner Senat zunächst schwer mit dem Namen des sowjetischen Stadtkommandanten. Schließlich wurde aber Bersarin 2003 als Ehrenbürger anerkannt und der Streit um eine Rückbenennung hatte ein Ende. Aber seit den 1990er Jahren tobt ein anderer Streit, nämlich darüber, wie der Name ausgesprochen wird. Bersarin oder Bersarin? Letzteres ist richtig, Zeitzeiger stiftet Frieden!
Baupläne
Bis Mitte der 1980er Jahre prägten leere, begrünte Grundstücke und zurückgesetzte Giebelwände den Platz. Pläne für eine Neubebauung wurden immer wieder angefertigt, die Berliner Baudirektion wollte nicht mit leeren Händen dastehen. 1979 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgerufen. 1983 folgte ein auf wenige DDR-Institute ausgeschriebener Wettbewerb. Der Startschuss fiel erst 1984, als es im Rahmen des sogenannten „Beschleunigten Wohnungsbaus“ galt, innerhalb von zwei Jahren 20.000 Wohnungen zusätzlich in der DDR-Hauptstadt zu bauen. Aus der ganzen DDR wurden Kapazitäten herangezogen, um die Stadt für das 750. Stadtjubiläum im Jahr 1987 herauszuputzen.
Gerade nicht
Die ursprüngliche Planungsidee die Straße wieder zu begradigen und die östliche Hälfte in eine verkehrsberuhigte Zone umzuwandeln verwarf man, weil der Umbau der unterirdischen Versorgungsleitungen zu kostspielig wurde. Leider fristen Platz und Geschäfte trotz Sanierung der Gebäude immer noch ein Mauerblümchen-Dasein. Zeitweilig mussten Anwohner Spenden sammeln, damit die Grünanlagen überhaupt gepflegt wurden – in Berlin inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr. Ob der Springbrunnen in der Mitte des Rondells, von dem immer wieder mal die Rede war, jemals gebaut wird, ist angesichts der prekären Stadtverwaltung überaus fraglich. Aber schön wäre es schon.