Theater-Blumenstrasse-9-Friedrichshain-1856-Berlin-Quelle: Berliner Leben, Erinnerungen und Berichte, Rütten & Loening, 1954

Theater und Krawalle in der Blumenstraße

Theater Blumenstrasse 9 Friedrichshain 1856 Berlin Quelle: Berliner Leben, Erinnerungen und Berichte, Rütten & Loening, 1954
Ansicht des Theatergebäudes in der Friedrichshainer Blumenstraße, 1856

Die selten romantische Blumenstraße

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Flankiert von Neubauten der 1950er und 1960er Jahre charakterisiert Stadtgrün die Blumenstraße. Unwirtlicher war es vor über 300 Jahren. Grundwasser stand auf den umliegenden Wiesen, darunter ruhte Lehmboden. Die Stadt und ihr Umland waren vom Dreißigjährigen Krieg verwüstet. Dennoch begann für französische Protestanten, den „Réfugiés“, hier ein neues Leben. Um wegen ihres Glaubens nicht ermordet, ins Gefängnis geworfen oder zur Fronarbeit auf Galeeren verbannt zu werden, verließen sie ihre Heimat. Mit ihrer Ansiedlung, der „Peuplierung“, suchte der preußische Große Kurfürst einen Ausweg, sein entvölkertes Land neu zu beleben. 1803 lebten 4.382 französische Kolonisten in Berlin, davon siedelten 27 Gärtnerfamilien in der Köpenicker oder der Stralauer Vorstadt.

Blumenstrasse Szenen Berliner Posse Karikaturen 1848 aus: Berliner Leben (1954) Erinnerungen und Berichte
Szenen Berliner Posse Karikaturen, 1848

Lehm unter feinen Blüten

Landwirte und Gärtner zählten auch zu den Bewohnern des Stralauer Viertels. Diese Spezialisten machten den Boden urbar. Blumen- und Obstzüchtereien erstreckten sich um 1750 zwischen dem „Grünen Weg“ (Singerstraße) und dem „Langen Weg“ (Lange Straße). Die größte Blumenzüchterei gehörte Pierre Bouché. Er lud ab 1740 zur Hyazinthenausstellung ein; die Zwiebelpflanzen blühten hier auf großen Feldern. Sein Lehmweg Nr. 11 war ein Ausflugsziel der Noblesse.
Hier traf man sich auf einen frischen Trunk plus kleinem Imbiss. Promis wie der sächsische General von Gersdorff waren knauserig mit Trinkgeldern, aber stete Gäste beim „Bouché“. Deshalb ließ sich die Bedienung viel Zeit. Der Volksmund machte daraus eine Rache des kleinen Mannes: „Er sitzt da, wie Exzellenz bei Bouché!“. Weiteres fand seinen Weg in die Umgangssprache: Der Kaufladen – die Boutique – wurde zur „Budike“, aus dem „gegangen“  „allé“ ein „is alle!“

Blumenstrasse WallnerTheater 184 Programmzettel aus Berliner Leben (1954) Erinnerungen und Berichte
Programmzettel des Wallner Theaters in der Blumenstraße

Mehr als nur Theater

Neben Generälen kamen auch Theaterfreunde in die Gärten. 1790 bauten sie sich ein kleines Vereinshaus, das „Thalia“. Bürger, wie Direktor Bellermann vom Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster, erwirkten die Umbenennung des Lehmweges in Blumenstraße. Vom 18. August 1816 an lag das Thalia an der Blumenstraße 9b. Allerdings ging der Eingang zum Grünen Weg. Da die Fassade des Kunsttempels grün gehalten war, dazu grüne Laternen schummriges Licht spendeten, sprach man oft von der „Jrienen Neune“ anstatt vom „Thalia“. Malchen, Tochter des Tischlermeisters Sulke aus der Scharrenstraße, liebte das Thalia. Als Malchens Mama vorbeischaute, sah sie, wie in den Theaterpausen junge Pärchen unter Bäumen oder hinter Hecken verschwanden. Mama schlug ihre Hände über dem Kopf zusammen und gebar ein: „Ach du jriene Neune!“.
Nicht nur zarte Bande lockten Jugend in die Blumenstraße. Georg Friedrich Hegel, Jacob Grimm oder Friedrich August Wolf, der verkündete: „Der letzte Zweck des Daseins ist die Bildung der Individualität“, waren Zuhörer von Freiluftkonzerten. In der Blumenstraße Nr. 27 traf Schneidergeselle Friedrich Mentel auf Vertraute des frühsozialistischen „Bundes der Gerechten“. Was hier besprochen wurde, fand auf der Bühne der „Jrienen Neune“ in satirischen Gesangspossen ihren Widerhall. Der demokratische Schriftsteller Adolph Glasbrenner gehörte zu den Stammautoren des Hauses, genauso wie der als unmoralisch verschriene Heinrich Laube oder Eduard von Bauernfeld, der sich mit sarkastischen Texten gegen die Zensur wehrte. Das Haus war jetzt ein „Theater in Concordia“ (in Eintracht). Nach 1848 wurde es unter dem Kapellmeister August Conradi zum Königsstädtischen Vaudeville-Theater. Gemeint war eine Mischung aus Posse, Melodram, Singspiel und Pantomime. 1855 übernahm Franz Wallner das Haus. Der Schauspieler und Schriftsteller führte es als Wallner-Theater von 1858 bis 1872. Danach wurde die „Grüne Neun“ zum Königsstädtischen Theater.

Blumenstrasse Räumung Illustration
Räumung in der Blumenstraße

Wachsendes Kapital

Die Réfugiés gehörten zu den Pionieren der hiesigen Früh­industrialisierung. 1805 war die „Ressource Jüdischer Kaufleute“ neben der Elbschiffergilde an der Gründung der Berliner Handelsbörse beteiligt ­– ein Meilenstein zur Gewerbefreiheit von 1811. Dank beseitigter überkommener Zunftregeln konnten Handwerksmeister zu Unternehmern werden. Wegen der Kleinstaaterei bestanden zahlreiche innerdeutsche Zollgrenzen. Diese wollte die 1820 gegründete „Korporation der Kaufmannschaft von Berlin“ beseitigen. Als großer Meilenstein zur Handels- und Industriemetropole Berlin gilt die „Erste gesamtdeutsche Gewerbeausstellung“ von 1844 mit 240.000 Besuchern.
1871 war Deutschland nicht nur vereinigt, sondern durch den Krieg gegen Frankreich zur Großmacht geworden. Eine „Kriegskontribution“ von 5 Milliarden Goldfranken fachten das bereits bestehende Berliner „Gründerfieber“ und damit verbundene Grundstücksspekulationen weiter an. Über 300.000 Menschen lebten Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin. Anfang der 1870er Jahre stieg die Zahl der Einwohner jährlich um 50.000, aber für den Oktober 1871 wurden 10.600 Wohnungslose prognostiziert.
Wuchermieten und Wohnungsnot zwang Familien ins städtische Arbeitshaus. Wer konnte, baute sich Baracken am damaligen Stadtrand, seinerzeit Frankfurter Allee und Marchlewskistraße.

Blumenstrassenkrawall in Friedrichshain

Der laute Jammer von Unglücklichen – der „Blumenstraßenkrawall“

Wegen der Wohnsitzlosigkeit ihrer Angehörigen nahmen sich zwei Familienväter am 2. April 1872 das Leben. Um 7 Uhr des 26. Juli 1872 wollten Polizisten eine Kellerwohnung in der Blumenstraße 51c räumen. Die Nachbarn protestierten, bald flogen Steine, um 9 Uhr ging berittene Polizei mit Knüppeln gegen Bewohner der umliegenden Straßen vor. Bis in die Nacht zum 27. Juli tobten Straßenkämpfe, die sich steigerten, als Polizeikommandos begannen, Baracken der Obdachlosen vor dem Frankfurter Tor abzureißen. Kinder und alte Menschen erlitten durch Hiebe von Polizeisäbeln schwere Verletzungen. Das hatte den Bau einer Barrikade aus Rinnsteinbohlen und Pflastersteinen an der Ecke Blumen-und Krautstraße zur Folge. Als die Polizisten in der Krautstraße einen Droschkenhof stürmten, hagelte es Steine und Flaschen. Fast 1.000 Beamte waren jetzt im Gebiet. Zwei Bataillone des Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiments und zwei Schwadrone des 2. Garde-Dragoner-Regiments standen zum Ausmarsch bereit. Davon unbeeindruckt gelang es Demonstranten, ein Polizeirevier in der Blumenstraße zu stürmen, sowie drei Barrikaden am Grünen Weg und am Küstriner Platz aufzubauen. Über 1.000 Personen stürmten das Haus eines verhassten Hauswirts. Erst als die Polizei vom Garde-Dragoner-Regiment Unterstützung bekam, flauten die Kämpfe am 29. Juli ab. 159 Arbeiter wurden durch Säbel der Polizei und des Militärs verletzt; unter ihnen gab es 102 Opfer. Doch Barackenbau und Barackensturm wechselten sich weiterhin ab. Über den letzten Barackensturm am 28. August 1873 berichtete der „Neue Social-Demokrat“, dass sich ein Arbeiter mit dem Beil zur Wehr setzte. „Er wurde gepackt und solange festgehalten, bis seine Baracke zertrümmert war. Als man ihn losließ, brach er in ein verzweifeltes Lachen aus, lief auf die Trümmer zu und pflanzte eine rote Fahne auf.“

2 Gedanken zu „Theater und Krawalle in der Blumenstraße“

  1. Anmerkung zum Text “Das Haus war jetzt ein „Theater in Concordia“ (in Eintracht). Nach 1848 wurde es unter dem Kapellmeister August Conradi zum Königsstädtischen Vaudeville-Theater. Gemeint war eine Mischung aus Posse, Melodram, Singspiel und Pantomime.”

    Laut Berliner Adressbüchern war das Ges. Theater Concordia noch bis 1855 in der Blumenstraße. Erst dann eröffnete Rudolf Cerf das Königsstädtische Vaudeville-Theater, das dann ab 1858 Wallner-Theater hieß.

  2. Wirklich sehr interessant die Geschichte dieser Strasse.
    Mein Urgrossvater E. Krüger wohnte 1900 mit seiner Familie
    auch dort, bevor er 1934 in das noch grünere Köpenick zog.
    Leider gibt es die St. Andreas Kirche am Stralauer Platz nicht
    mehr, es war das Tauf- und Konfirmationsgotteshaus meiner
    Ahnen. Die noch vorhandenen Glocken konnte ich vom Turm der
    Stadtkirche in Sonneberg in Thüringen hören.
    Gruss von Renate aus München und Potsdam

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