Christina Emig-Koenning, Leiterin der Theaterkapelle in der Boxhagener Straße. Photo: Patrick Popow

Christina Emig-Könning

Christina Emig-Koenning, Leiterin der Theaterkapelle in der Boxhagener Straße. Photo: Patrick Popow
Christina Emig-Koenning, Photo: Patrick Popow

„Ich muss arbeiten, muss was tun!“
Christina Emig-Könning, Leiterin der Theaterkapelle in der Boxhagener Straße

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Ein Friedrichshainer Urgestein ist sie nicht, erst 2004 zog sie aus dem Prenzlauer Berg hierher. Doch wer sich im Bezirk für Kultur interessiert, dem ist die kleine, schmale Frau, deren Energie zum Vorschein kommt, wenn man sich mit ihr über Theater und Kunst unterhält, keine Unbekannte. Mehr noch, sie gilt als Instanz des lokalen Off-Theaters. Unterwegs zu sein, ist in Friedrichshain nicht ungewöhnlich, und dies gehört auch für Christina, die immer wieder ihren Lebens- und Arbeitsort wechselte, zum Leben.
Aufgewachsen ist sie in Halle an der Saale, ihr Abitur schloss sie in Greifswald ab. Darauf folgte zunächst ein Schauspielstudium in Rostock, worauf sie zur Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin wechselte, wo sie Regie studierte. Es folgte das erste Engagement als junge Regisseurin am Weimarer Nationaltheater, eine Festanstellung. Ihre erste Inszenierung fiel fast schon in die Wendezeit. 1988 führte sie Christoph Heins „Passage“ auf, ein Kammerspiel, in dem es um Fluchtschicksale und unüberwindbare Grenzen in der Zeit des Nationalsozialismus geht. Die Frage „Bleiben oder Gehen?“ wurde in der DDR jedoch als aktuelle, hochbrisante Geschichte im Schatten der Mauer verstanden. Im Januar 1989 brachte sie Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ auf die Bühne, eine Adaption von Tschechows „Drei Schwestern“, ebenso ein aktueller Stoff. Für städtische Dialogversuche: „Raus aus der Kirche, rein ins Theater“ öffnete sie das Haus, eine Handlung, die damals noch mit Risiken behaftet war. Sie machte sich damit einen Namen.

Wilde Mähne, wilde Diskussionen, und viele Zigaretten: Für 7 Jahre waren die Theaterkapelle und Christina Emig-Könning eine streitbare Einheit im Bezirk. Foto: privat
Wilde Mähne, wilde Diskussionen, und viele Zigaretten: Für 7 Jahre waren die Theaterkapelle und Christina Emig-Könning eine streitbare Einheit im Bezirk.

Alles änderte sich

DDR-Arbeitsbiografien begannen auch beim Theater üblicherweise mit einer Festanstellung. Man war versorgt, hatte sein Pöstchen und konnte nun daran gehen, in aller Gemütlichkeit die Karriereleiter hinaufzuklettern. Das Weimarer Nationaltheater genoss nicht nur in der DDR hohe Reputation, weshalb sich für die junge Regisseurin beste Voraussetzungen boten. Dass alles anders kam, hängt mit zwei Faktoren zusammen. Christina war viel zu neugierig und umtriebig, als sich einzurichten und auf die Rente vorzubereiten und die äußeren Bedingungen änderten sich schlagartig: 1989 wurde das SED-Regime gestürzt. Innerhalb eines Jahres kam die DDR mit all ihren Versorgungseinrichtungen abhanden. Betriebe wurden stillgelegt, Arbeitsplätze in großem Stil abgebaut. Kein Lebensbereich der Ostdeutschen, der sich nicht änderte. Für Menschen, die auf eine überschaubare und stabile Lebensentwicklung vertrauten, wurde es sehr schwierig. Andere, denen die Entwicklungsmöglichkeiten in der DDR zu eng waren, sahen Chancen. Alles schien jetzt möglich zu sein, auch für Christina.
Intendanten von Theaterhäusern in Städten der alten Bundesrepublik suchten nach jungen DDR-Regisseuren, um den Theaterinteressierten im Westen die aktuellen Veränderungen näher zu bringen. Christina nahm ein Engagement am Schauspielhaus Bochum an. Geprobt wurde Heiner Müllers Interpretation von „Zement“, ein Stück von Fjoder Gladkow, das sich mit dem Scheitern der sozialistischen Utopie auseinandersetzt. Die idealisierte Gesellschaft zerbricht an schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, unrealistischen Vorstellungen von einer besseren Welt und an Engstirnigkeiten kleiner Funktionäre.
Schnell bemerkte Christina, dass die Menschen im Westen ohne Erfahrung mit Zensur und andeutenden Verlautbarungen den Subtext zwischen den Zeilen anders lesen, als die Zuschauer im Osten, ja oft gar nicht zu bemerken scheinen. Ihnen lag an solider Schauspielkunst. Zudem hatte sie das Gefühl, dass Kulturfunktionäre im Westen den Mauerfall nicht verarbeitet haben und an Vorstellungen über die DDR festhielten, die wenig mit der Realität zu tun hatten.

 „Quartett“ von Heiner Müller im Gewölbekeller der Kapelle. Foto-: theaterkapelle10245 e.V.
„Quartett“ von Heiner Müller im Gewölbekeller der Kapelle. Foto-: theaterkapelle10245 e.V.

Neue Herausforderungen – veraltete Kulturverständnisse

Sie brach das Engagement ab und arbeitete an vielen Häusern in Erfurt, Gera, Jena, wieder Weimar, in Leipzig, Magdeburg und erhielt 1994 ein Engagement im Rostocker Volkstheater, das eine schwierige Zeit mit nur wenigen Besucherzahlen durchmachte. Für Christina eine Herausforderung: „Wenn die Leute nicht ins Theater kommen, muss das Theater zu den Leuten gehen!“ Sie inszenierte unter anderem in der Neptun-Schwimmhalle und ärgerte sich über die Theaterwerkstatt, die sich nicht in der Lage sah, ein Floß für einen Aufführungsort außer Haus zu bauen. Junge Leute aus der linken Club-Szene sprangen ein, sie stellen auch einen großen Teil des Publikums. In der Nikolaikirche inszenierte sie einen Macbeth. Nach 15 ausverkauften Vorstellungen setzten es Rostocker Kulturfunktionäre ab, weil ihnen Hardrock und blutige Gewalt zu viel war. „Dabei ist Macbeth blutige Gewalt!“, beharrt Christina.
Ein Höhepunkt ist die Inszenierung „Trainspotting“ von Irvine Welsh auf dem Kulturschiff „Stubnitz“, einem ehemaligen Fischfang- und Verarbeitungsschiff der DDR-Hochseefischerei, das ab 1992 als Kulturraum genutzt wird. Junge Leute aus der Edinburgher Drogenszene bilden die Grundlage des Stückes, das mit großer Lebendigkeit über mehrere Ebenen des Schiffs gespielt wurde, wobei sich Identitäten der Spielenden abwechselten. Die Aufführung bekam sehr gute Kritiken, unter anderem eine Nominierung für das Berliner Theatertreffen. Die Freunde des klassischen Theaterbetriebs in Rostock blieben eher reserviert. Ihr Vertrag wurde nicht verlängert. Ab 1999 war sie wieder frei.

Innenraum der Theaterkapelle. Foto: theaterkapelle10245 e.V.
Innenraum der Theaterkapelle. Foto: theaterkapelle10245 e.V.

Leiterin der Friedrichshainer Theaterkapelle

Kritiker halten ihre Inszenierungen für Albtraumhaft surreal, sie hingegen sagt, sie will alles aus den Schauspielern herausbekommen, um „ein Stückchen Wahrheit über die grausame, schöne Bestie Mensch zu erlangen“. Sie würde verunsichern, heißt es, und keine klaren Antworten erteilen. Welche klaren Antworten dies sein sollten, entgegnen Zuschauer, die von ihren Aufführungen begeistert sind. Das ist politisches Theater, wie sie es versteht, nicht vordergründig. Die Zuschauer müssen ihre eigenen Bilder und Assoziationen entwickeln. Als sie 2005 den Zuschlag für die Bühne des finanziell gescheiterten Ost-End-Theaters in der Friedhofskapelle in der Boxhagener Straße erhielt, begann für sie eine fast zehnjährige reiche Schaffensperiode.
Die kleine Kapelle in der Boxhagener Straße 99–101 wurde 1879 auf dem Friedhof der Kolonie Friedrichsberg errichtet, der seit 1867 besteht. Ihre Erbauer Gustav Koblauch (1833–1916) und Eduard Wex (1827–1902), hatten sich beide bereits 1866 mit dem Bau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße einen Namen gemacht. Im Rahmen einer Umstrukturierung der Kirchenkreise im Jahr 1949 folgte die Umwandlung zu einer Kirche mit dem Namen Verheißungskirche. 2001 wurde das Gebäude saniert. Christina baute sich ein kleines Team auf. Gespielt wurden unter anderem Elfriede Jelinek, Heiner Müller, Thomas Martin, eine Büchner-Bearbeitung „Woyzecken – Bürger, Trinker, Antifa“ oder die Uraufführung: „Tage des Zorns“ mit einer Tanzperformance. Kritiken der Kulturpresse waren begeistert: „Vollbluttheater!“, „Absolut genial!“, „Zum Heulen schön!“ Auch etliche Gastspiele fanden hier statt. Die Musik- und Tanzszene bekam ein Heim, es gab Kinderveranstaltungen und viele kleine aber wichtige Performances aus dem Kiez, wie der „Lesemarathon“ oder eine Veranstaltung anlässlich des 20. Jahrestags der Räumung der Mainzer Straße.
Dagegen flossen die Mittel nur spärlich. Selbst leitende Kulturarbeiter in solchen Projekten leben gewöhnlich mit einem Gehalt, das nur wenig über dem Sozialhilfeniveau liegt. Wer glaubt, dass Kultur von Eigeneinnahmen leben kann, versteht nichts davon. Diese Last wirkte sich auch auf die Inszenierungen aus. Kaum wahrgenommen aber trotzdem substanziell zu vielen prekären Kulturprojekten dazugehörig ist die Sozialarbeit mit Langzeitarbeitslosen, die vom Arbeitsamt geschickt werden.
„Wer wissen will, wie Theater einmal war, bevor es in feste Häuser gesperrt, von manischen Regie-Zampanos egozentrisch benutzt und rollkragenpullovrigen Dramaturgen zerquatscht wurde …“, so beginnt eine begeisterte Rezension über eine Theaterkapellen-Inszenierung in der Zitty. Damit wird eine heikle Frage angesprochen: Was ist Theater? Ist es das herrliche Gebäude am Hauptplatz der Stadt oder sind es die Menschen, die zusammen kommen und aufführen, was sie bewegt? Es läuft auf die Erkenntnis heraus, dass das große Haus vielleicht gar nicht das Wichtigste ist. Institute sind für die Menschen da, heißt es, aber wie bekommt man dies zusammen? In einem Betrieb, der so stark von Subventionen abhängt, wie das Theater, werden solche Fragen als Messerstiche wahrgenommen.

Künstlerische Ausseinandersetzung mit dem Tod in der Theaterkapelle: Wenn Ich Schon Sterben Muss von und mit Anna Ortmann und Anna von Rhoden – mit Texten von Inge Müller. Foto: Tim Kallweit
Künstlerische Ausseinandersetzung mit dem Tod in der Theaterkapelle: Wenn Ich Schon Sterben Muss von und mit Anna Ortmann und Anna von Rhoden – mit Texten von Inge Müller.
Foto: Tim Kallweit

Begeisterte Rezensionen – prekäre Ausstattung

Der Berliner Senat hat seine Präferenzen. Nur 5 Prozent der Kulturausgaben sind den freien Projekten vorbehalten. Die Koalition der Freien Szene forderte schon im November 2012 eine Verdopplung der Ausgaben, denn 95 Prozent der Kulturschaffenden arbeiten in freien Projekten, genau in jenen, mit denen sich Berlins Politiker schmücken. Der Senat verweist auf den Haushalt. Was man nicht hat, kann man nicht ausgeben. „Geist ist noch flüchtiger als Kapital – haltet ihn fest!“, warnt die Freie Szene. Doch in Sphären, wo sich längst der Geist verabschiedet hat, ist auch das Kapital flüchtig geworden und verschwindet in der Flughafenruine, in Olympia-Fantasien und unnützen Schlossumbauten.
2013 gewährte der Berliner Senat der Theaterkapelle eine Unterstützung über 20.000 Euro mit der Bedingung, dass der Bezirk 10.000 drauf lege. Doch über eine solche Summe verfügte der Bezirk nicht. Kritiker werfen dem Senat vor, die Kapelle sehenden Auges in den Ruin zu treiben – ohne Gehör zu finden. Ein Streit mit potentiellen Nutzern des Kellers aus der Musikszene verkomplizierte die Lage zusätzlich. Die Verwaltung der Kapelle vermittelte den Theaterleuten das Gefühl, kein Interesse an einer Fortsetzung des Theaterbetriebs zu haben. Ende 2013 war die Luft raus. Die Kapelle schloss, Fundus und Technik wurden verkauft. Bitter ist für Christina, dass sich von denen, die in der Theaterkapelle auftraten oder jene, die sie einst hoch lobten, kaum jemand für sie einsetzte.
Wieder von vorn anfangen
„Wenn Friedrichshain sich noch einmal neu erfindet, geht dieser Impuls mit Sicherheit von diesem späten Kind der Szenekultur aus“, schrieb das Zitty-Berlinbuch 2010 begeistert über die Theaterkapelle. Nun wird sich Friedrichshain anderswo neu erfinden müssen.
„Theater ist ein Bedürfnis“, sagt Christina. „Die Menschen werden immer Theater spielen, wenn ihnen das nicht reicht, was ihnen die Hochkultur bietet. Daran konnte sie keine Diktatur hindern und daran hindert sie auch nicht, dass es kein Geld gibt.“ Sie will ein neues Team aufbauen, sucht nach ungenutzten Spielorten, gibt Unterricht und bewirbt sich zugleich an anderen Häusern. Alles ist wieder offen.
Bedanken möchte sich Christina unbedingt noch bei all den Menschen, die jahrelang von morgens bis nachts die Kapelle technisch, organisatorisch und künstlerisch unterstützt und zu einem besonderen Kulturstandort in Berlin entwickelt haben. Besonderen Dank gilt Claudia Wall, die den Start mit 10.000,- Euro Unterstützung ermöglichte und die Wall-Vitrine als Leihgabe spendete.
Die Theaterkapelle ist verkauft. An wen, darüber hält sich die Friedhofsverwaltung bedeckt. Aufgrund der Sanierung aus öffentlichen Mitteln muss sie weiter kulturell genutzt werden. Wie das realisiert wird, darüber wird der Friedrichshainer Zeitzeiger berichten.

 

Ein Gedanke zu „Christina Emig-Könning“

  1. Ich bin mit Christina Emig-Könning kurze Zeit in derselben Schulklasse der POS (Polytechnische Oberschule der Ex-DDR) gewesen und wir waren befreundet und ihre Leidenschaft für die Schauspielerei begann schon als junges Mädchen.Ihre Mutter,unsere Deutsch-und Literaturlehrerin, hat diesen Wunsch sehr gefördert. Und so übten wir knapp 14-jährig die Rolle des Gretchen aus dem Faust in Christinas kleinem Kinderzimmer in dem Hause ihrer Eltern.Leider trennten sich unsere Wege bald und wir verloren uns.Ich lebte lange Zeit in den alten Bundesländern und Christina machte ihren Mädchentraum wahr und wurde sogar eine aussergewöhnliche progressive Regisseurin.Ich dachte oft an sie und fand sie nun auf Facebook wieder.Sie hat meine Bewunderung und Hochachtung und ich hoffe,dass wir uns nun bald wiedersehen werden…

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