„Dafür mache ich das, um jemandes Lieblingsbuchhandlung zu sein!“
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Nicht jeder, der auf der Suche nach einem Geschenk – und sei es eins für sich selbst – die Regale eines Bücherladens nach interessanten Literatur-Leckerbissen durchstöbert, kann sich hinterher an den Namen des Geschäfts erinnern – ganz zu schweigen an den seiner Mitarbeiter. Aber jeder, der das Vergnügen hatte, von der Chefin des Ladens „Lesen und lesen lassen“ beraten und bedient zu werden, wird sich noch lange ausgesprochen angenehm an das Gespräch erinnern können.
Dazu tragen nicht nur das Äußere der sehr kleinen, agilen Frau mit schicker Kurzhaarfrisur, aufmerksamen Blick und ihre freundlichen Worte – immer zu einem Scherz bereit – bei, sondern vor allem ihr profundes Wissen, ihre Lebenserfahrung und ihr Selbstbewusstsein, das dahinter steht.
Was ist das Besondere?
In der Tat, einen solchen Bücherladen erfolgreich durch fast zwei Jahrzehnte gebracht zu haben, ist eine Leistung, die mehr als Achtung verdient. Wie man sich so lange auf dem Markt behaupten kann? Für Beate Klemm kein Wunder: „In Berlin kann man mit einer inhabergeführten Buchhandlung recht gut bestehen: das Gespräch mit dem Kunden, fachliche Beratung, eine kluge Vorauswahl – damit bekommen die Kunden bei uns schon sehr viel mehr für ihr Geld, als bei den Filialisten.“ Das ist die Fachbezeichnung für große Buchhandlungen, die Filialen aufgebaut haben. „Bei uns werden die Kunden beworben, erfahren Fürsorge und“, sie zögert einen Augenblick und sagt dann: „Liebe!“ Laut auflachend fügt sie hinzu: „In großen Filialen, die alles in Masse anbieten, werden sie nicht gleich geliebt, oder?“
Der Lehrberuf – ein erster Schritt
Wie kommt man zu einem Bücherladen? „Das Verkaufen lag mir schon immer. Meine Mutter arbeitete als Ausbilderin für Gemüseverkäuferinnen in einem Geschäft in der Boxhagener Straße. Dort habe ich manchmal mitgeholfen und diese Tätigkeit hat meinen Berufswunsch geprägt. Zuerst wollte ich Fachverkäuferin mit Abitur werden, um danach Literatur zu studieren. Doch trotz meiner sehr guten Noten klappte es nicht, weil nicht genug Ausbildungsplätze zur Verfügung standen. Also wurde ich Buchhändlerin.“
1988 war die Lehre beendet. Beate Klemm wurde in der Buchhandlung am Marzahner Tor eingesetzt. Wie viele andere musste sie sich nach der Wiedervereinigung und der damit folgenden Umstrukturierung neu orientieren. Über das Arbeitsamt ließ sie sich in Buchhaltung und Elektronische Datenverarbeitung fortbilden, Grundlagen in der neuen Wirtschaft. Schon damals kam ihr der Gedanke, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Doch zuerst bewarb sie sich um eine Stelle in der Kollwitz-Buchhandlung in der Danziger Straße – und wurde eingestellt. Älteren Berlinern ist sie noch als Buchhandel-Institution im Bezirk Prenzlauer Berg bekannt. Einen eigenen Laden zu haben, blieb ihr Wunsch. 1994 baute sie mit ihrem Mann in Neuenhagen ein Haus mit Laden, wo die Buchhandlung eingerichtet werden sollte.
Ein Familien-Buchladen
„Aber wir wollten dann doch in Berlin was machen. Mein Mann und ich hatten Anfang der 1990er Jahre hier um die Ecke in der Simon-Dach-Straße in einer Hinterhauswohnung gelebt und wir spürten, dass Friedrichshain Potenzial besitzt.“
Mitte der 1990er Jahre wurden in der Wühlischstraße die ersten Häuser saniert. In die Erdgeschosse zog wieder Gewerbe ein, das in der DDR zugunsten von Wohnungen verdrängt worden war. Bald stand für das junge Paar fest, welcher Laden es werden würde. Beate Klemm versteht es, ihrer Erzählung Spannung zu verleihen: „Gerade, als die heiße Phase zur Eröffnung des Geschäfts in der Wühlischstraße lief, stellte sich Nachwuchs bei uns ein. Im Juli 1996 bekamen wir unseren Sohn und im Oktober eröffneten wir das Geschäft!“ Und dann lacht sie fröhlich auf, als wäre es ein pfiffiger Coup gewesen.
„Mein Mann war noch im Studium. Aber irgendwie schafften wir es. Die Kombination aus Beruf und Leben muss stimmen. Es war nicht immer leicht. Zuhause gab es erst nach 20 Uhr gemeinsames Abendbrot.“ Nach einem Jahr, als der Laden aus dem Gröbsten raus war, kündigte sich der nächste Nachwuchs an. „Und der Buchladen ist unser drittes Kind, wenn man so will“, lacht Beate Klemm. „Wenn mich unser großer Sohn, auf den ich sehr stolz bin, foppen will, dann nennt er ihn ‚mein böser Zwilling!‘ Dabei macht es ihn stolz, dass wir den Laden als Familie gestemmt haben.“
Neue Anwohner – mehr Interessierte
Was für Kunden in den Laden kommen? „Ein großer Teil kommt, um Bücher zu verschenken, denen es Freude macht, ihr persönliches Geschenk selbst auszuwählen und die sich dann bei uns beraten lassen. Die Freude, sich darüber Gedanken zu machen, was man schenkt, teilen sie dann mit uns.“ Dann gibt es auch viele, die für sich einkaufen, die mit Büchern groß geworden sind und den entsprechenden Bildungsstandard besitzen. Solche Menschen sind in den letzten Jahren verstärkt in diese Gegend gezogen. „Etwas mehr Frauen als Männer vielleicht? Viele Familien mit Kindern kommen zu uns.“ Weit häufiger als Gutscheine werden Bücher als Geschenk gekauft. „Wobei unsere Büchergutscheine auch sehr hochwertig sind!“, schiebt Beate Klemm ein und lacht wieder hell auf. Das Geschäft führt auch eine große Auswahl Friedrichshain-Literatur.
Dafür lohnt die Arbeit
„Wir verkaufen Qualität und guten Geschmack. Bücher sind für mich ein Adäquat für Schokolade und Wein.“ Sich leicht vorbeugend setzt sie hinzu: „Überlegen Sie mal, wie viel Qualität Sie für zehn oder zwölf Euro bei uns erwerben können und wie lange Sie etwas davon haben.“
Es ist ein tolles Gefühl, für die Liebhaberei – das Lesen – auch noch so sachliche Argumente geliefert zu bekommen. Beate Klemm hat aber noch mehr auf Lager: „Neulich ist mir etwas sehr Schönes passiert. Ich hatte mich nach der Arbeit mit einer Freundin getroffen und wir wollten, nachdem wir etwas gegessen hatten, noch so einen spätabendlichen Schaufensterbummel unternehmen. Sie glauben es nicht: Als wir vor unserem Laden standen, kam ein Mann und sagte zu seiner Begleitung: ‚Und das hier, ist mein absoluter Lieblingsbuchladen!‘ Dafür mache ich das, damit ich jemandes Lieblingsbuchladen bin!“
Experimente mit Lesungen
Woher stammt der Name des Geschäfts, der so schön an die großzügige Lebensweise laissez faire erinnert? „Es sollte ein Buchladen sein, in dem auch vorgelesen wird, in dem Autoren aus ihren Werken lesen. Aber das haben wir nicht in dem Ausmaß geschafft, in dem wir das gerne hätten.“ In Berlin gibt es jeden Abend überall Veranstaltungen. Bei dem großen Angebot ist es schwierig, sich zu behaupten. „Nicht zu vergessen ist, dass solche Abende gewöhnlich spät werden,“ fügt sie hinzu. „Jetzt veranstalten wir nur noch zwei oder drei Mal Lesungen im Jahr, wenn wir selbst voll dahinter stehen und dafür brennen. Dann ist es auch wieder etwas Besonderes.“
Nicht auf sich allein gestellt bleiben
Ich erkundige mich bei ihr nach dem Verbund der Ladenhüterinnen. Wieder strahlt sie: „Hab ich mir ausgedacht. Ich wollte so was haben!“ Die Ladenhüterinnen sind ein Verbund von sieben von Frauen geleiteten Läden im Kiez, die sich regelmäßig treffen, über Probleme sprechen und sich gegenseitig in der Not helfen. Welche Probleme das sind? „Es muss nicht immer um die teuren Mieten gehen, sondern um ganz einfache betriebsorganisatorische Fragen.“ Beate Klemm hat ein weiteres Beispiel parat: „Wir haben eine Verbundwerbung gestartet und gemeinsam einen größeren Posten Einpack-Tüten bestellt, weil das kostengünstiger ist. Jetzt ist das Problem, dass eine von uns die Rechnung bekommt, und diese auf sieben von uns aufteilen muss. Mit dieser Arbeit verschwindet wieder der Gewinn, denn man sich erhofft hat. Es gibt keine Lösung für ein solches Problem!“ Seit kurzem haben die Ladenhüterinnen eine neue gemeinsame Internetadresse geschaltet:
Erfolg ist nicht selbstverständlich
Hat „Lesen und Lesen lassen“ ein ganz besonderes Konzept? „Eigentlich nicht. Was wir gut finden, haben wir hingestellt und die Leute mögen es. Wir mussten uns nicht verbiegen. Neulich fragte mich eine Kundin, ob sie ein besonders präsentiertes Buch nehmen darf: Natürlich! Wir haben das extra für Sie dort hingestellt, damit Sie es wegnehmen und sich ansehen.“
Buchhändler sind nicht geschützt. Man kann einen Laden aufmachen und sich Buchhändler nennen. Um ihnen voraus zu bleiben, muss man auf alles Mögliche eingestellt sein. Nicht zuletzt deshalb absolviert Beate Klemm gerade ihren Fachwirt Buchhandel, einen IHK-Abschluss, der dem Titel des Meisters entspricht. Sorgen bereitet ihr die Tatsache, dass immer wieder Läden wegen zu hoher Mieten schließen müssen. „Damit werden wichtige Netzwerk zerstört. Wir haben mit uns etwas sehr Wertvolles, das erhalten bleiben muss.“