Nicht irgendein Stadtmöbel

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Die Friedensglocke im Volkspark Friedrichshain, 6. August 2015

Die Friedensglocke im Volkspark Friedrichshain

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Was für eine nett aussehende Pagode am See im Volkspark Friedrichshain, gleich neben diesem Japanischen Gärtlein! Doch was soll dieses übergroße unpraktische Bronzeding darin, das so viel Platz wegnimmt? So mögen Jung-Friedrichshainer und Touristen unbedacht reagieren, wenn sie das Gebäude zum ersten Mal erblicken ohne sich die Zeit zu nehmen, die Info-Tafel zu lesen.

Die Friedensglocke im Volkspark Friedrichshain, 1989/90, Foto Karl-Heinz Schindler. Quelle: Bundesarchiv
Die Friedensglocke im Volkspark Friedrichshain, 1989/90, Foto Karl-Heinz Schindler. Quelle: Bundesarchiv

Ein Schock für die Menschheit

Wir sind mit der Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki groß geworden, an die ersten und einzigen Atombombeneinsätze am 6. und 9. August 1945, die binnen Sekunden hunderttausende Menschenleben auslöschten. Die Namen der Städte galten in der Zeit des Kalten Kriegs nicht nur in den Friedensbewegungen in Ost und West als Mahnung. Politiker versuchten sie zu instrumentalisieren, die Waffenarsenale wuchsen indes bedrohlich. Die groteske Vision Alfred Nobels, des Stifters des Nobel-Friedenspreises, man müsse so schreckliche Waffen entwickeln, dass man aus Angst vor ihnen nicht daran denkt, sie einzusetzen, schien sich erfüllt zu haben.
Bis Herbst 1989 lag das grauenhafte Schicksal der beiden japanischen Städte wie ein Schatten über uns in Mitteleuropa.
Am 6. August 2015 jährte sich die Katastrophe in Hiroshima zum siebzigsten Mal, und ihr wurde wie jedes Jahr auch diesmal am pagoden­förmigen Denkmal im Park mit dem Schlagen der Friedensglocke um 8.15 Uhr, dem Augenblick des ersten Bombenabwurfs, gedacht.

Errichtet wurde das Denkmal 1988/89, nachdem sich die japanische „World Peace Bell Association“ an den DDR-Botschafter in Tokio mit der Bitte gewandt hatte, die Aufstellung einer solchen Glocke zu ermöglichen. Diese Gesellschaft existiert seit 1982 in Tokio, doch geht die Initiative zur Errichtung von Friedensglocken in Japan bis ins Jahr 1947 zurück.

Das Neue Deutschland berichtet am 2./3. September 1989 in gewohnt kämpferischen Worten über die Weihe der Friedensglocke.
Das Neue Deutschland berichtet am 2./3. September 1989 in gewohnt kämpferischen Worten über die Weihe der Friedensglocke.

Friedenswille versus Propaganda

International gab sich die DDR – ein Satellitenstaat der Sowjetunion – als friedensliebend, hielt sich mit militärischem Säbelrasseln zurück und tat sich immer wieder mit Friedensbekenntnissen hervor. Doch korrespondierte diese Außenpolitik in keiner Weise mit der Unterdrückung der unabhängigen Friedensbewegung im eigenen Land und der Verurteilung von Wehrdienstverweigerern. So ein symbolisch hoch aufgeladener Gegenstand wie eine Friedensglocke konnte sehr gut von den Herrschenden instrumentalisiert werden: „Noch nie in der Menschheitsgeschichte habe es eine derart mächtige Friedensmacht gegeben, wie sie heute in Gestalt der im Warschauer Vertrag vereinten sozialistischen Staaten besteht“, so zitierte das Neue Deutschland eine Rede zur Eröffnung,
Berliner Zimmerleute bauten nach japanischen Entwürfen das Holzgestühl. Die ein Meter hohe, 60 Zentimeter runde und 365 Kilogramm schwere Glocke entstand aus einem Spezialguss von Münzen aller damaligen 104 Staaten der Vereinten Nationen, darunter 2 Kilo 20-Pfennig-Münzen. Als die Glocke, die auf Japanisch und Deutsch das Wort Weltfrieden trägt, am ersten September, dem Weltfriedenstag 1989, geweiht wurde, hatten die verantwortlichen Spitzenpolitiker in der DDR nur noch wenige Wochen Amtszeit vor sich. Zu den Gründen ihres Sturzes gehörte maßgeblich ihre Unaufrichtigkeit, die auch in Fragen des Friedens wahrgenommen wurde.

6. August 2015, 8.15 Uhr: Die Friedensglocke wird angeschlagen.
6. August 2015, 8.15 Uhr: Die Friedensglocke wird angeschlagen.

Lebendig dank einer Bürgerinitiative

Anwohner des Parks sahen nach der Wiedervereinigung in der Friedensglocke kein Propagandawerkzeug und fühlten sich verantwortlich.
„Wir fingen damit an, das Umfeld der Glocke von Papier und Schmutz zu reinigen“, erklärt Bernd Mewes, Vorsitzender der Friedensglocken­gesellschaft. Im Oktober 1999 folgte die Gründung des Vereins. Man suchte und fand Partner bei anderen Friedensorganisationen, wie den „Ärzten gegen Atomkrieg“ und hält auch noch heute Verbindung zu Organisationen in aller Welt, die sich der Betreuung der inzwischen 24 Friedensglocken widmen. Bürgermeister Helios Mendiburu erklärte sich damals spontan bereit, die Gesellschaft zu unterstützen. Auch zum diesjährigen Gedenktag sprach die Bürgermeisterin Monika Herrmann auf einer Veranstaltung am Abend vor den etwa 200 Anwesenden. Dabei zog sie eine Verbindung von traumatischen Kriegsereignissen zu den Flüchtlingen, derer wir uns annehmen müssen. Der spontane Beifall zeigte, wie sehr sie damit den Nerv der Zuhörer getroffen hatte.
Als im Juni 2012 in einer Nacht das Kupferdach der Glocke mit dem Schmuckaufsatz gestohlen wurde, fragten sich manche entsetzt, wer so etwas tun kann. Diese Frage stellt sich auch angesichts der gestohlenen Bronzefiguren im Park, die wahrscheinlich von kriminellen Altmetall­sammlern entwendet und an Schrotthändler verkauft wurden. Inzwischen ist das Dach wieder notdürftig repariert. Der Verein sammelt Spenden, um der Pagode ihr ursprüngliche Aussehen zurückzugeben.

Friedensglocke-Volkspark-Friedrichshain-Weltfriedenstag
6. August 2015: Zur Gedenkveranstaltung am Abend war der Andrang groß.

Welche Zukunft hat die Welt?

Waffengewalt und Krieg sind seit vielen Jahren wieder zum Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden, selbst in Europa. Solange sie existieren, bleibt der Einsatz von Kernwaffen prinzipiell möglich. Diese Entwicklung schlägt sich auch auf die Arbeit der Friedensglockengesellschaft nieder. „Die Beteiligung nimmt eher zu“, sagt Bernd Mewes. Auch mit anderen Veranstaltungen, wie Kinderfesten am Weltkindertag, versucht der Verein, Menschen für die Glocke und den Friedensgedanken zu sensibilisieren. Dabei geht es um weitaus mehr als um ein exotisch aussehendes Stadtmöbel.

Fotos: Dirk Moldt

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