Franz Kies arbeitet an der Karl-Marx-Gedenkstätte, Quelle:: FHXB-Museum

Unscharf in Stein

Franz Kies arbeitet an der Karl-Marx-Gedenkstätte, Quelle:: FHXB-Museum
Der Berliner Bildhauer und Nationalpreisträger Franz Kies bei der Arbeit am Marx-Fries / Quelle: FHXB-Museum /

Die Karl-Marx-Gedenkstätte auf Stralau.

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Die SED erklärte 1953 zum Karl-Marx-Jahr. Aus Anlass seines 70. Todestages erhielt die Abteilung Gedenkstätten beim Museum für Deutsche Geschichte den Auftrag herauszufinden, wo Marx in Berlin lebte und wirkte. Weil die Wohnadresse Alt-Stralau Nr. 17 bekannt war, schrieb man an den dort logierenden Herrn Louis Lehmann, um zu erfahren, ob es noch Räume gäbe, in denen sich Marx einst aufhielt, oder ob sich aus der Familienakte der Lehmanns Hinweise zu dessen Aufenthalt ergäben. Der Brief schloss mit den Worten: „Sollte das der Fall sein, könnte das Anbringen einer Gedenktafel in Erwägung gezogen werden.“
Lehmann antwortete: „Ein wahrhaft würdiges Denkmal für Karl Marx und seine Lehre zu schaffen, wäre bestimmt in seinem Sinne, wenn man den Ortsteil Stralau wieder als Wohnviertel innerhalb unseres neu erstehenden Berlins aufbauen würde, statt der jetzigen Planung eines Industriegeländes.“ Im März und Oktober 1953 fragte der Wirkungsbereich 65 der Nationalen Front beim Rat des Stadtbezirks an: „Wenn wir eine Erinnerungsstätte für Karl Marx erstehen lassen wollen, so sollte man von der Tatsache ausgehen, daß irgendwelche Gründe vorlagen, die Karl Marx damals, 1836, bewegten nach dem Orte Stralow zu kommen.“

Reproduktion der ersten Karl-Marx-Gedenktafel von 1929, Bild: FHXB-Museum
Reproduktion der ersten Gedenktafel von 1929, sie zeigt das idealisierte Bild der Gaststätte.
/ Bild: FHXB-Museum /

Ortsfindung

Nach Franz Mehring wohnte Marx in der Alten Leipziger Straße 1. Der Magistrat ließ deshalb 1929 am Haus Mohrenstraße 17 eine Gedenktafel anbringen: An dieser Stätte wohnte 1837/1838 Karl Marx, der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus. 1933 wurde sie entfernt. Dr. Walter, einst Bibliothekar an der Berliner Magistratsbibliothek, ermittelte im Amtlichen Verzeichnis der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, dass Marx, nachdem er am 22. Oktober 1836 an der Universität zu Berlin immatrikuliert worden war, während acht Semestern mehrmals den Wohnsitz wechselte. Unter muffigen Aktenbündeln der Registratur-Kanzlei stieß Günther Rose, Assistent an der Humboldt-Universität, auf einen Anmeldebogen mit Adressen und Briefen der Eltern an „Herrn Karl Marx stud. juris wohlgeboren in Stralow Nr. 4 bei Berlin“. Als Achtzehnjähriger kam Karl Marx zum Wintersemester 1836 nach Berlin und wohnte wegen seines „Unwohlseins“ auf „Stralow“. Marx belegte nur wenige Vorlesungen, galt dafür als fleißig und fand Anschluss an den „Doktorklub“, eine gesellige Vereinigung von Junghegelianern, die im „Roten Zimmer“ des Cafés Stehely in der Jäger- /Ecke Charlottenstraße über die „Weltphilosophie“ diskutierten.
Gedenkplanung: Der genaue Platz ist nicht wichtig.
Für den August 1956 war im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes geplant, einen Gedenkstein „an der Stelle, wo einst Karl Marx gewohnt hat“ zu errichten. Eine Experten-Kommission, die am 27. März 1956 tagte, war sich über die Adresse nicht einig. Der Großvater von Georg Riese, ein 73-jährigen Stralauer, bewirtete einst Karl Marx im Gartenrestaurant „Lindenhof“ (Alt-Stralow Nr. 4), der sich dort mit Freunden traf. Auch Post wurde hier abgegeben. Sie kam von Treptow per Fähre. Seinerzeit wohnte Marx im Hause Nr. 11 (das war 1956 die Nr. 25). Wegen der „Sichtachse“ zum sowjetischen Ehrenmahl auf Treptow regte Chefarchitekt Henselmann die Nr. 18 als Gedenkort an. Herr Kubitza vom Rat des Stadtbezirks, sah es als nicht wichtig an, „den genauen Platz zu wissen“. Man habe „eine würdige Gedenkstätte hier zu errichten. Marx hätte sich nur an wenigen Orten in Deutschland aufgehalten und seine Studienzeit in Berlin wäre die längste zusammenhängende gewesen. Auf Stralau habe er im Kreis der Junghegelianer die Grundlagen für seine philosophischen Ansichten empfangen. Berlin wird von Gästen aus den sozialistischen Ländern und von den Mitgliedern der Arbeiterparteien der kapitalistischen Länder besucht, die uns danach beurteilen, wie wir unsere revolutionäre Traditionen bewahren.“
1958 wurde die geplante Bausumme von 100.000 Mark auf 45.255 Mark gesenkt. In ehrenamtlicher Arbeit wurde 1959 das Gelände enttrümmert und 1961 eine Grünanlage mit Bänken eröffnet. Am 1. Oktober 1964, zum 15. Jahrestag der DDR, weihten Horst Klemm, Sekretär der Kreisleitung SED und der Friedrichshainer Bürgermeister Hans Höding die heute bestehende Anlage ein. Hermann Kirchmann schwor im Namen der Nationalen Front, diese Erinnerungsstätte „wie den eigenen Augapfel zu pflegen“.

Karll Marx, Alt-Stralau Nr 18 im Jahre 1907, Bild: FHXB-Museum
Alt-Stralau
Nr 18: So sah die Fassade der Gaststätte 1907 aus. / Bild: FHXB-Museum /

Gestaltung: historisch unscharf

Der Berliner Bildhauer Franz Kies hatte für die Brigaden der Wismut die Plastik „Atomenergie für den Frieden“ entworfen, außerdem Jungarbeiterporträts für die Stalinallee, Reliefs für die Gedenkstätte Buchenwald und wurde nun Gestalter von zwei Reliefs für die „Erinnerungsstätte“ Alt-Stralau 18. Eines spielt auf die Treffen des religionskritischen „Doktorklubs“ an. Zwar war Marx dort präsent, aber Privatdozent Bruno Bauer und Lehrer Friedrich Köppen waren die Wortführer, anders als im Relief dargestellt. Das zweite Relief weist auf den Stralauer Glasarbeiterstreik von 1901 hin, der erfolglos war – ebenfalls im Gegensatz zur Darstellung. Der Vorstand des Glasarbeiterverbandes hatte den Streik abgelehnt, weil dieser keine Lohnfragen sondern politische Ziele verfolgte.

Milch und Dachpappe

Ein halbes Jahrhundert zurück: 1907 waren der „Lindenhof“ samt Grundstück verfallen. Der Baustoffhändler Hans Forsch kaufte es als Lagerplatz für Bausteine und ließ ein gutbürgerliches Wohnhaus mit Gaststätte und Laden zur Straßenfront bauen. In diesen zog ein Milchhändler ein. 1928 versuchten Glasarbeiter eine „Marx-Tafel“ am Haus anzubringen, was Forsch ablehnte. Forschs Idee, ein Bootshaus für Wassersportler bauen lassen, kippte 1931 wegen der Wirtschaftskrise. Dafür fragten 1939 die „Ruberoidwerke – Bedachung – Isolierung“, ob sie „teerfreie Dachmaterialien“ auf Forschs Gelände lagern dürften: „Weil wir zahlreiche wehrwichtige und ähnliche Aufträge auszuführen haben und das oft erforderliche Bautempo von uns verlangt, daß wir die Baustoffe schnellstens von unserem hiesigen Lager am Wasser anliefern können.“ Das Haus brannte nach einem Bombenangriff am 26. Februar 1945 völlig aus.

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