Die Markus-Kirche in der Weberstraße
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Friedrichshain, der Proletenbezirk, kennt nur den Massenbau! – so lautet eine der pauschalen Zuschreibungen: Mietskasernen, stalinistische Zuckerbäckerhäuser, sozialistische Plattenbausiedlungen – alles von der Stange! Dass mit dem Architekten Friedrich August Stüler, einem Schüler Karl Friedrich Schinkels, auch ein Palast-, Schloss- und Burgenbauer auf Friedrichshainer Gebiet tätig wurde, überrascht hingegen selbst Alteingesessene.
Neue Gotteshäuser an den Rändern der preußischen Metropole
Anders als überkommene Geschichtsmythen glauben machen, bestand die enorm steigende Einwohnerzahl Berlins in den ersten Jahrzehnten der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert nicht nur aus revolutionswütigen Arbeitern, die Gott entsagt hatten. Im Gegenteil. Die Kirchen Berlins platzten aus allen Nähten. Von der Georgenkirchgemeinde am Alexanderplatz trennten sich gleich drei neue Gemeinden mit Kirchenneubauten ab. Fast zeitgleich wuchsen am östlichen Rand Berlins die Andreaskirche am Stralauer Platz und die Bartholomäuskirche am Königstor empor, während auf dem Gelände des alten Georgenkirchfriedhofs an der Weberstraße 54/55 in der Nähe des heutigen Strausberger Platzes die Markus-Kirche entstand.
König Friedrich Wilhelm IV. ließ den Entwurf des Baumeisters Gotthilf Ludwig Runge durch Stüler überarbeiten. Am 18. Oktober 1848 – in Berlin herrschte Belagerungszustand – wurde anlässlich des Geburtstags des Königs die feierliche Grundsteinlegung begangen. Drei Wochen später erhielt Preußen seine erste Verfassung, doch eine andere, als die Revolutionäre erhofft hatten. Besser als gar keine Verfassung – sagten Genügsamere.
Schon ein Jahr später, im Dezember 1849 wurde das Dach der Kirche gedeckt. Der Innenraum hatte eine damals sagenhafte Höhe von 48 Metern. Doch die Fertigstellung brauchte noch bis ins Jahr 1855, weil das Geld ausgegangen war. Es entstand ein achteckiger neoromanischer Backsteinbau in byzantinischem Stil, dem auf Wunsch der Gemeinde ein 60 Meter hoher, sich an die Form des Florentiner Doms anlehnender Glockenturm beigefügt wurde. Durch das Tor in diesen Turm betrat man das Gotteshaus. Ganze 134.000 Taler kostete der Bau insgesamt, wovon die Stadt 69.000 Taler bestritt. „Nicht als Monumentalbau einer Residenzstadt hergestellt“, maulte ein halbes Jahrhundert später ein städtischer Publizist, doch immerhin ist das Bauwerk anders als gegenwärtige wirklich auch vollendet worden! Das Gebäude fasste ganze 1.800 Besucher. Die Malereien und der Altar aus Alabaster wurden in Reiseführern angepriesen, ebenso die gute Akustik.
Im Krieg schwer beschädigt
Man kann es als ausgesprochen üble Laune der Geschichte ansehen, dass es offenbar gerade der hohe Glockenturm sein sollte, dem das Gotteshaus zum Verhängnis wurde. Weil er die Wirkung des eigenwillig schönen Kirchengebäudes verstellte, gefiel er nicht allen Architekturkritikern. Während der schweren Luftangriffe am 7. Mai 1944 und am 26. Februar 1945 wurde die Kirche schwer beschädigt. Doch immerhin waren Turm und Außenmauern stehen geblieben.
In den ersten Jahren nach der Befreiung im Mai 1945 galt der Abriss der zu 70% zerstörten Kirche als sicher. Die Chancen des Wiederaufbaus stiegen hingegen mit dem Beschluss, die fast vollständig zerbombte Umgebung wieder mit Wohnhäusern zu bebauen. Viele Menschen bedeuten viele Kirchengänger, so lautete damals die Formel zumindest dort, wo die SED-Administration keine ideologischen Bedenken gegenüber Kirchenstandorten hatte. 1950 beschloss die Stadtverordnetenversammlung den Wiederaufbau. Dies wurde kurz darauf, nachdem der Zuzug von 10.000 neuen Einwohnern in Aussicht gestellt wurde, sogar zu einer der vordringlichsten Aufgaben des Innenstadtbereichs erklärt. Im April 1952 verkündeten die Stadtplaner – unter anderem Hermann Henselmann – nach eingehender Beratung den Erhalt des Gotteshauses bei Verkürzung des Turmes noch im selben Jahr, und zogen sogar die Errichtung eines Gemeindehauses in Betracht.
Verzögerungen beim Wiederaufbau
Erste Sicherungsmaßnahmen wurden vorgenommen und der Innenraum der Ruine enttrümmert. Einen Architekten stellte man jedoch erst im April 1953 ein, als die bereitgestellten Mittel bereits anderweitig verausgabt worden waren. Weil sich die vom Architekten eingereichten Unterlagen als unvollständig erwiesen, konnte die Baugenehmigung erst im Dezember 1953 erteilt werden. Dann fehlte es wiederum an Geld. Als dieses schließlich aus einem Züricher Kirchenverbund und zwei weiteren kircheninternen Quellen zusammengetragen war, mangelte es erneut an der Baugenehmigung.
Inzwischen waren Planung und Aufbau des neuen Strausberger Platzes weit fortgeschritten, die achtgeschossige Randbebauung galt unter damaligen Verhältnissen als Hochbauten. Und dennoch lugte der kriegsbeschädigte Kirchturm wie zum Hohn weiter über die nagelneue sozialistische Pracht. Henselmann, der maßgeblich an der Gestaltung des Platzes beteiligt war, teilte im März 1954 im Namen der Meisterwerkstatt Städtebau dem Synodalverband mit, dass man die Durchführung der Projektierung der Kirche für verfrüht halte. Diese Äußerung wird als das Aus für den Wiederaufbau angesehen.
Im Juni 1955 wurde der Gemeinde angekündigt, dass die Ruine zur Gefahrenbeseitigung gesprengt werden müsse. In ihrer Ausgabe vom 7./8. Januar 1956 schrieb die Berliner Tageszeitung „Neue Zeit“ angesichts der Markus-Kirche von „Problemen, die die Planer des Stalinalleeviertels stark berühren müssen“ und stellte einen Wiederaufbau an anderer Stelle in Aussicht. Dieser wurde nie realisiert. Während der Verhandlungen um einen Grundstückstausch kam es in der Tat zu einem tödlichen Unfall in der Kirche durch explodierende Kriegsmunition.
Schließlich wurde die Ruine am 26. April 1957 gesprengt. Am 5. September 1958 teilte die Berliner Zeitung mit, dass sich die FDJ Friedrichshain im Rahmen einer großangelegten Trümmerbeseitigungsaktion die Räumung der Reste der Markus-Kirche vorgenommen hat. Damit verschwand auch der Name der Kirche aus der Öffentlichkeit. Die Gemeinde bestand jedoch weiter fort und vereinigte sich mit der Andreas-Gemeinde, die ebenfalls ihr Gotteshaus verloren hatte. Mit der offiziell durchgesetzten Bezeichnung: „kriegszerstört“ verschwieg die SED bewusst die Tatsache, dass eine Rettung des einmaligen Baudenkmals aus politischen Gründen nicht gewollt war.