Gisela Frischmuth, langjährige Leiterin der studio galerie berlin in der Frankfurter Allee 36a
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Für Leute, die an die Fama vom jungen, hippen Friedrichshain glauben, sind 40 Jahre ungefähr so viel wie einmal Steinzeit und zurück. So lange Zeit einen Laden erfolgreich zu leiten, ist schon unter optimalen Bedingungen beachtlich, um so mehr, dass es einer Frau gelang, ihr Geschäft über die Unwägbarkeiten von Revolution und Vereinigung zu bringen und in der Frankfurter Allee zu etablieren, obendrein nicht irgendein Geschäft, sondern eine Kunstgalerie.
Auf den ersten Blick sieht das Geschäft gar nicht aus wie eine Kunstgalerie. Es gibt viel auf wenig Raum zu sehen. Dennoch sind die Kunstobjekte in den Glaswürfeln so arrangiert, dass sie zu ihrer Wirkung kommen und in interessante Wechselbeziehungen treten.
Mein Besuch beginnt mit einer Peinlichkeit. Ich habe als Reporter keinen Stift dabei, muss um einen bitten und bekomme einen schönen Kugelschreiber mit Galerieaufschrift.
Kein Beruf aus dem Angebotskatalog
Kunst und Kunsthandel waren in der DDR reglementiert. Niemand konnte einfach so Künstler sein und seine Kunst feilbieten. Doch weil es nun einmal einen Bedarf an Kunst gab, sorgte der Staatliche Kunsthandel für den Verkauf von Kunstwerken zumindest der Künstler, die im Künstlerverband organisiert waren. Insgesamt 37 solcher Verkaufsgalerien existierten in der DDR. Nach ihrem Studium der Typografie an der Fachhochschule Leipzig erhielt Gisela Frischmuth die Möglichkeit, die „Galerie am Markt“ in Gera aufzubauen. „Kunsthändler war kein offizieller Lehrberuf“, sagt die freundliche, eher unauffällig erscheinende Galeristin mit schickem Kurzhaarschnitt und einem sympathischen Rest Thüringer Akzent in ihrer Stimme. Aber das ist er auch heute noch nicht. Die „Galerie am Markt“ wurde ein Erfolg. Prompt setzte man ihr einen diplomierten Chef vor die Nase. Als Nichtparteimitglied galt sie offenbar als nicht hinreichend zuverlässig. Nach sechs Jahren Arbeit als Stellvertreterin zog sie nach ihrer Heirat nach Berlin und wurde Verkäuferin in der 1975 am Strausberger Platz gegründeten studio galerie berlin.
Diese handelte mit in der DDR so bezeichneter angewandter Kunst, mit Keramik, Holz, Metall, Glas und anderem. Dass sie in der Lage war, „einen Laden zu schmeißen“, stellte Frau Frischmuth anlässlich der IX. Kunstausstellung in Dresden unter Beweis, wo sie den Stand des Kunsthandels organisierte und leitete. Als ihr Chef Günther Muth 1986 die Galerie verließ, schlug er sie als seine Nachfolgerin vor – und sie wurde es.
Andere Verhältnisse
„Sieben oder acht angestellte Mitarbeiter hatten wir damals. Heute kaum vorstellbar“, erinnert sich Gisela Frischmuth.
Aber es gab auch viel zu tun. Jeden Monat wurde eine neue Verkaufsausstellung samt Katalog vorbereitet. Die Konzepte mussten komplett im Jahr zuvor eingereicht werden. Trotzdem kontrollierte der Generaldirektor des staatlichen Kunsthandels vor jeder Eröffnung und nahm manchmal auch ein Kunstwerk aus dem Regal, wenn es ihm zu anrüchig erschien.
Frischmuth stellte bisweilen auch Künstler aus, die nicht Mitglied des Künstlerverbands waren und demnach auch nicht als Künstler zu gelten hatten – offiziell zumindest. „Kunst muss ein Gefühl auslösen. Etwas muss anders werden, wenn man ein Kunstwerk sieht“, begründet sie das. Von einem dieser jungen Künstler, Moritz Götz, der heute Professor an der Kunsthochschule Halle ist, musste sie einmal auf eine Collage verzichten, weil auf ihr eine West-Kaffeeverpackung zu sehen war.
Zur Arbeit gehörte damals wie heute der persönliche Kontakt zu den Künstlern, der Besuch in ihren Ateliers. „Es war damals schwerer, an Kunst heran zu kommen. Die Künstler verkauften ihre Kunst selbst und viel besser als heute.“ Da war es nicht gerade leicht, besondere Stücke zu bekommen. Aber zum Glück gab es auch Eitelkeiten bei den Künstlern. In einer Ausstellung in Berlin gezeigt zu werden, das war schon etwas.
Zusätzliche Arbeit kostete die Tatsache, dass am Strausberger Platz nur wenig Laufkundschaft vorbei kam. Schon damals hielt man Kontakte zu Kunden in Berlin und darüber hinaus: Freunde, Kunstliebhaber, Interessierte, lud zu Vernissagen oder anderen Veranstaltungen ein, die als Bereicherung zu den Ausstellungen angeboten wurden: Ateliergespräche mit Künstlern, kleine Konzerte. Kundenpflege in der DDR – manche würden abstreiten, dass es so etwas gegeben hat.
Neue Zeiten
Als die Wende kam, stand auch Frau Frischmuth vor der Entscheidung, das Geschäft selbst zu übernehmen. „Ich hatte meine Kunden, von daher war mir nicht bange.“ Aber ein Wagnis war es dennoch. Der zur Art Union GmbH mutierte staatliche Kunsthandel wollte sich von seinen Geschäften nicht trennen, schon gar nicht von seinem besten Stück, der studio galerie.
Frau Frischmuth wandte sich an die Treuhand und überzeugte. Dann mussten 20.000 Mark für den Erwerb des Geschäfts aufgebracht werden, heute ein lächerlich erscheinender Betrag. Aber welcher DDR-Bürger besaß so viel Geld damals? Ein Freund half ihr aus der Klemme. Sie nahm auch an Existenzgründerseminaren der IHK teil. Wer wusste denn in der DDR, wie man im Westen ein Geschäft führt? Eine Erinnerung lässt sie schmunzeln. Während die Seminarbesucher aus dem Westen für ihr Geld ihr Mittagessen in der Kantine kauften, mümmelte sie ihre mitgebrachten Stullen, denn für Ostgeld gab es nichts.
Ein Praktikum in einer Hamburger Kunstgalerie folgte. Auch dies vermittelten ihr Freunde der Galerie. „Ich kann diesen Unterschied zwischen Ossis und Wessis nicht nachvollziehen. Hilfe kam von allen Seiten“, sagt Frau Frischmuth, deren Freundes- und Kundenkreis längst auch in die alten Bundesländer hinein reicht. Das Hamburger Praktikum fiel in die Zeit, als der Umzug in die Frankfurter Allee vorbereitet wurde. „Eine gute Entscheidung“, resümiert sie. „Mit dem Strausberger Platz ist nichts mehr los. Da wären wir längst eingegangen.“
Ein alternatives Geschäftsmodell
„Ich habe mir auch viele Galerien im Westen der Stadt angesehen“, berichtet sie. „In manchen stehen nur sehr wenige Plastiken oder es hängen nur wenige Bilder an den Wänden. Dahinter steckt ein anderes Geschäftsmodell als unseres.“
Auf meine Nachfrage, ob sie Ärzte- und Anwaltsgattinnen meint, „Frauen von“ sozusagen, die sich mit einer eigenen Galerie verwirklichen wollen, geht sie nicht ein. Stattdessen berichtet sie, wie es in ihrer Galerie funktioniert. Die strikte Trennung von Verkäufern und Kunden sucht man hier vergeblich. Es gibt jetzt einen großen Freundeskreis, der die Galerie auch durch schlechte Zeiten begleitet und unterstützt. Man trifft sich auch zu Konzerten, Werkstattgesprächen, Feiern, macht sich auf neue Künstler und interessante Entwicklungen auf dem Kunstmarkt aufmerksam. Hinzu kommt die jahrzehntelange Bindung zu Künstlern, die den Kontakt zu Liebhabern und Kunden suchen. Etwa 50 Künstler und Werkstätten stellen bei ihr aus, längst auch Grafiker, die in der DDR unter bildende Kunst fielen. Von manchen Künstlern sind es inzwischen die Kinder, die in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten sind. Nach wie vor beliebt sind die Stücke der Keramikerin Hedwig Bollhagen, deren 80. und 90. Geburtstag in der Galerie begangen wurde. Auch kommen junge Künstler und stellen ihre Werke vor oder man sieht sich die Absolventen der Kunsthochschulen an. Aber nicht nur das macht den Erfolg aus. „Wichtig ist die Fortbildung der Mitarbeiter.“ Dazu gehört die gemeinsame Fahrt zur Verkaufsmesse AMBIENTE nach Frankfurt, wie auch Werkstattbesuche und eigene Versuche an der Töpferscheibe. „Man muss ein bisschen mitreden können, muss wissen, wie so etwas funktioniert.“ Außerdem muss Kunst nicht teuer sein. Ab zehn Euro bekommt man schon ein Stück, und immer ist es etwas Einmaliges, Authentisches. Die hohen Preise gehen bis zu tausend Euro.
Generationswechsel
Nun hat Gisela Frischmuth die Galerie an ihre Tochter Susanne Bartel weiter gegeben. Zwischen Kunst groß geworden, erlernte diese den Beruf einer Verkäuferin. Für den Traumberuf Goldschmiedin gab es in der DDR zu wenig Ausbildungsplätze. Ihre Liebe zu schönem Schmuck ist geblieben. Was an künstlerischem Wissen und Können notwendig war, erlernte sie peu à peu in Werkstätten und verschiedenen Kursen. Wichtig ist, schon beim Einkauf auf Qualität zu achten und darauf, ob es passt. Nicht alle, die vorstellig werden, um Kunst zu verkaufen, genügen den Ansprüchen. „Hobbyarbeiten zum Beispiel“, sagt Frau Bartel.
Ob sie etwas in der Galerie ändern wird? „In der Gestaltung der Räume schon, zum Beispiel bei der Beleuchtung“, erwidert die neue Geschäftsführerin. Aber sonst? Sie zuckt mit den Schultern – in diesem Fall keine Geste der Ratlosigkeit. Es wäre schön, wenn die Frankfurter Allee wieder interessantere Geschäfte bekäme als die Billigläden, die schnell wechselten. Aber das liegt nicht in ihrer Macht.
Der ganze Oktober wird als Jubiläumsmonat begangen, den Gisela Frischmuth und Susanne Bartel gemeinsam mit Kunden und Freunden feiern, um sich bei ihnen für ihre jahrelange Treue zu bedanken.
Ich verlasse das Geschäft. Nach ein paar Schritten auf der Frankfurter Allee drehe ich mich um und schaue es mir von der Seite an. Kaum zu glauben, dass hinter diesen Schaufenstern das Epizentrum eines großern Kreises von Kunst-Enthusiasten ist, eine Welt, viel größer, reicher und bunter, als die graue Betonfassade vermuten lässt.
www.studio-galerie-berlin.de