Gordian Scholz aus der Lenbachstraße 7.
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Friedrichshain wird wegen seiner Startups, bildenden und schreibenden Künstler, wie auch wegen seiner Alternativ-Szene mit ihren kleinen Läden, Kneipen und Cafés als Kreativbezirk bezeichnet. Kreativ, so muss man leider sagen, gehen auch jene vor, die mit ihrer schamlosen Gier nach Gewinn eben dieses Milieu vertreiben.
Ich bin mit Gordian Scholz, einem Bewohner der Lenbachstraße 7 im Ostkreuzviertel verabredet. Gordian zog 2009 der Liebe wegen aus dem Ruhrgebiet nach Berlin und wohnt fast von Anfang an in diesem Haus, das als jüngster Fall einer Modernisierungsmaßnahme mit Vertreibung der Mieter gilt. „Es sind 900 Euro, die ich pro Monat für meine 73-Quadratmeter-Wohnung mehr zahlen soll“, unterstreicht Gordian. „Bei uns wohnen Mittelständler, die mit ihren Berufen die Stadt am Laufen halten: das sind Bereiche wie Kultur, Versorgung oder medizinische Betreuung. Die Stadt am Laufen zu halten, aber nicht mehr in ihr wohnen zu dürfen, ist ein furchtbare Vorstellung! Wie soll so eine Stadt aussehen?“
Musik und Psychologie
Gordian hat Psychologie studiert. Wie erleben die Menschen die Welt, was fordert sie, das interessierte ihn. „Ich dachte auch daran, Physik zu studieren, aber mich schreckte die Rechnerei ab. Die hat mich dann spätestens im Grundstudium wieder eingeholt“, sagt er schmunzelnd. Er arbeitet in einer Klinik und macht nebenher eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. Kein leichtes Pensum. Bis zu ihrer Auflösung 2013 spielte er viele Jahre als Bassgitarrist bei den Kilians, einer Indie-Rock-Band. Anlässlich des 10. Jahrestags der Herausgabe der ersten Platte kamen sie 2017 noch einmal zusammen, aber dann war Schluss. „Ich habe zeitweilig von der Musik leben können, gerade als es mit dem Bafög knapp wurde. Aber wenn man das richtig professionell machen will, dann geht das nicht mehr nur nebenher.“ Man kann nicht einfach mal für ein halbes Jahr Pause machen, ohne Gefahr zu laufen, vergessen zu werden. Auch bei anderen Bandmitgliedern setzte sich diese Erkenntnis irgendwann durch, so dass sie nach drei Platten das Projekt beendeten. „Aber Musik ist nicht aus meinem Leben verschwunden“, betont Gordian. Er spielt noch für sich selbst und geht natürlich auch auf Konzerte. Kritisch merkt er an: „Auch wenn Berlin ein großartiges Angebot hat, man findet neben elektronischer Musik immer weniger anderes Tanzbares.“
Das Wohngebiet hat sich verändert
„Es war eine schöne Mischung, als ich hier herzog. Kleine Läden, Kneipen, Arbeiter und Angestellte, Studenten und Künstler lebten hier.“ Mit dem Wandel der Gegend, dem Bau der neuen Häuser, etwa in der Revaler Straße, verschwanden die Clubs. „Es ist notwendig, dass Wohnungen gebaut werden“, sagt Gordian. Die Wohnungslage ist angespannt. „Aber ich habe das Gefühl, dass viele versuchen, ihre Situation durch einen Wohnungskauf zu retten.“ Parallel zu dieser Entwicklung der Privatisierung scheint sich die öffentliche Hand immer mehr zurück zu ziehen. „Früher bin ich gern zum Ballspielen in den Park im Annemirl-Bauer-Platz gegangen. Jetzt vermüllt er zusehends. Der Spielplatz wird immer wieder wegen Scherben abgesperrt.“
Sicher hängt diese Entwicklung auch mit der Eröffnung der zwei riesigen Jugendherbergen in der Boxhagener und in der Marktstraße zusammen. „Hier ziehen viele Leute durch, die nach ein paar Tagen wieder weg sind. Die interessiert das nicht.“
Verändert hat sich natürlich auch der Bahnhof Ostkreuz. „Er gefällt mir nicht.“ meint Gordian. „Er sieht aus, wie der am Südkreuz und der Hauptbahnhof. Außerdem ist die Wegeführung nicht gut. Man stößt immer mit Menschen zusammen.“ Verändert hat sich auch die besondere Struktur der Geschäfte. Nicht mehr die Bewohner, sondern Touristen stehen im Mittelpunkt. Immer mehr gleiche Restaurants haben aufgemacht und immer mehr große Ketten eröffnen Läden. Die Eintönigkeit nimmt zu.
Eine bedrohliche Lage
Ich komme auf die Lenbachstraße zu sprechen. „Das Leben im Haus war problemlos. Es gab eine Hausverwaltung, die sich um Reparaturen kümmerte, auch mal eine moderate Mietenerhöhung, die aber verkraftbar war.“ Geändert hat sich alles durch den Verkauf des Hauses an Ioannis Moraitis im Jahr 2017. Mehrmals wechselte die Verwaltung. Damit änderte sich auch der Service. Besser gesagt, er wurde fast eingestellt: Das Treppenhaus wurde nicht mehr gereinigt und Reparaturen blieben aus. „Wir haben den Eigentümernamen gegoogelt und festgestellt, dass er mit dem des Investors identisch war, der den Gemüsehändler Ahmed Caliskan im Kreuzberger Wrangelkiez gekündigt hat. Das war ja stadtbekannt. Da wurde uns schon mal mulmig.“
„Ende Dezember erreichte uns die Sanierungsankündigung.“ Gerade noch rechtzeitig vor Inkrafttreten der Mietpreisbremse – die kaum diese Namen verdient. Sie lässt immer noch zu hohe Mietsteigerungen zu und verliert ohnehin nach sechs Jahren ihre Wirkung. Angst und Hilflosigkeit waren die ersten Reaktionen. Aber dann besannen sich die Mieter, suchten nach Unterstützung und fanden sie unter anderem beim Mieterverein. Eigentümer ist die F-22 Projekt GmbH, dieselbe, die der in der Samariterstraße 8 und in der Pankower Maximilianstraße 46 mit genau denselben brachialen Methoden Einwohner und Geschäftsinhaber aus ihren Häuser vertreibt. Hinter dieser steht die Fortis GmbH, eine Projektentwicklungsgesellschaft, deren Geschäftsmodell darin besteht, die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt ohne Interesse an den Menschen in den Wohnungen und im Wohnumfeld auszunutzen.
Nach schlechter Presse gibt man sich konziliant: eine Geschäftsleiterin in der Samariterstraße darf nun etwas länger im Laden bleiben.
Eingeladen hat die Hauseigentümerin zu einem einstündigen Informationsgespräch im April, zu dem nur eingeladene Mieter erscheinen dürfen. „Was soll denn bei so vielen Mietern und den vielen offenen Fragen in einer Stunde besprochen werden?“, fragt Gordian. Die Öffentlichkeit ist über die extrem unsozialen Projekte der Eigentümer beunruhigt. Längst sind die grassierenden Mietenerhöhungen in Berlin kein Einfache-Leute-Thema mehr. So lange die Politik keine wirksamen Mittel zur Eindämmung dieser Entwicklung beschließt, wird auch die Diskussion über die Enteignung unsozialer Wohnungseigentümer, die den gesellschaftliche Frieden stören, weiter befeuert.
Für die Mieter des Hauses Lenbachstraße 7 hat dies alles einen positiven Aspekt. „Man nimmt sich wieder als Nachbarn wahr, informiert sich und unternimmt gemeinsam etwas.“ Ein schönes Nebenprodukt, möchte man sagen, doch ohne die dauerhafte Sicherung der Mietverträge durch annehmbare Mieten wäre auch dies nur wenig wert.