Postamt und mehr
‚Steno und Schreibmaschine‘ gehörten einst zu den Einstiegskenntnissen für Büroangestellte, häufig auch für Postmitarbeiter, wie sie im Postamt 35 in der Gabelsbergerstraße tätig waren. Seit 1965 verteilte Karin im Postamt Briefe und Päckchen. Sie war jung und die überwiegend älteren Kollegen fanden Karin zu laut, zu präsent. Kurz, die Brigade beschloss, sie als Briefzustellerin auf Tour zu schicken. Karin wollte mit dem ganzen Kollektiv gut auskommen und spendete mal eine Runde Kaffee oder dem einen oder anderen Kollegen zum Geburtstag diese oder jene Kleinigkeit. So richtig in Übereinstimmung mit allen Kollegen kam sie erst, als 1966 ein dunkler Schatten über das Postamt fiel. Immer wieder verschwanden Päckchen, vor allem jene, die aus dem Westen stammten. Dem Kollektivgeist zum Trotz verdächtigte bald jeder jeden, nur eben Karin nicht, sie wurde nicht ernst genommen. Immerhin, sie sagte. „Wer so etwas tut, muss hart bestraft werden“ und alle waren der gleichen Meinung. Niemand ahnte, dass die Polizei Karin dicht auf den Fersen war. Im Rahmen einer Hausdurchsuchung kam ans Licht: Schokolade, Bohnenkaffee, Zigaretten, drei Pullover, Kinderschuhe, ein Strickkleid, kosmetische Artikel und Kugelschreiber waren ihr in die Hände gefallen. Das Stadtbezirksgericht Friedrichshain verurteilte sie zu zehn Monaten Freiheitsstrafe mit zwei Jahren Bewährung.
Wandlung
Das Haus der Nummer 15 gehört zur vergessenen Geschichte, es wurde im Krieg zerstört. Die Jugendsünde der Karin von der Post ist Teil einer unsichtbaren Alltagsgeschichte der Straße und verschwunden ist auch der Name vom Xaver Gabelsberger aus dem Straßenbild. Am 21. November 1992 flackerten auf den Stufen des westlichen Treppenaufganges des UBahnhofs Samariterstraße Hunderte von Teekerzen. Im Zuge einer Auseinandersetzung erstachen militante Neonazis den Hausbesetzer Silvio Meier. Um ein Zeichen gegen politische Gewalt zu setzen, wurde am 26. April 2013 die Gabelsbergerstraße in Silvio-Meier-Straße umbenannt.