In der Rigaer Straße öffnet ein Kiezbüro.
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Wer die vielen Künstler-, Kultur-, Sport, Mieter-, Anwohner und andere Bürgerinitiativen der letzten 25 Jahre in Friedrichshain zu überschauen versucht, droht bei der Frage: „Was hat es genützt?“ durchaus in Resignation zu verfallen. Die Mieten steigen weiter, Freunde und Bekannte ziehen in günstigere Wohngegenden, immer mehr alte Kiezläden geben auf. Billiger Partytourismus bestimmt immer stärker das öffentliche Leben, Bauprojekte werden am Ende doch schamlos wie geplant durchgezogen. Die Politik hilft nicht viel und verliert damit das Einzige, für das sie eigentlich da ist und damit auch das Einzige, was sie stark macht: die Menschen. Aber weil es immer wieder Leute gibt, die Verantwortung für die Einwohner in den Wohngebieten und für ihre Umwelt verspüren, die Spaß an Kultur, Kunst und am gemeinsamen Gestalten der Umwelt haben, entstehen immer wieder neue Initiativen, versuchen Enthusiasten, nichtkommerzielle Kunst-, Kultur- und Sozialprojekte auf die Beine zu stellen und sich mit anderen Projektpartnern zu vernetzen. Diese Prozesse können von nun an im Samariterviertel einfacher vonstatten gehen.
Zusammen mit den Menschen hier vor Ort
Im Büro für Kulturangelegenheiten in der Rigaer Straße 41 treffe ich Vanessa Rémy, die den Zeitzeiger-Lesern aus dem Oktoberheft 2016 bekannt ist. Sie ist als Mitarbeiterin der Stiftung SPI für die Einrichtung eines Kiezbüros an diesem Ort zuständig. Das Sozialpädagogische Institut Berlin „Walter May“, Lebenslagen, Vielfalt & Stadtentwicklung (Stiftung SPI) hat im November 2017 eine Anwohnerumfrage durchgeführt, um die Vorstellungen der hier lebenden Menschen über die Zukunft des Kiezes zu erfahren. Dabei sind ganz verschiedene Wünsche geäußert worden. „Im Vordergrund stand dabei die Frage des Umeinander- Kümmerns“, erläutert Vanessa Rémy, „die Frage, wie das Zusammenleben hier besser gestaltet werden und wie man Anwohnende dafür aktivieren kann.“ In der Geschichte der Stadt gibt es immer wiederkehrende Probleme, die immer auch ähnliche Lösungen verlangen. Das müssen keine groß angelegten Maßnahmen sein. Partnerschaften von Senioren zum Vorlesen oder zum Betreuen von Kindern kommen schnell zustande, müssen aber angeregt werden. Initiativen, die es schon gibt, etwa zur Verkehrsberuhigung, sollen Unterstützung finden. Eine Hilfe zur Vernetzung. „Bei Jugendlichen sieht es anders aus. Der Spielplatz am Forckenbeckplatz zum Beispiel ist ausgelastet durch Familien, vor allem mit kleinen Kindern. Diesen Platz mit einer Skaterbahn zu kombinieren, ist nicht optimal.“ Jugendliche des Samariterkiezes treffen sich lieber am Kletti-Spielplatz, der seinerseits kaum von Kindern besucht wird. Zusammen mit Gangway e.V., einem sozialen Träger der Straßenjugendarbeit, wurden die Jugendlichen befragt, wie „ihr“ Platz besser gestaltet werden könne: ein paar Büsche pflanzen und die Abdeckung der Unterstände erneuern, das wäre schon etwas. Jugendarbeit hat eine lange Tradition in Friedrichshain mit großartigen Ergebnissen und tragischen und deprimierenden Einbrüchen. Der letzte große erfolgte durch die Sparpolitik des Wowereit-Senats, in dessen Folge zahreiche kommunale Jugendeinrichtungen in private Trägerschaften übergingen. Nachfolgen dieser Politik, die Verkäuf kommunaler Wohnungen, sind auch die exorbitanten Mietsteigerungen, die bis in diese Tage anhalten. Gerade auch sie wurden bei der Befragung immer wieder von den Einwohnern als bedrohlich bezeichnet. „Ein Wunsch, der während des Dialogprozesses immer wieder geäußert wurde“, so Vanessa Rémy, „bestand in der Einrichtung eines Büros für die Anwohnenden.“
Konzept Kiezbüro
„Wir richten im Auftrag des Bezirks einen niedrigschwellig zu erreichenden Ort für die Bürger ein; eine Schnittstelle, an der die Menschen mit Sorgen, Fragen und Anregungen zusammen kommen können.“ Von hier soll eine Aktivierung der Anwohner ausgehen, es soll eine Beratungs- und Anlaufstelle entstehen, aber auch ein kostenlos nutzbarer Versammlungsort für Kultur- und andere Initiativen, ein nachbarschaftlicher Treffpunkt. „Wer einen Ort zum Treffen sucht, braucht einfach nur anzurufen oder den Raum über www.samariterkiez.de zu buchen, und wir blockieren den Raum für diese Zeit, wenn er frei ist. Alle zwei Monate möchten wir auch gern zu Veranstaltungen einladen. Das können thematische sein, mit einem historischen Schwerpunkt zum Beispiel, oder Kiezgespräche oder Literaturveranstaltungen.“ Inzwischen gibt es eine kleine aber sehenswerte Friedrichshain- Literatur, die hier mit großem Interesse rezipiert wurde. Vernetzung ist das A und O der Kultur- und Sozialarbeit. Im Jugend[widerstands]museum Galiläakirche in der Rigaer Straße organisierte das Kiezbüro einen Weihnachtsmarkt mit sozialen Trägern des Kiezes. Mit dabei waren unter anderem Projekte wie: Das Haus-Begegnungsstätte für Kindheit e.V. aus dem Weidenweg, die Seniorenstelle des DRK aus der Schreinerstraße oder die Kunstwerkstatt aus der Samariterstraße. Es gibt ein großes Interesse aneinander. Im Frühjahr soll eine Putzaktion auf dem Forckenbeckplatz, dem Grünstreifen der Bänschstraße und dem Schleidenplatz die Anwohner zum Mitmachen einladen. Auch das Büro für Kulturangelegenheiten, das ebenso in der Rigaer Straße 41 residiert, ist ein alter Friedrichshain- Player, der fortan mit von der Partie sein wird. Er war vernetzt mit dem Verein „Anke Øklesund“, der bis die Bauarbeiten losgingen auf dem Gelände der ehemaligen Eckertschen Villa vis à vis in der Nummer 71 – 73 residierte, und wird auch andere offene Orte mit einbeziehen. So gibt es einen großen Raum in der Pablo-Neruda-Bibliothek, der mehr genutzt werden könnte. Ein besonderes Interesse ist der Zukunft des urbanen Raums gewidmet: wie werden die Spielplatze, Grün- und Erholungsanlagen der nahen Zukunft aussehen. Kapazitäten mit großer Erfahrung und der Fähigkeit, viele Interessierte einzubinden, sind also vorhanden. So könnte das Kiezbüro Rigaer Straße 41 Modellprojekt für weitere solcher Büros in anderen Kiezen, eine Schnittstelle für Initiativgruppen, aber vor allem auch ein niedrigschwelliger Anlaufpunkt für Ratsuchende in einem werden, sofern es von den Anwohnern angenommen wird. Und vielleicht ist es gar keine so ferne Utopie, zu hoffen, dass Bau-, Verkehrs-, Miet- und Entwicklungspolitik in den Kiezen bald nicht mehr ohne Kiezbüros gemacht werden kann. Der Zeitzeiger bleibt dran.