Der Boogie-Club in der Berliner Nürnberger Straßein den frühen 1950er Jahre. Quelle:Propagandazeitschrift der FDFJ

Hell und Dunkel

Der Boogie-Club in der Berliner Nürnberger Straße in den frühen 1950er Jahre. Quelle:Propagandazeitschrift der FDFJ
Der Boogie-Club in der Nürnberger Straße war der Treff für alle Berliner Jazz- und Tanzbegeisterten der frühen 1950er Jahre. / Quelle: Propagandazeitschrift der FDJ /

Kleine Geschichten aus der Barnimstraße.

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Wo sich heute die Barnimstraße ausdehnt, wurde einst Wein geerntet und 1660 das Lob des Arztes Elsholz errungen: „Es gibt blanke, rote und sonderbare oder seltene Weinsorten. Hier einer von edeler gelblicher Farbe, dort einer mit großen Trauben und lieblichem Geschmack, und gar der Blankwelsche von frühzeitiger Reife“. 1740 fand der Berliner wie Brandenburger Weinbau ein vorläufiges Ende. Der Winter war so kalt, das die Havel „fast bis zum Mai dick mit Eis bedeckt“ gewesen sein soll, den Menschen nicht nur „die Nasenlöcher zufroren“, sondern auch alle Weinstöcke erfroren.

Schreckliche Folgen

Lange stand das einzige Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße 10. Von 900 Insassinnen kamen 600 aus den Westsektoren. Schlimmes spielte sich hinter diesen Mauern ab. Die 35jährige Hildegard Jiser wurde dort am 16. Dezember 1946 „zur Untersuchungshaft“ eingeliefert. Vorwurf: Kohlendiebstahl, ein häufiges Delikt im kalten Winter 1946 / 47. Im Zustand schwerer Unterernährung, sie wog nur 41 Kilo, wurde die Frau am 19. Dezember vom Frauengefängnis ins Untersuchungsgefängnis Moabit verlegt. Weder hier oder in der Barnimstraße wurde Frau Jiser als „haftunfähig“ eingeschätzt, noch bekam sie Zusatznahrung. Nach Angehörigen wurde sie nicht gefragt. Bis sich ihr Zustand verschlechterte, gab es keine ärztliche Untersuchung. Als sie mit „Bewusstseinstörungen“ zusammenbrach, kam ein Arzt und sah eine bis auf das Gerippe abgemagerte Frau in dürftigen Kleidern. Der Anblick ihrer Arme, Beine und dem Gesicht, erschrecken alle, die Siechende und Sterbende gewohnt waren. Schon vor ihrer Einlieferung in die „Barnimstraße“ war sie in diesem Zustand. Was blieb? Sie wurde einen Raum für die Sterbenden gebracht, wo ihr Tod eintrat.

Sabotageaufrufe 1952 | Quelle: BStU
Kleine Stempel mit Sabotageaufrufen wurden auf Briefkuverts verschickt. / Quelle: BStU /

Freunde

Horst Hertel und Werner Dyballa waren Kumpels und wohnten in der Barnimstraße. Beide um die 20, überstanden sie die Nachkriegszeit wie viele andere ihres Alters mit vielen Tricksereien, und kamen immer mit einem blauen Auge davon. Mal fälschte Horst sein Alter im Personalausweis oder wurde wegen einiger Buntmetalldiebstähle angezeigt. Mit Hans-Ulrich Blaeske, Gerhard Müller und Hans Schulz waren sie die „Barnim-Clique“. „Hansis“ Freundin, war mit „einem aus dem Westen“, bekannt, der Freikarten für „Boogie- Woogie-Turniere“, oder für „Damen-Schlamm-Catchkämpfe“, verschenkte, die im Catcher-Zelt an der Gedächtniskirche veranstaltet wurden. Eines Tages lud er die Clique in seinen Jugendklub ein, der in der Potsdamer Straße war, zu kommen. Im Gruppenraum hing eine amerikanische Flagge. „Der aus dem Westen“, wurde mit „Toska“ angesprochen, sein Stellvertreter mit „Wittka“, die anderen als „Catcher“, „Taubenzüchter“, „Mohrchen“ oder „Feueromme“. Seinem realen Namen nannte keiner. Dieser konspirative „Dunst“ aus Abenteuer übte auf die „Barnim-Clique“ einen großen Reiz aus. „Toska“ wurde schnell deutlich, was sein Ziel war, als er sagte: „Um den Osten zu bekämpfen, muß man Waffen benutzen“. Er verteilte amerikanische Sportgewehre. Zeigte, wie man sie auseinander nimmt, zielt. Später gab er Einführungskurse zu Kampftechniken. „Toska“, über den gemunkelt wurde, er wäre Amerikaner, traf voll den Nerv der Barnim-Clique. Was ihre Mitglieder nicht wußten, „Toska“, gehörte zum „Bund deutscher Jugend“. Der „BdJ“, übte in Hessen Bürgerkriegsaktionen und war in der BRD verboten, nicht aber in Westberlin. Von „Toska“ und „Catcher“ ermuntert, sollten alle „im Osten richtig Putz machen“. Gelegenheit dafür war am Nachmittag des 17. Juni 1953. Die „Barnim-Clique“, stand vor dem Frauengefängnis. Vergeblich versuchten sie, einen Sturm auf das Gebäude zu organisieren. Das klappte nicht. Dafür schlugen sie die Scheiben von einem sowjetischen Buchladen ein und wurden kurz darauf verhaftet. Für die SED-Propaganda waren die fünf eine Hilfe, um von der eigenen Misswirtschaft und deren Fehlplanungen abzulenken. Der Strafprozess sollte beweisen, wie und auf welche Weise westliche Geheimdienste „den friedlichen Aufbau“ der DDR stören würden. Trotz der relativ geringen Sachschäden wurden Müller und Dyballa zu je zehn Jahren, Blaeske zu 12 Jahren, Hertel zu acht Jahren und Schulz zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. In geradezu hysterischer Übertreibung war die politische Atmosphäre Berlins dieser Zeit vom blindwütigen Antikommunismus wie vom stalinistischen Verfolgungswahn geprägt, wobei sich die SED wegen ihrer vielen unpopulären Maßnahmen auf eine eher kleine treue Anhängerschar stützen konnte und deshalb nervös auf jede Kritik reagierte. Beiden Stadthälften gemeinsam waren die massiven wirtschaftlichen Probleme, die sich aus der Teilung der Stadt, den weiträumigen Kriegszerstörungen, wie auch der Kapitalflucht ergaben. Allerorten blühte der Schwarzhandel. Junge Frauen, die sich nur ein paar Nylonstrümpfe im „Westen“ kauften und bei ihrer Rückkehr an der Oberbaumbrücke wegen „Währungsvergehens“ festgenommen wurden, saßen über Wochen „in der Barnimstraße“ ein.

Musiker im Boogie-Club | Quelle: Private Sammlung
Flotte Melodien waren im Boogie-Club zu hören, für SED-Funktionäre klangen sie sehr verdächtig. / Quelle: Private Sammlung /

Noch mehr Freunde

Im Berlin dieser Zeit waren Vertreter von 80 Geheimdiensten aktiv, viele als Mehrfachagenten. Zu diesen staatlichen „Diensten“ kamen 50 von staatlichen oder privaten Geldgebern finanzierte teils obskure Organisationen. Manche leisteten wie der „Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen“ Hilfe für von der SED-Justiz verfolgte Menschen. Andere, wie der „BdJ“ oder die „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ – KgU – hatten nur das Ziel, die DDR zu destabilisieren. Auf das Konto der KgU, zeitweise in Zusammenarbeit mit dem „BdJ“, gingen törichte und Menschen gefährdende Sabotageakte gegen Einrichtungen der DDR. Ähnlich wie die „Barnim- Clique“, wurden junge Menschen, die im oft nur nach einem Ausweg aus einem tristen Leben suchten, zu dilettantischen Obstruktionsaktionen verleitet. Wer dabei erwischt wurde, hatte mit brutalen Gerichtsurteilen zu rechnen oder gar mit dem Todesurteil. Wegen mitunter vermeintlicher „Sabotage“ wurden in den fünfziger Jahren in der DDR über 100 Menschen hingerichtet. Allein 13 von der KgU.

Die
Die “Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit” rief seit Juli 1949 mit dem Buchstaben F für „Freiheit“ zu Aktionen gegen das SED-Regime auf. / Quelle: BARCH; Z Sg. 1-64/26 /

 

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