Kohlen in Friedrichshain.
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Als 1854 in der Koppenstraße 4 und in der Fruchtstraße die ersten großen Kohlenplätze im späteren Friedrichshain angelegt wurden, kam deren Material Steinkohle von hohem Heizwert überwiegend aus England. Dem für die Industriemetropole so wichtigen Brennstoff wurde 1877 eine Operette „Die Kohlenverkäufer“ und eine Posse in drei Akten „Die Kohlenschulz‘n“ gewidmet. Gustav Schulze, der erste Millionär unter den Großhändlern, wurde 1894 durch die Kaiserin persönlich zum Hoflieferanten ernannt.
Davon konnte Gustav Kolwe in der Wühlischstraße 26 nur träumen. Um sich der Konkurrenz der „Wilden“ Händler zu erwehren, die mit ihren Wagen ihre Ware anbietend durch die Straßen zogen, gründete er mit seinen Kollegen am 17. August 1906 die Kohlenhändlervereinigung Lichtenberg. Damals gehörte die Wühlischstraße noch zu diesem Bezirk.
Es gab zahlreiche Kohlegruben, die unter vielen Pressmarken „Salonbriketts“ anboten und zum Ärger von Kolwe und Kollegen einen Markt für Kleinsthändler schufen. Händlervereinigungen setzten eine Marktregulierung durch, die aber im Februar 1914 vom Niederlausitzer Kohlen-Syndikat unterlaufen wurde. Dieses gab seine Produkte an Konsumvereine zu billigeren als den Händlerpreisen frei. Braunkohle wurde seit der Jahrhundertwende geliefert und war für die Händler ein neuer Brennstoff. Die Energiewirtschaft basierte auf Steinkohle, ständig wurden neue Vorkommen erschlossen, deshalb rückte die Braunkohle für den „Hausbrand“ in den Händlerfokus.
Die Lichtenberger Händlervereinigung löste sich infolge der Rohstoffbewirtschaftung des 1. Weltkrieges auf, andere blieben bestehen. Sie verwiesen am 13. November 1916 auf einen massiven Kohlenmangel in Berlin. Zur Linderung verkaufte die Reichsbahn im Februar 1917 vom Kohlenplatz Fruchtstraße und zur Freude der Spekulanten nicht fristgemäß entladene Kohlen ohne Bezugsschein und „ohne Förmlichkeiten“.
Besitzerwechsel
Über 100 Händler gaben in der Wirtschaftskrise 1931/32 auf. Ab 1935 mussten die Kohlenstraßenhändler einen „Stadthausiererschein“ beantragen. Nach dem Tod seines Vaters Gustav übernahm sein Sohn Bruno Kolwe 1935 den Kohlenladen. Da er neben 600 Zentnern Braunkohlebriketts 2.000 Zentner Koks auf Lagerplatz zu halten vermochte, sowie vorschriftsmäßig Holz aufbewahrte, durfte er ein Mitglied im „Verband der Berliner Kohlenhändler“ werden. Verbandsführer war Paul Freudemann, der nach zweieinhalb Jahren Amtszeit am 21. Juni 1935 „freiwillig“ ausschied. Auch bei mehr als 200 Händlern trat nach 1933 ein Besitzerwechsel ein.
Am Schlesischen Bahnhof trafen im Winterhalbjahr 1936/37 21.927 Tonnen Braunkohlen ein und am Osthafen 1.173 Tonnen. Der Anteil von Braunkohle lag bei einem Drittel des Gesamtkohlenverbrauchs von Berlin, und ging zu drei Viertel in die Berliner Haushaltungen.
Teurer Staub
Am 12. April 1949 öffnete Albert Maerten von „Holz- und Kohlen“ in der Stralauer Allee 40/43 einen Brief vom Bezirksamt. Um eine Brandgefahr abzuweisen, möge er seinen „Kohlengrus“ zum Großlagerplatz Bahrfeldstraße 28/32 fahren. Alle Friedrichshainer Kohlenhändler erhielten diese Aufforderung und lieferten – unentgeldlich – ihren Grus. Wegen dieser Aktion entstanden Maerten Außenstände von über 19.000 Mark. Jetzt besaß die „Deutsche Kohlezentrale“ diese „Abfälle“ und lieferte das Material an die Westberliner Firma „Meletex“, die aus dem Steinkohlengrus Eierkohlen mit hohem Heizwert pressen ließ. Ein gutes Geschäft, nicht jedoch für Albert Maerten. Selbst als ihm im Juni 1952 vom „Amt für Wirtschaftsrechtsfragen“ bestätigt wurde, dass „der Kohlengrus zum Eigentum des Kohlenhändlers gehört“, verweigerte ihm die untergeordnete „Deutsche Handelszentrale Kohle“ jedwede Zahlung. Als Maerten 1955 wieder wegen der ausstehenden Summen vorstellig wurde, löste sich das Problem auf unerwartete Weise: Sein Lastzug wurde beschlagnahmt. Der Vorwurf lautete, sein Bruder habe sieben Kubikmeter Buchenholz ohne Genehmigung an einen Kunden in Westberlin geliefert. Es kam zu einer Verhandlung am Landgericht Mitte. Während der Verhandlung wurde Maertens Auto, das vor der Tür stand, gestohlen. In der Verhandlung wurde ihm gesagt, sein Gelände umfasse lediglich Garagen und Büroräume, die restliche Ausrüstung würde „nur noch aus Schrott bestehen“. Wie sein Kollege Kolwe, dessen Geschäft 1952 geschlossen wurde, ging Maerten nach Westberlin.
Blitz mit Stecker
Am 6. Februar 1958 lief eine Gruppe „Junger Pioniere“ durch die Warschauer Straße. Vor einzelnen Geschäften blieben sie stehen und riefen: „Wir sind die Bekämpfer des Wattfraß!“. Darauf gingen sie in das Geschäft und baten den Besitzer „man möchte doch diese und jene Glühlampen abschalten“. Kam der Angesprochene dieser Bitte nicht nach, wurden ihm die Sicherungen herausgedreht. Damit hatte die Gruppe ihr Ziel erreicht und ließ sich von den Ladenbesitzern, die nicht zu widersprechen wagten, durch Unterschrift und Stempel bestätigen, wie viel das Geschäft jetzt an Strom einsparte. Der Zentralrat der FDJ rief im Januar 1958 zum „Blitz kontra Wattfraß“ auf. Der Hintergrund: Kohle wurde für den Aufbau der Schwerindustrie gebraucht und fehlte in den Kraftwerken zur Stromerzeugung. Die Wattfraß-Aktionen sollten mit rigorosen Mitteln zum Stromsparen anregen. Zwei „Chefdetektive“ von der FDJ leiteten mit Hilfe von 30 „Wattfraß-FDJ-Detektiven“ eine Großfahndung im Krankenhaus Friedrichshain nach dem „Wattfraß“ ein. Der Wattfraß, ein schwarzer Teufel mit Gerätestecker als Schwanz und Isolatoren auf dem Kopf gehörte zu den Verschwendern am Volksvermögen der DDR. Pioniergruppen fertigten Plakate und Flugblätter, bildeten Fahrradkolonnen oder Sprechchöre. Sie durften sogar Geräte beschlagnahmen oder stilllegen. Heizlüfter, Tauchsieder, Schaufensterbeleuchtungen, Leuchtreklamen standen auf dem Index. „Innerhalb von drei Tagen wurden in der Hauptstadt 1.546 Tonnen Kohle eingespart“, freute sich die FDJ-Kreisleitung Friedrichshain, „eine Summe, die der Tagesleistung von 200 Hektolitern Bier des VEB Schultheiß entspricht“. Was auch immer das bedeutet.