Festsäle in der Koppenstraße.
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Einst war die Koppenstraße Teil einer verrufenen Gegend. Wer sich mit der Adressenangabe O17 um Arbeit bewarb, hatte es schwer. Doch gerade hier gründete Adolph Hoffmann in der Koppenstraße 6 einen Verlag in dem er 1891 einen Bestseller mit dem Titel: „Die zehn Gebote der besitzenden Klasse“ veröffentlichte. Hoffmann verglich die christlichen Zehn Gebote mit der kapitalistischen Wirklichkeit und der kirchlichen Praxis seiner Zeit. Unter den „Freidenkern“, einer antiklerikalen Bewegung aus Dissidenten aller Art, wurde Hoffmann zum Star. Sein: „Los von der Kirche!“ bedeutete für ihn nicht, sich von Religionen zu lösen, sondern er wollte Staat und Kirche trennen. Für ihn gehörte „die Kirche“ neben dem Adel und dem Militär zu den Unterdrückern der Arbeiter. Nach 1918 war Hoffmann zeitweise Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im Preußischen Landtag. In seinem Sinne wurde an der 18. Volksschule in der Koppenstraße 84 der Religionsunterricht durch das Fach Lebenskunde ersetzt. Anstatt der Prügelstrafe war hier in den 1920er Jahren ein demokratisches Miteinander üblich.
Ärger mit der Jugend
1904 gründeten Lehrlinge und junge Arbeiter den Verein „Arbeiterjugend“, der ihre Interessen vertreten sollte. Ziele und moralische Einstellungen waren sozialdemokratisch. Zur Praxis der „Arbeiterjugend“ gehörten Theaterbesuche in „Louis Kellers Festsälen“ in der Koppenstraße 29. Für sie gab die „Schule moderner Schauspielkunst“ hier am 10. Juni 1914 das Stück „Jugend“ von Max Halbe – und handelte sich damit prompt ein Verbot ein. Das Stück behandelte nämlich die Konventionen zu den damaligen Werten von Ehe und Sexualität sehr kritisch. Max Halbes Werk war laut Theaterpolizei ein „vom Pulsschlag jugendfrischen Daseins zweier Menschenkinder durchlebtes Lebensdrama, von dem die jugendlichen Zuschauer sich als Alters- und Leidensgenossen des von seinem Triebleben gequälten in seinen Entschlüssen hin- und her geworfenen Haupthelden fühlen“ und „von dem über das Paar herein brechenden Sinnenrausches weit mehr als erwachsene Personen in Mitleidenschaft gezogen werden.“
Vorträge aller Art
In den Bann gezogen fühlten sich Hunderte Frauen von den Reden der Frauenrechtlerin Clara Zetkin, die im Oktober 1904 in Louis Kellers Festsäle sprach.
Ein sozialdemokratischer „Ingenieur Grempe“ zeigte sich am 29. März 1906 in den Festsälen in einem Lichtbildervortrag von den „Freiheitskämpfen in Russland“ begeistert“.
Einer anderen Klientel gehörte der Sparverein „Vereinte Kraft“ an. Zur solidarischen Hilfe gegen Behördenwillkür und Ausgrenzung gründeten Kriminelle in den 1890er Jahren derartige Vereine. Nach außen gab man sich bürgerlich, wie am 29. März 1908, als stimmkräftige Mitglieder zusammen mit Männerchören wie „Liederlust“ und „Eintracht“ im Rahmen eines Instrumental- und Vokalkonzertes in Kellers Festsälen auftraten.
Alhambra in Nöten
Die 1894 eröffneten Festsäle vom Louis Keller waren Restaurations- und Veranstaltungsräume mit Kegelbahn und Billardzimmer. Die Festsäle gehörten zu einem Gewerbehof, der tiefengestaffelt von der Koppenstraße 29 bis zur Fruchtstraße 61 reichte.
„Nur vor geladenem Publikum“ durfte am 7. Dezember 1906 Max Halbes „Jugend“ aufgeführt werden. Der Astronom Archenhold hielt am 4. März 1908 seinen ersten Lichtbildervortrag zum Werden und Vergehen im Weltraum.
Das Hauptgeschäft der Festsäle bildeten aber „Humoristische Soireen“ des zeitgenössischen Chansonisten Otto Steidl oder „Schnurren“ wie „Das Schwert des Diamokles“. Paul Linkes „Lass den Kopf nicht hängen“ war hier häufig zu hören, wie „Die Erbin von Siegenstein“, ein Ritterspiel in fünf Aufzügen, zu sehen war. Nach den Veranstaltungen standen Tanzabende auf dem Programm. 1912 begannen die Umbauten zu einem Kino mit über 900 Sitzplätzen. Oft wechselten die Besitzer. Das Kino firmierte mal als „Filmpalast“ oder „Kellers Filmpalast Koppenstraße“, aber meistens als „Alhambra.“ Die Anzahl der Sitzplätze erhöhte sich bis auf über 1.100 in den zwanziger Jahren. Das „Alhambra“ war 1931 schwach besucht. Ein Glasbaldachin mit Lichtreklame über beiden Eingängen sollte mehr Besucher anlocken. Weil dieser Umbau zu weit in die Koppenstraße hinein ragte, lehnte die Bauaufsicht das ab.
Ähnliches erfuhr im März 1922 die „Bernd Schimmel & Co. Landesprodukte, Kolonialwaren Engros“ aus der Koppenstraße 29 wegen einer Kaffeeröstmaschine. Deren Hitzeentwicklung kollidierte mit der Vorschrift, dass zm Heizen nur Öfen im Gebäude stehen durften. Dank geschickter Verhandlungen mit der Bauaufsicht erzielte die Vermieterin des Gewerbehofes, die 1910 gegründete „Industriestätte Fruchtstraße Aktiengesellschaft“, in diesen und anderen Fällen Kompromisserfolge. Die Aktiengesellschaft war eine Gründung von fünf Töchtern des einstigen Gewerbehofeigners Meyer Max Wygodzinski. Die Gründerinnen verloren infolge der Inflation ihr ganzes Kapital. Bei schwachen Mieteinnahmen kämpften sie um jeden Mieter. Wegen der Wirtschaftskrise von 1929 und der Diskriminierung jüdischer Unternehmer nach 1933 verlor die „Industriestätte“ zahlreiche Gewerbetreibende. Es fanden sich nur wenige neue Unternehmen, die in diesem großen Gebäudekomplex arbeiten wollten. 1936 wurde die Aktiengesellschaft aufgelöst.
Am 23. Februar 1944 gegen 18 Uhr 58 brannte das „Alhambra“ nach einem Bombenangriff aus. Verschläge, Balken, die Decke und der Fußboden gingen in Flammen auf. Das Feuer griff auf weite Teile des Gewerbehofes über, bis nur noch Schutt und verbogene Eisenträger übrig blieben. Trümmer und Schutt bestimmten das Bild der Koppenstraße in den ersten Nachkriegsjahren. Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen, als im Februar 1952 die „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ eine Patenschaft für den Bau eines Hauses „unter Anwendung sowjetischer Arbeitsmethoden“ an der Stalinallee / Ecke Koppenstraße übernahm. Die alten Straßenzüge wurden weitgehend verändert. Heute stehen auf dem Grund der traditionsreichen Festsäle des Louis Keller Neubauten der 1970er Jahre.