Zwei Episoden aus der Zeit des Kriegsendes in Friedrichshain.
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Es müssen schreckliche Tage der verzweifelt quälenden Ungewissheit gewesen sein, heute überhaupt nicht mehr vorstellbar. Die furchtbaren Luftangriffe im Februar und März 1945 hatten einen großen Teil des Nordwestes Kreuzbergs und des südwestlichen Friedrichshains zerstört, weite Teile der Frankfurter Allee lagen in Trümmern. Vielen Menschen hatten die Bombardements das Leben gekostet, Nachbarn, Kollegen, Verwandte, Freunde, Bekannte. Aber auch Menschen, mit denen man weiter nichts am Hut hatte oder die man nicht leiden konnte, zählten zu den Opfern. Die deutsche Zivilbevölkerung erlitt nun die Irrationalität des verbrecherischen Krieges, der vom nationalsozialistischen Deutschland ausgegangen war. Noch einmal gab es am 10. und 17. April Luftangriffe auf Berlin – und dann nicht mehr. Unterdessen arbeitete die deutsche Kriegsmaschinerie weiter, appellierte die NS-Propaganda an das Durchhaltevermögen, wies auf den Endsieg. Letzte Reserven wurden mobilisiert, Gräben ausgehoben, der „Volkssturm“ mobilisiert. Das waren Kampfverbände aus Jugendlichen, Invaliden und Rentnern, die sich glücklich schätzen konnten, wenn sie nicht mit der routiniert vorgehenden und technisch bestens ausgestatteten Roten Armee in Berührung kamen. Viele Häuser wurden dann noch in den Kämpfen zerstört oder schwer beschädigt. Die Frankfurter Allee sah stellenweise wie eine Sandwüste aus, aus der vereinzelt steinerne Felsen ragten.
Erste antifaschistische Aktion – verboten.
Die allermeisten Menschen in Friedrichshain erlebten die Befreiung von der NS-Diktatur in den Kellern, im Zwiespalt aus Angst vor den Soldaten des Landes, das von Deutschland angegriffen worden war und Hoffnung, dass aller Kriegsschrecken endlich ein Ende haben würde. Ende April wurde der Süden und Osten Friedrichshains von der Roten Armee besetzt. Im Schreinerhof an der Ecke Schreiner- und Voigtstraße im heutigen Nordkiez wurde die erste Zivilverwaltung eingrichtet, das erste Rathaus, wenn man so will. Man versuchte, erste Schritte zum Aufbau zu unternehmen, während einige Kilometer weiter noch geschossen wurde. Dabei wurden auch Nazigegner aktiv, die in den letzte Jahren still gehalten hatten. Vormalige Parteizugehörigkeit spielte keine Rolle. Am ersten Mai 1945 wollten sie eine Manifestation im Schreinerhof abhalten, doch die Sowjets schickten die Leute nach Hause. Schließlich herrschte noch Krieg. Wer weiß, vielleicht hätte der Wortlaut der geplanten Manifestation später in jedem DDR-Geschichtsbuch gestanden: das früheste Dokument der Befreiung! Aber Geschichte verläuft eben nach eigenen Gesetzen.
Stummer Zeuge der Geschichte
Ein Zeugnis aus dem Krieg ist erst unlängst dem Museum Lichtenberg übergeben worden. Es ist ein Aluminiumlöffel, der einst einem unbekannten Kriegsgefangenen gehört hat und der mit einer Geschichte aus dem Berliner Kriegsalltag in Verbindung steht. Überlassen hat den Löffel eine weit über achtzig Jahre alte Lichtenbergerin, die 1945 in der Boxhagener wohnte und das Kriegsende mit elf Jahren erlebte. Ihre Erinnerungen an diese Tage hat sie aufgeschrieben:
Die Geschichte eines Löffels
Am 23. / 24.4. wurde unser Haus Kommandantur und wir mussten in der Nacht das Haus verlassen. Wir waren ein keines Trüppchen von drei alten Ehepaaren, meinen Eltern und ich, 11 Jahre. Wir zogen in Richtung Friedrichsfelde und kamen in die Nähe des Magerviehhofs, welcher ein Gefangenenlager gewesen war. Man sagte uns, dort gäbe es Unterkunft. Wir neun Leutchen fanden in einem kleinen Raum Bleibe und verbrachten die Zeit bis Anfang Mai hier. Es waren bis zu 200-300 Menschen dort. Zum Glück waren noch zwei Schlächter unter den Menschen, die zwei verbliebene Kühe schlachteten und mit Kartoffeln und Gemüse zweimal am Tag eine Mahlzeit kochten. Die untergebrachten Leute hatten kein Essen dabei und waren froh darüber. Anfangs Mai gingen wir wieder nach Hause. Die Kommandantur wurde gerade aufgelöst und wir waren froh, denn einige Häuser waren durch Beschuss kaputt. Als wir unsere Habseligkeiten auspackten, war der Löffel dabei. Meine Mutter sagte, den behalten wir als Erinnerung an die Zeiten. Edith T., ehemals Boxhagener Straße 28. Diesen Löffel hat Frau F. in all den Jahren bei sich behalten und bei jedem Umzug mitgenommen. Erst als sie ins Altersheim zog, trennte sie sich von ihm. Aluminiumbestecke wurden mangels Rohstoffe schon während der NS-Diktatur im Deutsches Reich hergestellt. Auffällig an dem Löffel ist, dass er sehr stark abgenutzt ist und Gravuren von mehreren Personen trägt, die den Löffel möglicherweise hintereinander besessen hatten. Sie müssen sehr viel Zeit dafür aufgewendet haben und waren offenbar lange Zeit tatenlos, so wie es vielen Gefangenen erging. Von diesen Vorbesitzern wissen wir nichts: weder ihr Alter, noch ihre Herkunft und auch nicht ihr Schicksal. Damit erinnert das Stück nicht nur an den Aufenthalt der deutschen Familien im Friedrichsfelder Magerviehhof während des Kriegsendes, sondern auch an unbekannte Opfer der NS-Diktatur. Das Museum Lichtenberg hat seit September geschlossen und richtet eine neue Dauerausstellung ein. Ob diese Neuanschaffung dann auch zu sehen sein wird, steht noch nicht fest.