Heute ist der einstige „Musterblock“ein Sanierungsfall. Foto: Giovanni Lo Curto

Anka und die Angsteisen

Heute ist der einstige „Musterblock“ein Sanierungsfall. Foto: Giovanni Lo Curto
2017 ist der einstige „Musterblock“ein Sanierungsfall.
/ Foto: Giovanni Lo Curto /

Serie mit Erker

Im Beisein lokaler Honoratioren grub sich am 1. Juni 1956 ein Bagger an der Lange- Ecke Koppenstraße in den mit Trümmerschutt durchsetzten Boden. Dies waren Vorbereitungen zum Bau zweier fünfgeschossiger Wohnblocks mit 135 Zwei- und Dreizimmerwohnungen. Laut offizieller Worte und unter der kompletten Verwendung von 750 kg schweren Großblöcken sollte hier der „Beginn des industriellen Bauens“ im Süden der Stalinallee eingeleitet werden. Für jede Wohnungseinheit wurden etwa 90 Großblöcke und andere Fertigteile vorgesehen. Bis dahin wussten die Baustatiker die bei der Großblockbauweise auftretenden Kräfte nur schwer einzuschätzen, denn diese Teile waren immer nur für die oberen zwei Stockwerke genutzt worden. Um die Statik zu sichern, baute man als experimentelle Lösung „Angsteisen“ ein, die einzelne Blöcke miteinander verbanden. Weil die Blöcke auf Lastwagen angeliefert und sofort mit Kränen zur direkten Montage gehoben wurden, hieß es Abschied nehmen vom alten Prinzip „ein Stein ein Kalk“, bei dem sich die Maurer wegen jedem Ziegelstein bücken mussten. Das Betonwerk Grünau lieferte Deckenelemente, jedoch mit Längendifferenzen von etlichen Zentimetern, und vor Ort fehlten brauchbare Transportkarren, um die Zusatzstoffe zu bewegen. Für den Innenausbau wurden weitere vorgefertigte Teile verwendet, doch immer wieder kam es hier zu Unstimmigkeiten. Eine am 1. Januar 1957 gegründete „Forschungs- und Entwicklungsstelle für die Industrialisierung der Ausbaugewerke“ sollte es künftig richten. Über ein informatives öffentliches „Baustellenkabinett“ an der Koppenstraße kam heraus, das die geplanten Zimmergrößen von 12 Quadratmeter viel zu klein waren. Jetzt sollten alle Zimmer 14 bis 19 Quadratmeter haben, und jede Wohnung eine 1,50 m tiefe Loggia oder ein breites „französisches Fenster“ erhalten. Die Loggien dienten der Gewichtsumverteilung der Konstruktion und als Erweiterung der dahinter liegenden schmalen Küchen. Am 8. Dezember wurde anlässlich des Richtfestes an der „Großblockbaustelle Lange Straße“ zur neuen rationellen Bauweise gesagt: „Hier wird nach bedeutend moderneren Gesichtspunkten als in der Stalinallee projektiert. Anstatt einer Maurerbrigade von 20 Mann arbeiten hier zwei Maurer, die die Blöcke versetzen. Zwei Arbeiter, die Fugen verschmieren, sowie ein Kranführer und der Anbinder. Mit einem Aufwand von 19.500 DM für eine Zweiraumwohnung liegen hier die Kosten unter der staatlichen Vorgabe von 22.000 DM“. Anlässlich des Besuchs einer Parteidelegation auf der Baustelle am 6. März 1958 betonte Oberbürgermeister Friedrich Ebert: „Dieser Wohnungstyp mit Durchlauferhitzer, Einbauküchen und Wandschränken entspricht der ökonomischen Entwicklung und dem Bedarf unserer Bevölkerung“. Ende 1958 bezogen ausgewählte Mieter die ersten Wohnungen. Heute liegt der Musterbau künftiger Fertigteilsiedlungen im Schatten des Novum Select Hotels.

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