Michael Prügel, Inhaber des Meisterbetriebs Kamera Service Ostkreuz.
Von
Die Rheinmetall-Exa meines Vaters aus den Endfünfziger Jahren begleitete meine Geschwister und mich durch unsere Kindheit: Familienausflüge, Urlaube und Familienfeiern, immer wurde fotografiert. Noch heute erinnert mich der Geruch des alten Lederetuis an diese Zeit. Schwierig war es, die richtige Kameraposition durch den Blick auf das seitenverkehrte Bild im Lichtschacht auszubalancieren und zugleich das Einstellen von Blende, Belichtungszeit und Bildschärfe zu beherrschen. Ein Bild wurde nicht einfach so „geknipst“. Auch Lichteinfall und die Erfassung des Objekts im Raum oder im Gelände mussten beherrscht werden. Genau diese Mischung aus Erinnerungen, dem Zauber der Technik, die gemeistert werden muss und die eigenartige Ästhetik von Papierfotos führen gegenwärtig dazu, dass sich vor allem junge Menschen der Analogfotografie wieder verstärkt zuwenden.
Ich bin mit Michael Prügel verabredet, der in der Neuen Bahnhofstraße am Ostkreuz einen Kamera-Service betreibt. Der sympathische, eher mittelgroße Mittfünfziger mit Metallbrille und kurzem Haar bittet mich nach hinten in die Werkstatt. Die Regale sind vollgestellt mit Prüfgeräten und Kameras, die auf die Reparatur warten, an der Wand steht ein alter Holzschrank mit lauter kleinen quadratischen Schubfächern voller Ersatzteile. Auch auf dem langen Werktisch liegen Kameras, Bauteile und Werkzeug.
Mehr als 50 Jahre Tradition
Es ist eine ganz normale Berliner Hinterhofwerkstatt, die so normal schon längst nicht mehr ist, zumal in einer Gegend, in der vor allem Gastronomie Konjunktur hat. Reparaturwerkstätten für digitale und analoge Kameras sind in Berlin selten geworden. „Ich bin so was wie der letzte Mohikaner“, sagt Michael Prügel und zeigt auf das Regal mit den Kundenkameras. Der Bedarf ist gerade in den letzten Jahren durch den Aufschwung der Analogtechnik gestiegen. „Bei mir dauert die Wartzeiten bis zu sechs Wochen.“
„Mein Vater hat die Werkstatt 1964 gegründet. Ich bin oft hier gewesen und habe schon als Junge Objektive repariert.“ Das entsprach auch seinem Hobby. „Ich habe immer gern was auseinander genommen.“ Nach der Mechaniker-Lehre fing Michael Prügel bei seinem Vater in der Werkstatt an. Das war 1978 und ist nun ganze vierzig Jahre her. Dann hat er natürlich immer mehr hinzugelernt. Die Arbeit in der familiären Umgebung war angenehm, besser als in einem Betrieb. „Da war es nicht so schlimm, wenn man mal länger schlief“, ergänzt Michael Prügel lächelnd.
Damals wurde noch viel mehr repariert. Selbst günstige Spiegelreflexkameras kosteten mehrere hundert Mark, und die Menschen besaßen nicht so viel Geld wie heute. Damals arbeiteten neben Michael Prügel und seinem Vater auch noch sein Onkel und sein Bruder hier. Im Laden bediente zusätzlich eine Annahmekraft. „Wir waren Vertragspartner von Pentacon in Dresden“, erläutert der Kamerafachmann. Das war der wichtigste Kamera-Hersteller in der DDR. „Zu uns kamen auch fest angestellte professionelle Fotografen von Zeitschriften oder vom Tierpark und ließen hier ihre Technik warten.“ Diese Profis fotografierten gern mit Praktisix, einer Mittelformat-Kamera von Pentacon mit einem Schnellschalthebel, der eine schnellere Bildfolge gestattete. Diese Kameras waren allerdings etwas anfällig.
Manche arbeiteten auch schon mit Westtechnik, die ebenfalls hier repariert wurde. „Das hat uns ein wenig den Start nach der Wende erleichtert, dass wir uns auch in der Technik ausländischer Kameras auskannten.“
Neue Herausforderungen
Ansonsten war der Sprung in die Marktwirtschaft zunächst alles andere als rosig. „Die Menschen haben in den ersten Jahren der DDR-Technik nicht mehr getraut und sich billige Kompaktkameras aus dem Westen gekauft. Erst später erinnerten sich einige, dass man mit DDR-Kameras auch gute Bilder machen konnte.“ Es war ein Glücksfall, dass der Vater von Michael Prügel anlässlich einer Photokina, der großen Fotomesse, einen Service-Vertrag mit einem Betreiber von Dia-Projektoren abschließen konnte. „Zur rechten Zeit am rechten Ort“, kommentiert der Fachmann lobend. Auch heute noch werden hier Dia-Projektoren repariert. Werden Dias noch benutzt? „Es gibt eine Menge Leute, die viele Dias gemacht haben und sich diese gern ansehen wollen. Ähnlich ist es bei Schmalfilmern, die ihre Filme digitalisieren wollen.“ Auch die Schmalfilmtechnik beherrscht der Meister. Früher wurden im Geschäft auch Bilder entwickelt. Aber das erwies sich irgendwann als zu aufwändig. Allmählich ging es wieder aufwärts. 2001 übernahm Michael Prügel das Geschäft. „Damals hatte ich täglich und den ganzen Tag geöffnet“, berichtet er. „Das geht jetzt gar nicht mehr, weil ich so viel reparieren muss.“
Kiezladen und Global Player
Wer sind denn die Kunden? „Junge Leute zum Beispiel, die eine Kamera vom Opa geerbt haben und erst mal einen Film durchschießen wollen.“ Für manche ist das ein Einstieg in die Fotografie. Was wäre denn eine gute Kamera zum Anfangen, will ich wissen. Der Experte rät: eine einfache Spiegelreflexkamera wie Praktica, oder auch eine von Nikon, Pentax oder Olympus. „Exoten wie Voigtländer würde ich noch nicht empfehlen.“ Zu den Kunden gehören natürlich auch Fotografen, die schon früher hier betreut wurden. „Manche kommen auch einfach nur vorbei, um zu sehen, wie es mir geht.“ Und es sind einige mit prominenten Namen vertreten.
Manche Berufsfotografen sind zur analogen Fotografie zurückgekehrt, gerade in der Schwarzweiß-Fotografie. Digitale Schwarzweiß-Bilder werden oft als zu scharf empfunden. „Ein Schwarzweiß-Bild erzählt, eine Farbfotografie ist einfach nur bunt“, erläutert Michael Prügel und lacht. „Ich habe sogar einmal eine Sendung aus Neuseeland bekommen.“ Offenbar gibt es dort keinen Kamera-Service. „Und einmal meldete sich auch jemand aus den Paramount-Studio in Florida, weil da irgendjemand meine Adresse kannte.“
Nicht nur alle hochwertigen Kameratypen, wie seine Lieblingskameras Leica und Hasselblad repariert der Meister. Gefragt ist auch seine reiche Erfahrung mit Pentacon-Produkten, die offenbar noch weit verbreitet sind.
Alltag und Berufsehre
Wie in allen Reparaturberufen gibt es Apparate, über die man sich ärgert, weil sie einfach nicht funktionieren wollen. „Die will man am liebsten wegwerfen“, kommentiert Michael Prügel. Aber als Reparateur hat man seinen Ehrgeiz. Das Gerät wird dann beiseite gelegt. Nach zwei oder drei Tagen schaut man noch mal drauf und dann geht die Reparatur meistens problemlos und schnell vonstatten.
Kommt es vor, dass er Aufträge zurückgeben muss? „Manche Optiken sind so fest, dass man sie gar nicht mehr auseinander schrauben kann. Das muss man dann den Kunden erklären und die sehen das dann auch ein.“ Es kommt auch vor, dass Aufträge gar nicht erst angenommen werden, weil sich die Reparatur nicht lohnt. Bei den neueren Kameras sind vor allem die Sensoren zu reinigen, die anstelle des früheren Films die Lichtinformationen speichern und verarbeiten. Repariert wird bei dem hohen Aufkommen von Plastik-Teilen in neuen Kameras kaum etwas, eher werden Bauteile ersetzt. Ersatzteile sind im Großen und Ganzen erhältlich. Viele Hersteller liefern auf Anfrage, manche jedoch wollen, dass ihre Produkte ausschließlich in ihre Werkstätten eingeschickt werden und liefern nichts, „nicht einmal eine Schraube!“
„Analogfotografie wird es immer parallel zur Digitalfotografie geben“, erläutert Michael Prügel. „Trotz E-Book-Reader gibt auch immer noch Bücher und Zeitungen.“ Fotografiert er selbst auch? „Wie jeder andere mit dem Handy. Das geht am Einfachsten.“ Allerdings stellt sich heraus, dass er durchaus experimentierfreudig ist, als er später berichtet, mit einer Analogkamera und Schwarzweiß-Filmen in den Urlaub gefahren zu sein. Erst wurde er deswegen belächelt, doch: „meine Urlaubsbilder waren die Besten von allen“, resümiert er stolz.
Die Gegend um das Ostkreuz hat sich sehr verändert. „Früher war hier tote Hose“, kommentiert Michael Prügel. Es gab ein paar Hinterhofwerkstätten für Rundfunk- und Fernsehgeräte, einen Fleischer und eine Kneipe. Die Mieten sind gestiegen und es gibt kaum Parkplätze. Der Ladeninhaber kommt aus Köpenick mit der S-Bahn. „Wohnen möchte ich hier nicht. Aber für junge Leute ist es eine interessante Gegend.“
Man sieht es ihm an, dass er sich eine Arbeitswelt geschaffen hat, die für alle, sowohl für den Meister, als auch für die Kunden gut ist. – Keine Selbstverständlichkeit heutzutage. „Was mich manchmal stört ist, wenn das Wetter draußen so schön ist wie heute und ich in der Werkstatt arbeiten muss“, kommentiert er beiläufig. Möge dieser Mangel für Michael Prügel die einzige Unpässlichkeit sein und in Zukunft bleiben, mit der er zu tun hat.