In Stralau sollte das Olympische Dorf enstehen,, Foto: Silvio Weiß

Betongold statt Olympia-Medaillen

Metamorphosen in Stralau.

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Ronald Reagan brachte 1987 die Idee ins Gespräch, ein gemeinsames Olympia in Ost- und West-Berlin könnte helfen, die Mauer zu überwinden. 1987 regierte Eberhard Diepgen mit der CDU und 1989 Walter Momper mit Rot-Grün. Gemeinsam war man sich einig, „Olympia soll nach Berlin!“ – und wurde im August 1989 aktiv in Sachen Bewerbung. Nur, als man im September 1989 Westberliner fragte was sie von Olympischen Spielen in Berlin im Jahr 2000 halten würden, kam zur Antwort: Wenig bis gar nichts!

Auf die Plätze…

Trabi zur geplanten Olympiade, Foro: Anke Wagner
Geriet dann doch ins Stottern: der Olympische Trabi-Motor. Ist ja auch kein Wunder, war doch das Motto des Trabant stets: „Überholen ohne einzuholen“. Oder verwechseln wir da etwas? / Foto: Anke Wagner /

Das Nationale Olympische Komitee der DDR stimmte am 8. Januar 1990 der Idee zu und das Abgeordnetenhaus am 25. Oktober 1990. Eine Olympia GmbH entwarf den Slogan: „Auf die Plätze, fertig: los!“ Im Gegenzug forderte ein „Anti-Olympia-Komitee“: „Los, zurück auf die Plätze und fertig!“ Die Gründe für den Protest waren vielfältig. Viel Geld ging an die IOC-Gäste, die auf Besuch in Berlin waren. Diese Gäste bekamen Ärger mit ihren Sponsoren, weil sie  bis zu zwei Millionen Mark für Werberechte in Berlin zahlen sollten, wohingegen auf Seite der Olympia AG Firmen kostenlos mit dem olympischen Symbol werben durften. Das empfanden die IOC-Manager als „respektlos“.
Verächtlich fanden viele Berliner die Planung für einen 250 Millionen Mark teuren, nur für Funktionäre, Reporter und Sportler reservierten „Olympia-Express“. Nach Olympia sollte diese Linie abgerissen werden, während die Stadt unter der überalterten Nahverkehrsinfrastrukur litt. Im September 1992 lehnten die Berliner mehrheitlich die Olympia-Pläne ab.
Nervös ließ der Senat am 5. April 1993 ein besetztes Haus in der Schreinerstraße 47 von 200 Polizisten stürmen, an dessen Front das Plakat „Olympia angreifen“ hing. Neben verbalen Protesten und Demonstrationen war es zu Anschlägen vermeintlicher Olympiagegner mit hohem Sachschaden gekommen. Um sich davon abzugrenzen, startete am 14. September 1993 in der Kreutzigerstraße ein „Antiolympisches Straßenfest“.

„Grüne Grachten“ auf Stralau

Wegen der Nähe zum Ostkreuz schien Stralau als Standort für das Olympische Dorf geeignet. Der Architekt Herman Hertzberger wollte es als ein Raster „Grüner Grachten“ über die Halbinsel bis auf den See spannen. Die Hälfte der Halbinselfläche lag im Eigentum des Landes, des Bundes oder der Treuhand.  Aber auf der Halbinsel befand sich eine Industriebrache, Böden und See waren schwer kontaminiert.

Entwurf für das olympische Dorf auf Alt Stralau. Quelle FHXB Museum
Der Architekt Herman Hertzberger wollte ein Raster „Grüner Grachten“ über die Halbinsel bis auf den See spannen.

Um diese Probleme zu lösen, gründeten am 18. Februar 1992  Investoren der Concordia Bau und Boden AG, der VEBA AG, der Landesbank Berlin neben Behördenvertretern die „Entwicklungsgesellschaft Rummelsburger Bucht“. Monate später war „Olympia“ für die Planer Geschichte. 1.000 Anwesende schauten am 23. September 1993 auf eine Video­wand an der Oberbaumbrücke, als um 20.15 Uhr verkündet wurde: „The Winner is Sidney!“

Für teures Geld wird in Alt-Stralau Freie Sicht gewährt, Quelle:FHXB-Museum
Für teures Geld wird Freie Sicht gewährt
/ Quelle: FHXB-Museum /

Ein anderes gutes Geschäft

Fünf Büros definierten für das „Dorf Stralau“ eine „städtische Landschaft“ mit der Wasserlage als zentrales Merkmal. Betont von einem durchgängigen Uferweg als Ausdruck landschaftlicher Offenheit, sollten wegen der „urbanen Dichte“ neun separate Quartiere angeschlossen werden. Für ein „Autoarmes Wohnen“ wurden Fuß- und Fahrradwege in alle Himmelsrichtungen angedacht. Bus und Straßenbahn sollten den Individualverkehr ersetzen.
Im Auftrag der „Concordia Bau und Boden“ und unter der Leitung von Hermann Hertzberger startete im Herbst 1995 das erste Bauprojekt. Geplant war, 80 % der Baukosten vom Senat über die Wohnbauförderung zu finanzieren. 1994 fiel dieser Anteil aus Geldmangel auf 30 %. Entsprechend entfielen die sozialen Auflagen. Investoren wurden wach bei 450.000  Mark für 70 m² im Eigentum. Kreditbanken sahen ein gutes Geschäft.

Wohnen am Wasser

1997 war die Haushaltslage des Landes sehr angespannt und ein Jahr später wurde über einen kompletten Ausstieg aus der „Wasserstadt“, wie das Entwicklungsprojekt Stralau jetzt hieß, nachgedacht. Landeseigene Liegenschaften kostengünstig den Investoren zu überlassen, war seinerzeit kein Thema.
Die „Wasserstadt Stralau“ sollte eine Etappe zur „Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten“ bleiben. Aber die Risiken, das Gelände vollständig baulich zu entwickeln, waren viel zu hoch. Das Entwicklungsprojekt Stralau endete 2006.
Die Kosten für Deindustrialisierung und Wohnerschließung von Stralau beliefen sich auf  weit über 100 Millionen Euro. Als Verlust wurde diese Summe nicht angesehen, sondern als Investition in die Zukunft. Die Tür zum sich über den Markt steuernden „Wohnen am Wasser“ war damit geöffnet.

In Stralau sollte das Olympische Dorf enstehen,, Foto: Silvio Weiß
2015: Alt neben neu. Wo einst das Olympische Dorf geplant war, wachsen graue Würfel in den Himmel. Derzeit sind auch die letzten verbliebenen Gebäude der alten Glasfabrik eingerüstet. / Foto: Silvio Weiß /

Schatzinsel für Makler

Von der Werbung als „Wiederentdeckung urbaner Wasser­lagen“ gerühmt, von Maklern als „Schatzinsel“ gesehen, gerät Stralau zu einer der teuersten Wohngegenden Berlins. Bis auf 200 Wohnungen, die rund um die ehemalige Flaschenfabrik gebaut werden, ist das neue Quartier fast fertig. Doch nicht ohne Probleme. An warmen Sonnentagen tritt Altöl aus dem Seeboden und steigt übelriechend mit dem Wasser nach oben. Unangenehm für  Eigentümer, die hier ihr Heim suchen. Unweit davon liegt das Wrack der „Freibeuter“ am Ufer. Ursprünglich war es Ausstellungsort während der Expo 2000, dann ein kleines Café, seit 2003 für Theater- und Filmvorführungen genutzt. Zu den Angeboten für Kinder gehörten die Hausaufgabenhilfe genauso wie Partys für die Älteren. Dann ging der Förderverein pleite. Eine sinngemäße Nachnutzung scheiterte an den Kosten für den Lärmschutz gegenüber den Nachbarn. Seit 2013 rottet das Schiff vor sich hin.
Jugendliche mit ihren Bedürfnissen stören das Bild auf der „Schatzinsel“. Andererseits weht viel Lärm von Party­booten auf der Spree herüber. Außer einem türkischen Café gibt es auf Stralau kaum soziale Treffpunkt, auch keine Möglichkeiten einzukaufen. Der dichte Anwohnerverkehr läuft praktisch nur über eine enge Straße. Die meisten der Wohnpioniere auf der Halbinsel genießen einen freien Blick über die Spree. Für die heutigen neuen Nachbarn wird angesichts der Bebauungsdichte keine „Städtische Landschaft“ sichtbar, sondern der Blick verweilt im  zwar schicken, aber immerhin doch Hinterhof. Unter diesem Gewicht scheint die „Schatzinsel“ zu versinken.

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