Rallyes in Friedrichshain.
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Autorennen in Friedrichshain? Ja, klar, wird jeder sagen, der zu gewissen Zeiten an der Karl-Marx-Allee steht. Abgesehen von gegenwärtigen PS- und Lautstärkenprotzereien, gaben sich aber auch Rallye-Piloten aus ganz Europa hier ein Stelldichein. Angemessenes Tempo und Geschicklichkeit standen dabei im Mittelpunkt. Die „Pneumant-Rallyes“ waren der Anlass. Die erste „Pneumant-Rallye“, startete am Reifenwerk in Schmöckwitz. Das Reifenwerk war der Sponsor. Ursprünglich mit der Reparatur und Regeneration von Autoreifen beschäftigt, stieg der Gründer des Reifenwerks, Georg Müller, 1947 in die Neuproduktion von Autoreifen ein. 1953 dem Gründer enteignet, zum VEB gewandelt und dem Reifenkombinat Fürstenwalde zugeordnet, gab das Reifenwerk, jetzt unter der Marke Pneumant, in der Folge fast 1.000 Menschen Arbeit. Ein „Neues System in Planung und Ökonomie“, sollte vom Ende der fünfziger Jahre bis zur Mitte der sechziger Jahre frischen Wind in die Planwirtschaft bringen und sogar Werbung ermöglichen. „Auto-Rallyes, die quer durch die Republik führen und damit die Zuverlässigkeit von Reifen, Motoren usw. beweisen, sind überzeugender als alle Werbesprüche“, dachte man im Pneumant-Werk und rief gemeinsam mit dem Allgemeinen Deutschen Motorsport-Verband (ADMV), die „Pneumant-Rallye“ ins Leben. 77 Fahrzeuge in sieben Klassen gingen an 8. Juli 1961 auf große Fahrt. Noch trennte keine Mauer die Stadt Berlin, so gingen neben Teams auf Trabanten, Wartburg, Skoda, Moskwitsch, auch „Piloten“ im Mercedes, Volkswagen, Borgward und Alfa Romeo an den Start. Zwar endete die Rallye wieder am Reifenwerk, die Siegerehrung und Preisverteilung geschah immerhin im Saalbau Friedrichshain.
Slalom auf der Stralauer Straße
1963 wurde die Rallye nicht weit abseits, sondern auf der Karl-Marx-Allee gestartet. Der Motorsport war populärer geworden. 1962 wuchs der Berliner Verband des ADMV um 500 Mitglieder, die in 21 Motorsportklubs organisiert waren. Etliche, wie der Motorsportklub Weißensee, richteten Werkstätten für Selbstreparaturen ein. Um auch PS-schwächeren Teilnehmern der Rallye eine Chance zu geben, bildeten die Sonderprüfungen einen Schwerpunkt. Zu den wichtigsten gehörte der „Berlin-Slalom“. Auf 400 m Länge standen auf der Karl-Marx-Allee oder auf der Stralauer Straße 19 Hindernisse aus Flaschen, Kisten oder Blech-Tonnen. Jede berührte Markierung kostete zwei und das Auslassen einer Slalom-Markierung zehn Strafsekunden. Das gesamte Reglement war streng. Gefordert war die genaue Einhaltung der Straßenverkehrsordnung auf den nichtabgesperrten Strecken. Schnell konnten bei kleineren Überschreitungen bis zu 40 Strafsekunden oder mehr zusammenkommen. Das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h hatte den Ausschluss aus der Wertung zur Folge.
National
Ähnlich wie bei der internationalen Rad-Friedensfahrt, die als Amateurradrennen verstanden werden wollte und sich damit als politische Gegenveranstaltung zur kommerziellen Tour de France aufstellte, war auch die „Pneumant-Rallye“ als eine „echte Rallye“ politisch positioniert. Der Rallyeleiter Alfred Tolk sagte 1966: „Weder der Geldbeutel des Besitzers oder die Leistung des Fahrzeuges sollen entscheidend sein“. Die Streckenführung der „Pneumant-Rallyes“ wurde erst unmittelbar vor dem Start bekanntgegeben. Die Touren rund um Berlin führten über Nebenstraßen, die ähnlich dem „Berlin-Slalom“, der Material und Menschen viel abforderte. Beim „Motorsportclub Post Berlin“ lag jetzt die Verantwortung der Veranstaltung. Nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. 1965 hatten sich zwar 54 DDR-Fahrzeuge angemeldet, aber nur ein Team aus Westdeutschland, neben sieben anderen aus Österreich und Ungarn. Der Minister für Post- und Fernmeldewesen Rudolph Schulze übernahm jetzt die Schirmherrschaft.
International
1968 wehte ein Hauch der Welt jenseits der Mauer durch die Karl-Marx-Allee. Neben den Europameisterteams Zasada/Dobrzanski und Nasenius/Wigren mit ihren Porsche 911 S gingen 119 Teams aus ganz Europa an den Start. Vor dem Kino „International“ wollte der Schlängelkurs bewältigt werden. Zu den Favoriten dieses 4. April 1968 zählte das Team von Jean Vinatier als Pilot und Jean Todt als Kopilot. Vinatier steuerte seinen leuchtend blauen Renault Alpine 1300 mit hohem Tempo in das Kurvengewirr und musste sehr rasch mit quietschenden Bremsen und Rückwärtsfahrten diesen Fehler korrigieren. Es blieb nicht der einzige, drei Stunden später schied das Team wegen Motorschaden aus. Immerhin, viel später führte Jean Todt Ferrari und Michael Schumacher zur Weltmeisterschaft.
Nase vorn
Neben den großen Marken mischte auch der Wartburg 353 mit. 1966 durfte der Wagen an den Start, die internationalen Bedingungen waren erfüllt, 1.000 „Serientourenwagen“ und 5.000 „Tourenwagen“ hatten die Produktion verlassen. Obwohl Zweitakter, konnte der 353 WR als Rallye-Ausführung, sich gegen zahlreiche Gegner auch westlicher Marken durchsetzen und selbst der Trabant 600 in Rallye-Ausführung, erreichte fast 200 km/h und bewährte sich auf internationalen Strecken. Beide Fahrzeuge waren entweder in der Klasse N, „Serienproduktion“, oder der Klasse A, „Tourenwagen“, vertreten. Fast 700 Helfer kümmerten sich während der Rallyes um Strecken, Fahrer und Autos. Neben diesen großen brachten aber auch kleine Rallyes, ob „Bären-Rallye“ oder die „Rund um den Telespargel-Südseite-Rallye“, eine spezielle Motorrennsportatmosphäre auf die Straßen der Hauptstadt. In den späten 1980er Jahren waren überwiegend Teams aus den sozialistischen Ländern am Start. Oft dominierten sowjetische Fahrer die Rennen und wenn nicht, dann hatten aufgepeppte Ladas die Nase voran gegenüber den Wartburg 411 oder den Trabant 601. 1986 war der Berlin-Slalom zum letzten Mal auf der Stralauer Straße aufgebaut. Nach 1990 führten Enthusiasten die Pneumant-Rallyes bis zum Jahr 2004 weiter.